Häufige Vertragsverletzungen durch Arbeitgeber erkennen
Der Blick auf die Gehaltsabrechnung offenbart weniger als vereinbart. Die Arbeitszeiten werden ohne Absprache geändert. Der zugesagte Urlaubsanspruch wird plötzlich infrage gestellt. Wenn der Arbeitgeber sich nicht an den Arbeitsvertrag hält, stehen viele Arbeitnehmer zunächst ratlos da. Dabei haben Sie klare Rechte – und konkrete Handlungsmöglichkeiten, diese durchzusetzen.
Ein Arbeitsvertrag ist kein unverbindliches Versprechen, sondern ein rechtlich bindendes Dokument. Was beide Parteien unterschrieben haben, gilt. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine vertraglichen Pflichten, liegt eine Vertragsverletzung vor. Diese kann in verschiedenen Formen auftreten und unterschiedlich schwerwiegend sein. Entscheidend ist, dass Sie die Verletzung erkennen und richtig einordnen.
Verletzungen bei Gehalt und Vergütung
Die häufigste Form der Vertragsverletzung betrifft das Gehalt. Arbeitgeber zahlen weniger als vereinbart, kürzen eigenmächtig Zulagen oder überweisen verspätet. Auch das Einbehalten von vertraglich zugesicherten Boni, Provisionen oder Sonderzahlungen stellt eine klare Pflichtverletzung dar. Selbst wenn der Arbeitgeber wirtschaftliche Schwierigkeiten anführt, berechtigt ihn das nicht zur einseitigen Gehaltskürzung.
Besonders problematisch wird es, wenn Arbeitgeber versuchen, vereinbarte Gehaltsbestandteile nachträglich als freiwillige Leistungen umzudeuten. Steht eine Zahlung im Vertrag, ist sie keine Kulanz. Sie haben einen durchsetzbaren Rechtsanspruch darauf. Prüfen Sie jeden Monat Ihre Gehaltsabrechnung sorgfältig und vergleichen Sie diese mit Ihrem Arbeitsvertrag.
Verstöße bei Arbeitszeit und Urlaub
Viele Arbeitgeber versuchen, die vertraglich festgelegte Arbeitszeit zu verändern. Überstunden werden angeordnet, obwohl der Vertrag dies nicht vorsieht. Pausen werden gestrichen oder die Lage der Arbeitszeit wird ohne Ihre Zustimmung verschoben. All das kann eine Vertragsverletzung darstellen, wenn der Arbeitgeber nicht über ein entsprechendes Direktionsrecht verfügt.
Beim Urlaubsanspruch kommt es häufig zu Konflikten. Arbeitgeber verweigern genehmigten Urlaub, streichen Urlaubstage nachträglich oder gewähren weniger Tage als vertraglich vereinbart. Auch die Ablehnung von Urlaubsanträgen ohne triftige betriebliche Gründe kann eine Pflichtverletzung sein. Der Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz steht Ihnen in jedem Fall zu.
Änderungen bei Tätigkeit und Position
Ihr Arbeitsvertrag beschreibt eine bestimmte Tätigkeit – und genau diese dürfen Sie erwarten. Setzt Ihr Arbeitgeber Sie dauerhaft auf einer niedrigeren Position ein oder überträgt Ihnen Aufgaben, die deutlich unter Ihrer Qualifikation liegen, verletzt er den Vertrag. Gleiches gilt für die Zuweisung von Tätigkeiten, die nichts mit Ihrer vereinbarten Stelle zu tun haben.
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers hat Grenzen. Er darf zwar im Rahmen des Vertrags konkretisieren, wie Sie Ihre Arbeit erledigen. Eine grundlegende Änderung Ihrer Position oder Ihres Aufgabenbereichs erfordert jedoch Ihre Zustimmung oder eine Änderungskündigung. Einseitige Versetzungen sind nur zulässig, wenn der Vertrag dies ausdrücklich erlaubt.
Praxis-Tipp: Vertragsverletzungen systematisch identifizieren
Nehmen Sie Ihren Arbeitsvertrag zur Hand und erstellen Sie eine Liste aller wesentlichen Punkte: Gehalt, Arbeitszeit, Urlaubstage, Tätigkeitsbeschreibung, Arbeitsort, Sonderzahlungen. Vergleichen Sie jeden Punkt mit der aktuellen Realität. Notieren Sie alle Abweichungen mit Datum und konkreter Situation. Diese Übersicht ist die Grundlage für alle weiteren Schritte.
Rechtliche Grundlagen bei Vertragsbruch
Der Arbeitsvertrag ist nach § 611a BGB ein gegenseitiger Vertrag, der beide Parteien zur Erfüllung ihrer Pflichten verpflichtet. Der Arbeitnehmer schuldet seine Arbeitsleistung, der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung und die Einhaltung aller vertraglich zugesicherten Bedingungen. Verletzt eine Seite ihre Pflichten, entstehen der anderen Seite verschiedene Rechte und Ansprüche.
Das deutsche Arbeitsrecht bietet Arbeitnehmern einen umfassenden Schutz bei Vertragsverletzungen. Neben den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs greifen zahlreiche Spezialgesetze wie das Arbeitszeitgesetz, das Bundesurlaubsgesetz und das Entgeltfortzahlungsgesetz. Diese setzen Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen – auch nicht durch vertragliche Vereinbarungen.
Der Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers
Grundsätzlich haben Sie als Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erfüllung des Vertrags. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss genau das leisten, was im Vertrag steht. Zahlt er zu wenig Gehalt, können Sie die Differenz einfordern. Gewährt er zu wenig Urlaub, steht Ihnen der Rest zu. Dieser Erfüllungsanspruch ergibt sich direkt aus dem Vertrag und kann notfalls gerichtlich durchgesetzt werden.
Der Erfüllungsanspruch verjährt nach § 195 BGB grundsätzlich in drei Jahren. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Ausschlussfristen in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen können diese Frist jedoch erheblich verkürzen. Prüfen Sie daher immer, ob Ihr Vertrag solche Klauseln enthält, und handeln Sie rechtzeitig.
Schadensersatz bei Pflichtverletzung
Neben dem Erfüllungsanspruch können Ihnen Schadensersatzansprüche zustehen. Nach § 280 BGB haftet der Arbeitgeber für Schäden, die durch seine Pflichtverletzung entstehen. Der Schaden muss jedoch konkret nachweisbar sein. Zahlt der Arbeitgeber beispielsweise das Gehalt verspätet und entstehen Ihnen dadurch Mahngebühren oder Überziehungszinsen, können Sie diese ersetzt verlangen.
Für einen Schadensersatzanspruch müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine Pflichtverletzung vorliegen, der Arbeitgeber muss diese zu vertreten haben, Ihnen muss ein konkreter Schaden entstanden sein, und zwischen Pflichtverletzung und Schaden muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Beweislast liegt grundsätzlich bei Ihnen als Arbeitnehmer.
Das Zurückbehaltungsrecht
In schwerwiegenden Fällen steht Ihnen ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zu. Das bedeutet: Sie können Ihre Arbeitsleistung verweigern, bis der Arbeitgeber seine Pflichten erfüllt. Dieses Recht besteht jedoch nur bei erheblichen Vertragsverletzungen und muss verhältnismäßig sein. Eine geringfügige Verspätung bei der Gehaltszahlung rechtfertigt keine Arbeitsverweigerung.
Das Zurückbehaltungsrecht ist ein scharfes Schwert, das Sie mit Bedacht einsetzen sollten. Bevor Sie die Arbeit verweigern, müssen Sie den Arbeitgeber in der Regel abmahnen und ihm eine angemessene Frist zur Erfüllung setzen. Setzen Sie das Zurückbehaltungsrecht unberechtigt ein, riskieren Sie selbst eine Abmahnung oder Kündigung. Dokumentieren Sie daher genau, warum Sie die Voraussetzungen für erfüllt halten.
Beispiel: Zurückbehaltungsrecht bei Gehaltsverzug
Ein Arbeitnehmer erhält seit drei Monaten kein Gehalt, obwohl er ordnungsgemäß arbeitet. Er hat den Arbeitgeber mehrfach schriftlich zur Zahlung aufgefordert. Nach erfolgloser Fristsetzung teilt er dem Arbeitgeber mit, dass er seine Arbeitsleistung bis zur Nachzahlung zurückhält. Das Arbeitsgericht bestätigt später: Bei einem derart gravierenden Zahlungsverzug war die Arbeitsverweigerung gerechtfertigt. Der Arbeitnehmer behält seinen Vergütungsanspruch auch für die Zeit der Arbeitsniederlegung.
Dokumentation und Beweissicherung
Ohne Beweise stehen Sie im Streitfall mit leeren Händen da. Das deutsche Arbeitsrecht folgt dem Grundsatz: Wer etwas behauptet, muss es beweisen. Wenn Sie eine Vertragsverletzung geltend machen wollen, müssen Sie diese nachweisen können. Eine sorgfältige Dokumentation ist daher keine übertriebene Vorsicht, sondern die notwendige Grundlage für die erfolgreiche Durchsetzung Ihrer Rechte.
Die Dokumentation sollte sofort beginnen, sobald Sie eine Vertragsverletzung bemerken. Warten Sie nicht ab, ob sich die Situation von selbst bessert. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es, Beweise zu sichern und Details zu rekonstruieren. Gewöhnen Sie sich an, alles Relevante zeitnah und systematisch festzuhalten.
Schriftliche Aufzeichnungen führen
Führen Sie ein detailliertes Protokoll aller Vorfälle. Notieren Sie Datum, Uhrzeit, Ort und beteiligte Personen. Beschreiben Sie den Sachverhalt so genau wie möglich. Was genau wurde gesagt oder getan? Wer war anwesend? Welche Reaktionen gab es? Diese zeitnahen Aufzeichnungen haben vor Gericht erheblich mehr Gewicht als Erinnerungen, die Monate oder Jahre zurückliegen.
Bewahren Sie alle schriftlichen Unterlagen sorgfältig auf: Arbeitsvertrag, Gehaltsnachweise, E-Mails, Briefe, SMS und Chat-Nachrichten. Erstellen Sie Kopien von wichtigen Dokumenten und lagern Sie diese außerhalb des Arbeitsplatzes. Ihr Arbeitgeber könnte Ihnen sonst den Zugang zu wichtigen Unterlagen erschweren, sobald der Konflikt eskaliert.
Zeugen und deren Aussagen
Zeugen können im arbeitsrechtlichen Verfahren entscheidend sein. Wenn Kollegen Vertragsverletzungen miterlebt haben, notieren Sie deren Namen und möglichst auch deren Kontaktdaten außerhalb des Unternehmens. Bedenken Sie jedoch, dass viele Kollegen aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz zögern werden, gegen den Arbeitgeber auszusagen.
Sprechen Sie potenzielle Zeugen behutsam an. Drängen Sie niemanden, aber bitten Sie um Unterstützung. Manchmal hilft es, Gespräche im Beisein von Zeugen zu führen, wenn Sie eine Konfrontation mit dem Arbeitgeber erwarten. Fertigen Sie nach solchen Gesprächen zeitnah ein Gedächtnisprotokoll an, das Sie vom Zeugen gegenzeichnen lassen können.
Checkliste: Beweissicherung bei Vertragsverletzungen
- Arbeitsvertrag kopieren und sicher aufbewahren
- Alle Gehaltsnachweise der relevanten Monate sammeln
- E-Mails und Nachrichten als PDF speichern oder ausdrucken
- Protokoll mit Datum, Uhrzeit und Details jedes Vorfalls führen
- Namen und Kontaktdaten möglicher Zeugen notieren
- Screenshots von digitalen Arbeitszeitnachweisen erstellen
- Schriftliche Anweisungen des Arbeitgebers aufbewahren
- Eigene Abmahnungen an den Arbeitgeber dokumentieren
Elektronische Beweismittel
In der digitalen Arbeitswelt spielen elektronische Beweise eine zunehmend wichtige Rolle. E-Mails, Chat-Protokolle und digitale Zeiterfassungssysteme können Vertragsverletzungen eindeutig belegen. Sichern Sie relevante elektronische Kommunikation, indem Sie diese an Ihre private E-Mail-Adresse weiterleiten oder Screenshots anfertigen.
Beachten Sie dabei die rechtlichen Grenzen. Heimliche Ton- oder Videoaufnahmen sind in Deutschland grundsätzlich nicht als Beweismittel zugelassen und können sogar strafbar sein. Auch der Zugriff auf fremde E-Mail-Konten oder vertrauliche Unternehmensunterlagen kann rechtliche Konsequenzen haben. Beschränken Sie sich auf die Sicherung von Informationen, die Ihnen rechtmäßig zugänglich sind.
Welche Ansprüche haben Arbeitnehmer
Als Arbeitnehmer stehen Ihnen bei Vertragsverletzungen durch den Arbeitgeber verschiedene Ansprüche zu. Diese reichen von der einfachen Erfüllung des Vertrags über Schadensersatz bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Welcher Anspruch im Einzelfall sinnvoll ist, hängt von der Art und Schwere der Vertragsverletzung ab. Eine strategische Entscheidung ist hier wichtig.
Die verschiedenen Ansprüche schließen sich nicht gegenseitig aus. In vielen Fällen können Sie mehrere Ansprüche parallel geltend machen. So können Sie beispielsweise die Erfüllung des Vertrags verlangen und gleichzeitig Schadensersatz für bereits entstandene Nachteile fordern. Wichtig ist, dass Sie Ihre Ansprüche fristgerecht geltend machen.
Anspruch auf Vertragserfüllung
Der primäre Anspruch bei jeder Vertragsverletzung ist der Erfüllungsanspruch. Der Arbeitgeber muss leisten, was er versprochen hat. Zahlt er zu wenig Gehalt, können Sie die Differenz verlangen. Verweigert er Urlaub, haben Sie Anspruch auf die vertraglich vereinbarten Tage. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob dem Arbeitgeber ein Verschulden trifft.
Um Ihren Erfüllungsanspruch durchzusetzen, sollten Sie den Arbeitgeber zunächst schriftlich zur Vertragserfüllung auffordern. Setzen Sie eine angemessene Frist und benennen Sie konkret, welche Leistung Sie erwarten. Reagiert der Arbeitgeber nicht, können Sie den Anspruch arbeitsgerichtlich einklagen. Das Arbeitsgericht kann den Arbeitgeber zur Erfüllung verurteilen.
Schadensersatz und Entschädigung
Ist Ihnen durch die Vertragsverletzung ein konkreter Schaden entstanden, können Sie diesen ersetzt verlangen. Der Schaden muss jedoch nachweisbar und bezifferbar sein. Typische Schadensposten sind Zinsschäden bei verspäteter Gehaltszahlung, Kosten für anderweitige Beschaffung von Arbeitsmitteln oder entgangene Einkünfte durch rechtswidrige Freistellung.
Bei immateriellen Schäden wie Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Mobbing oder Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann Ihnen ein Schmerzensgeld zustehen. Dieses richtet sich nach der Schwere der Rechtsverletzung und den Auswirkungen auf Ihr Leben. Die Gerichte bemessen das Schmerzensgeld einzelfallbezogen, wobei die Höhe stark variieren kann.
Besondere Ansprüche bei bestimmten Verletzungen
Bei bestimmten Vertragsverletzungen bestehen spezielle Ansprüche. Verletzt der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht und entsteht Ihnen dadurch ein Gesundheitsschaden, können neben Schadensersatz auch Schmerzensgeld und die Erstattung von Behandlungskosten in Betracht kommen. Bei Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz stehen Ihnen Entschädigungsansprüche zu.
Werden Arbeitnehmer zu Unrecht gekündigt und wollen nicht mehr im Unternehmen arbeiten, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Abfindung verlangt werden. Auch bei einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitnehmer wegen schwerwiegender Vertragsverletzungen des Arbeitgebers können Schadensersatzansprüche bestehen, etwa für die Zeit bis zum nächsten Beschäftigungsbeginn.
Praktisches Vorgehen bei Vertragsverletzungen
Zwischen dem Erkennen einer Vertragsverletzung und deren erfolgreicher Durchsetzung liegt ein Weg, den Sie strategisch planen sollten. Überstürzte Reaktionen sind selten hilfreich. Ein durchdachtes Vorgehen in klar definierten Schritten maximiert Ihre Erfolgschancen und minimiert das Risiko, dass Sie selbst in eine ungünstige Position geraten.
Der erste Impuls vieler Betroffener ist Konfrontation oder Rückzug. Beides ist meist nicht die beste Strategie. Konfrontation ohne Vorbereitung kann Ihren Standpunkt schwächen. Rückzug und Schweigen können als Zustimmung gewertet werden. Stattdessen empfiehlt sich ein systematisches Vorgehen, das Dokumentation, Kommunikation und rechtliche Schritte sinnvoll kombiniert.
Das direkte Gespräch suchen
Bevor Sie rechtliche Schritte einleiten, sollten Sie das Gespräch mit Ihrem Arbeitgeber suchen. Manchmal beruhen Vertragsverletzungen auf Missverständnissen oder Fehlern in der Personalabteilung. Ein klärendes Gespräch kann diese Probleme schnell und unkompliziert lösen. Bereiten Sie sich gut vor und bleiben Sie sachlich.
Dokumentieren Sie das Gespräch. Machen Sie sich Notizen darüber, was besprochen wurde und welche Zusagen gemacht wurden. Bitten Sie um schriftliche Bestätigung von Vereinbarungen. Wird das Gespräch verweigert oder führt es zu keinem Ergebnis, haben Sie einen weiteren Baustein für Ihre Dokumentation der Vertragsverletzung.
Schriftliche Abmahnung des Arbeitgebers
Führt das Gespräch nicht zum Erfolg, ist eine schriftliche Abmahnung der nächste Schritt. Ja, auch Arbeitnehmer können ihren Arbeitgeber abmahnen. In der Abmahnung beschreiben Sie konkret die Vertragsverletzung, fordern zur Unterlassung auf und kündigen für den Wiederholungsfall Konsequenzen an. Die Abmahnung sollte per Einschreiben zugestellt werden.
Eine Abmahnung ist in vielen Fällen Voraussetzung für weitergehende Schritte. Wollen Sie später beispielsweise fristlos kündigen, müssen Sie nachweisen, dass Sie den Arbeitgeber auf den Vertragsverstoß hingewiesen haben. Die Abmahnung gibt dem Arbeitgeber die Chance zur Korrektur und dokumentiert gleichzeitig, dass Sie die Vertragsverletzung nicht stillschweigend akzeptiert haben.
Praxis-Tipp: Aufbau einer wirksamen Abmahnung an den Arbeitgeber
Ihre Abmahnung sollte folgende Elemente enthalten: Konkrete Beschreibung der Vertragsverletzung mit Datum und Details, Verweis auf die verletzte Vertragsklausel, klare Aufforderung zur Vertragserfüllung mit Fristsetzung, und der Hinweis, dass Sie sich weitere Schritte vorbehalten. Formulieren Sie sachlich und vermeiden Sie emotionale Ausdrücke. Behalten Sie eine Kopie und den Zustellnachweis.
Betriebsrat und externe Stellen einschalten
Existiert in Ihrem Unternehmen ein Betriebsrat, können Sie sich an diesen wenden. Der Betriebsrat hat das Recht, sich für die Einhaltung von Arbeitsverträgen und Gesetzen einzusetzen. Er kann zwischen Ihnen und dem Arbeitgeber vermitteln und hat Zugang zu Informationen, die Ihnen möglicherweise fehlen.
Auch externe Stellen können helfen. Die Gewerkschaft bietet ihren Mitgliedern rechtliche Beratung und Unterstützung. In manchen Fällen kann auch die zuständige Arbeitsschutzbehörde oder die Gewerbeaufsicht eingeschaltet werden, etwa bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz. Diese Behörden können den Arbeitgeber zu Auskünften verpflichten und Kontrollen durchführen.
Fristlose Kündigung durch den Arbeitnehmer
Bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen kann Ihnen das Recht zustehen, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Die fristlose Kündigung nach § 626 BGB ist das schärfste Mittel des Arbeitnehmers. Sie beendet das Arbeitsverhältnis sofort und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Allerdings sind die Voraussetzungen streng – und die Risiken erheblich, wenn Sie diese falsch einschätzen.
Eine fristlose Kündigung ist nur bei einem wichtigen Grund zulässig. Dieser liegt vor, wenn Ihnen unter Berücksichtigung aller Umstände die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nicht jede Vertragsverletzung erreicht diese Schwelle. Die Gerichte prüfen streng, ob der wichtige Grund tatsächlich vorlag.
Was ist ein wichtiger Grund?
Als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung durch den Arbeitnehmer kommen verschiedene schwerwiegende Vertragsverletzungen in Betracht. Die wiederholte und erhebliche Nichtzahlung des Gehalts ist ein klassischer Fall. Auch schwere Verstöße gegen den Arbeitsschutz, anhaltende Beleidigungen oder Mobbing durch den Arbeitgeber können einen wichtigen Grund darstellen.
Die Schwere der Vertragsverletzung wird immer im Einzelfall bewertet. Dabei spielen Faktoren wie die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Intensität des Verstoßes, eventuelle vorherige Abmahnungen und die persönlichen Umstände des Arbeitnehmers eine Rolle. Was in einem Fall ausreicht, kann in einem anderen unzureichend sein. Eine sorgfältige Prüfung ist daher unerlässlich.
Die Zwei-Wochen-Frist beachten
Die fristlose Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden, nachdem Sie vom Kündigungsgrund erfahren haben. Diese Frist ist zwingend. Versäumen Sie sie, verlieren Sie das Recht zur fristlosen Kündigung wegen dieses Vorfalls. Bei fortdauernden Vertragsverletzungen beginnt die Frist allerdings immer wieder neu.
Die Frist beginnt mit der Kenntnis der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen. Bei komplexen Sachverhalten kann eine gewisse Aufklärungszeit zulässig sein. Handeln Sie dennoch zügig. Dokumentieren Sie genau, wann Sie von der Vertragsverletzung erfahren haben. Im Streitfall müssen Sie nachweisen können, dass Sie die Frist eingehalten haben.
Beispiel: Fristlose Kündigung wegen Gehaltsverzugs
Eine Arbeitnehmerin erhält seit zwei Monaten kein Gehalt. Sie hat den Arbeitgeber schriftlich abgemahnt und eine Frist zur Zahlung gesetzt. Nach Ablauf der Frist erklärt sie die fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht bestätigt die Wirksamkeit: Bei einem Gehaltsverzug von mehr als zwei Monatsgehältern und erfolgloser Abmahnung ist dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar. Die fristlose Kündigung war gerechtfertigt.
Risiken der fristlosen Kündigung
Eine fristlose Kündigung birgt erhebliche Risiken, wenn sie sich später als unwirksam herausstellt. In diesem Fall haben Sie ohne rechtliche Grundlage gekündigt. Der Arbeitgeber kann Schadensersatz wegen des Arbeitsausfalls verlangen. Auch Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld kann gefährdet sein, da die Agentur für Arbeit eine Sperrzeit verhängen kann.
Prüfen Sie daher sorgfältig, ob die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung wirklich vorliegen. Im Zweifel ist eine ordentliche Kündigung mit Kündigungsfrist der sicherere Weg. Sie können diese mit dem Hinweis verbinden, dass Sie hilfsweise fristlos kündigen. So wahren Sie sich beide Optionen und minimieren das Risiko einer unwirksamen Kündigung.
Gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche
Wenn außergerichtliche Bemühungen scheitern, bleibt der Weg vor das Arbeitsgericht. Das arbeitsgerichtliche Verfahren ist darauf ausgelegt, Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern schnell und kostengünstig zu lösen. Die Verfahren sind im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten arbeitnehmerfreundlich gestaltet. Dennoch sollten Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.
Das Arbeitsgericht ist für alle Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis zuständig. Dazu gehören Klagen auf Zahlung von Gehalt, Urlaubsabgeltung oder Schadensersatz ebenso wie Feststellungsklagen zur Unwirksamkeit von Arbeitgebermaßnahmen. Auch Kündigungsschutzklagen werden vor dem Arbeitsgericht verhandelt.
Klage erheben und Fristen einhalten
Die Klage wird schriftlich beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht. Zuständig ist in der Regel das Gericht am Sitz des Arbeitgebers oder am Ort, an dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird. Die Klageschrift muss den Sachverhalt darstellen und einen konkreten Antrag enthalten. Bei Zahlungsklagen muss der geforderte Betrag genau beziffert werden.
Besonders wichtig sind die Fristen. Bei einer Kündigungsschutzklage beträgt die Frist nur drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Diese Frist ist eine Ausschlussfrist – versäumen Sie sie, wird die Kündigung wirksam, auch wenn sie ursprünglich unwirksam war. Bei anderen Ansprüchen gelten die allgemeinen Verjährungsfristen, wobei vertragliche Ausschlussfristen zu beachten sind.
Der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht
Jedes arbeitsgerichtliche Verfahren beginnt mit einem Gütetermin. Dieser findet meist wenige Wochen nach Klageerhebung statt und dient dem Versuch einer gütlichen Einigung. Der Richter erörtert den Sachverhalt mit beiden Parteien und unterbreitet häufig einen Vergleichsvorschlag. Ein großer Teil der arbeitsgerichtlichen Verfahren endet bereits im Gütetermin mit einem Vergleich.
Im Gütetermin besteht kein Anwaltszwang. Sie können sich selbst vertreten. Allerdings ist die Gegenseite häufig anwaltlich vertreten, was einen Ungleichgewicht schaffen kann. Überlegen Sie daher, ob Sie sich unterstützen lassen wollen. Der Gütetermin bietet die Chance auf eine schnelle Lösung, aber auch das Risiko, sich auf einen ungünstigen Vergleich einzulassen.
Praxis-Tipp: Vorbereitung auf den Gütetermin
Bereiten Sie sich gründlich auf den Gütetermin vor. Bringen Sie alle relevanten Unterlagen sortiert mit: Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen, Korrespondenz, Ihre Dokumentation. Überlegen Sie sich vorab, welches Ergebnis für Sie akzeptabel wäre. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, einem Vergleich zuzustimmen, den Sie nicht gut durchdacht haben. Sie können auch um Bedenkzeit bitten.
Kammertermin und Urteil
Kommt im Gütetermin keine Einigung zustande, wird ein Kammertermin anberaumt. Dieser findet vor der vollständigen Kammer statt, die aus einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern besteht – je einem Vertreter der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite. Im Kammertermin werden Beweise erhoben, Zeugen vernommen und rechtliche Argumente ausgetauscht.
Das Urteil ergeht entweder am Ende des Kammertermins oder wird später verkündet. Gegen erstinstanzliche Urteile kann Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt werden, wenn der Streitwert über einer bestimmten Grenze liegt oder die Berufung zugelassen wurde. Ein arbeitsgerichtliches Verfahren kann sich über mehrere Instanzen erstrecken, was Zeit und Nerven kostet.
Besondere Fälle und Ausnahmen
Nicht jede Situation passt in das Standardschema von Vertragsverletzung und Durchsetzung. Das Arbeitsrecht kennt zahlreiche Sonderfälle, in denen besondere Regeln gelten oder zusätzliche Aspekte zu beachten sind. Kenntnis dieser Besonderheiten kann entscheidend sein für die richtige Einschätzung Ihrer Situation und die Wahl der passenden Strategie.
Besondere Konstellationen ergeben sich etwa bei befristeten Arbeitsverträgen, in der Probezeit, bei leitenden Angestellten oder bei Arbeitsverhältnissen mit Auslandsbezug. Auch die Insolvenz des Arbeitgebers oder tarifvertragliche Regelungen können die Durchsetzung von Ansprüchen erheblich beeinflussen.
Befristung und Probezeit
Bei befristeten Arbeitsverträgen gelten besondere Regeln für die ordentliche Kündigung. Ist keine Kündigungsmöglichkeit vereinbart, läuft der Vertrag bis zum Ende der Befristung. Eine fristlose Kündigung wegen schwerwiegender Vertragsverletzung bleibt aber möglich. Prüfen Sie Ihren Vertrag genau auf Kündigungsklauseln.
In der Probezeit gelten verkürzte Kündigungsfristen – üblicherweise zwei Wochen. Das gilt für beide Seiten. Die Hürden für eine fristlose Kündigung bleiben aber dieselben. Auch in der Probezeit müssen Sie einen wichtigen Grund haben. Eine Vertragsverletzung durch den Arbeitgeber in der Probezeit kann Sie berechtigen, das Verhältnis sofort zu beenden.
Insolvenz des Arbeitgebers
Gerät Ihr Arbeitgeber in die Insolvenz, ändern sich die Spielregeln grundlegend. Ihre Gehaltsansprüche werden zu Insolvenzforderungen, die Sie zur Insolvenztabelle anmelden müssen. Die Agentur für Arbeit zahlt unter bestimmten Voraussetzungen Insolvenzgeld für die letzten drei Monate vor der Insolvenzeröffnung.
Der Insolvenzverwalter tritt an die Stelle des Arbeitgebers und kann das Arbeitsverhältnis mit verkürzten Fristen kündigen. Ihre Ansprüche aus Vertragsverletzungen vor der Insolvenz können Sie als Insolvenzforderungen anmelden, werden aber meist nur quotenmäßig befriedigt. Neue Vertragsverletzungen durch den Insolvenzverwalter können Sie hingegen als Masseforderungen geltend machen.
Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung
Gilt für Ihr Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung, können diese zusätzliche Rechte begründen oder auch Einschränkungen enthalten. Tarifverträge setzen oft Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen. Sie können aber auch Ausschlussfristen enthalten, die Ihre Ansprüche schneller verfallen lassen.
Prüfen Sie, ob auf Ihr Arbeitsverhältnis ein Tarifvertrag Anwendung findet – durch beiderseitige Tarifbindung, arbeitsvertragliche Bezugnahme oder Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Informieren Sie sich über die dort enthaltenen Regelungen zu Fristen, Verfahren und Ansprüchen. Die Gewerkschaft kann Ihnen Auskunft über die für Sie geltenden tariflichen Regelungen geben.
Checkliste: Vor rechtlichen Schritten prüfen
- Liegt tatsächlich eine Vertragsverletzung vor oder ist die Maßnahme vom Direktionsrecht gedeckt?
- Sind alle relevanten Fristen (Ausschlussfristen, Verjährung) noch gewahrt?
- Ist die Dokumentation vollständig und beweiskräftig?
- Wurde der Arbeitgeber abgemahnt und zur Abhilfe aufgefordert?
- Welche Ansprüche bestehen konkret und wie hoch sind diese?
- Gilt ein Tarifvertrag mit besonderen Regelungen?
- Ist der Arbeitgeber zahlungsfähig oder droht Insolvenz?
- Welches Ergebnis wäre realistisch und akzeptabel?
