Rechtliche Grundlagen des Beschäftigungsverbots in der Schwangerschaft
Der Schwangerschaftstest ist positiv, die Freude groß – doch plötzlich verändert sich der Blick auf den eigenen Arbeitsplatz grundlegend. Wo vorher Routine herrschte, tauchen nun Fragen auf: Wie sicher ist mein Arbeitsumfeld? Welche Risiken bestehen für mein ungeborenes Kind? Besonders seit der Corona-Pandemie haben diese Sorgen eine völlig neue Dimension erreicht. Das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz beschäftigt schwangere Arbeitnehmerinnen täglich – und das Mutterschutzgesetz bietet hier einen umfassenden Schutzrahmen.
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) bildet die zentrale rechtliche Grundlage für den Schutz schwangerer und stillender Frauen im Arbeitsleben. Dieses Gesetz verfolgt einen klaren Auftrag: Die Gesundheit der werdenden Mutter und ihres Kindes hat absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Der Gesetzgeber hat dabei verschiedene Schutzinstrumente geschaffen, die von arbeitszeitlichen Regelungen bis hin zu vollständigen Beschäftigungsverboten reichen.
Das generelle Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG
Das generelle Beschäftigungsverbot umfasst Tätigkeiten, die grundsätzlich für alle Schwangeren als gefährlich eingestuft werden. Hierzu gehören Nachtarbeit zwischen 20 und 6 Uhr, Sonntagsarbeit sowie Arbeiten mit gesundheitsgefährdenden Stoffen. Auch schwere körperliche Arbeiten, regelmäßiges Heben von mehr als fünf Kilogramm oder ständiges Stehen fallen unter diese Kategorie. Der Arbeitgeber muss diese Verbote unmittelbar umsetzen, sobald ihm die Schwangerschaft bekannt wird.
Darüber hinaus gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot in den letzten sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin sowie acht Wochen nach der Geburt. Diese Schutzfristen sind unverzichtbar und können nicht durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin umgangen werden. Bei Früh- oder Mehrlingsgeburten verlängert sich die nachgeburtliche Schutzfrist sogar auf zwölf Wochen.
Das individuelle Beschäftigungsverbot im Einzelfall
Neben dem generellen Beschäftigungsverbot existiert das individuelle Beschäftigungsverbot gemäß § 16 MuSchG. Dieses greift, wenn die konkrete Arbeit oder der spezifische Arbeitsplatz für eine bestimmte Schwangere eine Gefährdung darstellt. Die Beurteilung erfolgt hier nicht pauschal, sondern bezieht den individuellen Gesundheitszustand der Schwangeren mit ein. Ein Arzt kann dieses Verbot aussprechen, wenn er bei Fortsetzung der Beschäftigung eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind sieht.
Die Unterscheidung zwischen generellem und individuellem Beschäftigungsverbot ist in der Praxis bedeutsam. Während das generelle Verbot unmittelbar kraft Gesetzes gilt, erfordert das individuelle Verbot eine ärztliche Feststellung. Beide Varianten führen jedoch zum gleichen Ergebnis: Die Schwangere darf die betreffende Tätigkeit nicht mehr ausüben und behält dennoch ihren vollen Lohnanspruch.
Praxis-Tipp: Schwangerschaft sofort melden
Teilen Sie Ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft schriftlich mit und fordern Sie eine Eingangsbestätigung an. Erst ab dem Zeitpunkt der Mitteilung greifen sämtliche Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes vollständig. Bewahren Sie alle Unterlagen sorgfältig auf – sie können im Streitfall entscheidend sein.
Corona als Gefährdung für Schwangere – Wann greift der Schutz?
Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert und den Arbeitsschutz für Schwangere vor neue Herausforderungen gestellt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Schwangere bei einer COVID-19-Infektion ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe tragen können. Zudem können Komplikationen wie Frühgeburten häufiger auftreten. Diese medizinischen Erkenntnisse haben unmittelbare Auswirkungen auf die arbeitsrechtliche Bewertung von Gefährdungssituationen.
Das Robert Koch-Institut und der Ausschuss für Mutterschutz beim Bundesministerium für Familie haben wiederholt auf die besonderen Risiken für Schwangere hingewiesen. Diese Einschätzungen bilden die Grundlage für die Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz. Entscheidend ist dabei nicht die abstrakte Gefahr einer Infektion, sondern die konkrete Expositionssituation am jeweiligen Arbeitsplatz. Berufe mit hohem Personenkontakt, fehlendem Abstandsmöglichkeiten oder unzureichender Belüftung stehen hier besonders im Fokus.
Besonders gefährdete Berufsgruppen und Arbeitssituationen
Bestimmte Berufsfelder weisen ein naturgemäß höheres Infektionsrisiko auf. Beschäftigte im Gesundheitswesen, in der Pflege oder in Einrichtungen mit direktem Patientenkontakt sind besonders exponiert. Auch Erzieherinnen in Kindertagesstätten, Lehrerinnen, Verkäuferinnen im Einzelhandel oder Mitarbeiterinnen in der Gastronomie haben täglich Kontakt mit zahlreichen Menschen. In diesen Bereichen ist eine sorgfältige Gefährdungsbeurteilung unerlässlich.
Nicht nur der Beruf an sich, sondern auch die konkreten Arbeitsbedingungen spielen eine Rolle. Großraumbüros mit schlechter Belüftung, fehlende Trennwände zwischen Arbeitsplätzen oder die Unmöglichkeit, Mindestabstände einzuhalten, erhöhen das Risiko erheblich. Auch der Kontakt mit bekannt infizierten Personen oder die Arbeit in Bereichen mit hoher Infektionsprävalenz sind relevante Faktoren für die Beurteilung.
Die Gefährdungsbeurteilung als Schlüsseldokument
Jeder Arbeitgeber ist nach dem Mutterschutzgesetz verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung für schwangere Mitarbeiterinnen durchzuführen. Diese muss unverzüglich erfolgen, sobald die Schwangerschaft mitgeteilt wird. Die Beurteilung umfasst alle Aspekte der Tätigkeit – von biologischen Gefährdungen wie Corona über chemische und physikalische Einflüsse bis hin zu psychischen Belastungen.
Die Gefährdungsbeurteilung muss dokumentiert und der Schwangeren zugänglich gemacht werden. Sie bildet die Grundlage für alle weiteren Entscheidungen: Können Schutzmaßnahmen das Risiko ausreichend minimieren? Ist ein Arbeitsplatzwechsel möglich? Oder muss ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden? Ohne eine ordnungsgemäße Gefährdungsbeurteilung handelt der Arbeitgeber rechtswidrig – mit möglichen Konsequenzen für die Haftung bei Gesundheitsschäden.
Beispiel: Erzieherin in der Kindertagesstätte
Eine schwangere Erzieherin arbeitet in einer Kindergartengruppe mit zwanzig Kindern. Täglicher enger Körperkontakt beim Wickeln, Trösten und Spielen ist unvermeidbar. Abstandsregeln lassen sich gegenüber Kleinkindern nicht durchsetzen. Nach einer Corona-Gefährdungsbeurteilung stellte der Träger fest, dass keine ausreichenden Schutzmaßnahmen möglich waren. Die Erzieherin erhielt ein betriebliches Beschäftigungsverbot und bezieht seitdem Mutterschutzlohn in voller Höhe ihres bisherigen Gehalts.
Schutzpflichten des Arbeitgebers bei schwangeren Mitarbeiterinnen
Der Arbeitgeber trägt die Hauptverantwortung für den Schutz schwangerer Beschäftigter. Diese Pflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Mutterschutzgesetz und kann nicht auf die Arbeitnehmerin abgewälzt werden. Der Gesetzgeber hat ein abgestuftes Schutzkonzept vorgesehen, das der Arbeitgeber zwingend einhalten muss. Zunächst muss er Gefährdungen identifizieren, dann Schutzmaßnahmen ergreifen, gegebenenfalls den Arbeitsplatz umgestalten oder einen anderen Arbeitsplatz zuweisen – und erst wenn all dies nicht möglich ist, ein Beschäftigungsverbot aussprechen.
Die Schutzpflichten beginnen mit der Kenntnis der Schwangerschaft. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Uhr: Der Arbeitgeber muss unverzüglich handeln und darf die Schwangere keiner Gefährdung mehr aussetzen. Verstöße gegen diese Pflichten können nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzansprüche auslösen, sondern stellen auch Ordnungswidrigkeiten dar, die mit empfindlichen Bußgeldern geahndet werden können.
Das Stufenkonzept der Schutzmaßnahmen
Das Mutterschutzgesetz sieht ein gestaffeltes Vorgehen vor. Auf der ersten Stufe steht die Umgestaltung des Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob durch technische, organisatorische oder persönliche Schutzmaßnahmen eine Gefährdung ausgeschlossen werden kann. Im Corona-Kontext bedeutet dies etwa die Installation von Trennwänden, die Bereitstellung hochwertiger FFP2-Masken, verbesserte Belüftungssysteme oder die Reduzierung von Personenkontakten.
Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht umsetzbar sind, folgt die zweite Stufe: der Arbeitsplatzwechsel. Der Arbeitgeber muss prüfen, ob im Betrieb ein anderer, gefahrloser Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Dabei darf die Schwangere nicht schlechter gestellt werden – Gehalt und wesentliche Arbeitsbedingungen müssen erhalten bleiben. Nur wenn auch ein Arbeitsplatzwechsel nicht möglich ist, greift auf der dritten Stufe das betriebliche Beschäftigungsverbot.
Dokumentations- und Informationspflichten
Der Arbeitgeber muss sämtliche Maßnahmen zum Schutz der Schwangeren dokumentieren. Die Gefährdungsbeurteilung, getroffene Schutzmaßnahmen und Entscheidungen über Beschäftigungsverbote sind schriftlich festzuhalten. Diese Dokumentation dient nicht nur dem Nachweis gegenüber Aufsichtsbehörden, sondern schützt auch den Arbeitgeber selbst vor späteren Haftungsansprüchen.
Darüber hinaus besteht eine aktive Informationspflicht gegenüber der Schwangeren. Sie muss über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung, die getroffenen Schutzmaßnahmen und ihre Rechte nach dem Mutterschutzgesetz aufgeklärt werden. Auch die Aufsichtsbehörde – in der Regel das zuständige Gewerbeaufsichtsamt oder die Bezirksregierung – muss über die Beschäftigung einer Schwangeren informiert werden.
Checkliste: Diese Schutzmaßnahmen muss Ihr Arbeitgeber prüfen
- Durchführung einer schriftlichen Gefährdungsbeurteilung für Ihren Arbeitsplatz
- Prüfung technischer Schutzmaßnahmen wie Trennwände oder Luftfilter
- Bereitstellung geeigneter persönlicher Schutzausrüstung (FFP2-Masken)
- Organisatorische Maßnahmen zur Kontaktreduzierung
- Prüfung alternativer Arbeitsplätze im Betrieb
- Prüfung der Homeoffice-Möglichkeit
- Schriftliche Information über Ihre Rechte nach dem MuSchG
Beschäftigungsverbot durchsetzen – Vorgehen und Fristen
Wenn Sie als Schwangere ein Beschäftigungsverbot für erforderlich halten, stehen Sie vor der Frage: Wie setze ich meine Rechte durch? Das Vorgehen hängt davon ab, ob es sich um ein betriebliches oder ein ärztliches Beschäftigungsverbot handelt. In beiden Fällen ist ein strukturiertes Vorgehen entscheidend, um Ihre Ansprüche zu wahren und unnötige Konflikte zu vermeiden.
Das betriebliche Beschäftigungsverbot muss der Arbeitgeber von sich aus aussprechen, wenn die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass keine ausreichenden Schutzmaßnahmen möglich sind. In der Praxis geschieht dies jedoch nicht immer automatisch. Viele Arbeitgeber unterschätzen die Gefährdungslage oder versuchen, Kosten zu sparen. Hier ist es wichtig, selbst aktiv zu werden und den Arbeitgeber auf seine Pflichten hinzuweisen.
Die schriftliche Anfrage an den Arbeitgeber
Beginnen Sie mit einer schriftlichen Anfrage an Ihren Arbeitgeber. Fordern Sie die Vorlage der Gefährdungsbeurteilung für Ihren Arbeitsplatz an. Weisen Sie auf die bestehenden Corona-Risiken hin und bitten Sie um Mitteilung, welche Schutzmaßnahmen geplant sind. Setzen Sie eine angemessene Frist von etwa einer Woche für die Beantwortung. Diese Anfrage sollte per Einschreiben oder nachweisbar per E-Mail erfolgen.
Reagiert der Arbeitgeber nicht oder unzureichend, haben Sie mehrere Handlungsoptionen. Sie können sich an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden, die den Arbeitgeber zur Einhaltung seiner Pflichten anhalten kann. Parallel dazu ist der Gang zum Arzt sinnvoll, um ein individuelles Beschäftigungsverbot prüfen zu lassen. In dringenden Fällen, wenn eine akute Gefährdung besteht, können Sie auch die Arbeit verweigern – allerdings sollte dieser Schritt gut abgewogen werden.
Wichtige Fristen und Zeiträume
Für das Beschäftigungsverbot selbst gibt es keine starren Antragsfristen. Es gilt ab dem Zeitpunkt, ab dem die Voraussetzungen vorliegen. Bei einem ärztlichen Beschäftigungsverbot ist dies das Ausstellungsdatum des Attests. Bei einem betrieblichen Beschäftigungsverbot gilt es ab dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitgeber aufgrund der Gefährdungsbeurteilung zur Erkenntnis hätte kommen müssen, dass keine ausreichenden Schutzmaßnahmen möglich sind.
Wichtig ist die zeitnahe Geltendmachung von Lohnansprüchen. Wenn Sie aufgrund eines nicht ausgesprochenen Beschäftigungsverbots weiterarbeiten mussten, obwohl ein Verbot hätte gelten müssen, können Ansprüche auf Schadensersatz entstehen. Diese unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Dennoch empfiehlt es sich, Ansprüche zeitnah geltend zu machen und alle Vorgänge sorgfältig zu dokumentieren.
Anspruch auf Mutterschutzlohn bei Beschäftigungsverbot
Eine der drängendsten Fragen bei einem Beschäftigungsverbot lautet: Was passiert mit meinem Gehalt? Das Mutterschutzgesetz gibt hier eine eindeutige Antwort: Sie haben Anspruch auf Mutterschutzlohn in voller Höhe Ihres bisherigen Durchschnittsverdienstes. Dieses finanzielle Sicherheitsnetz soll gewährleisten, dass schwangere Frauen nicht aus wirtschaftlichen Gründen auf den notwendigen Gesundheitsschutz verzichten müssen.
Der Mutterschutzlohn gemäß § 18 MuSchG entspricht dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt der letzten drei Monate vor Beginn der Schwangerschaft. Regelmäßige Zulagen, Provisionen und Sachbezüge werden dabei berücksichtigt. Einmalige Zahlungen wie Weihnachtsgeld oder Boni fließen anteilig ein. Der Arbeitgeber zahlt diesen Lohn zunächst aus, kann sich aber die Aufwendungen über das Umlageverfahren U2 von der Krankenkasse erstatten lassen.
Berechnung des Mutterschutzlohns im Detail
Die Berechnung des Mutterschutzlohns erfolgt nach einem festgelegten Schema. Grundlage sind die letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist. Bei wöchentlicher Abrechnung werden die letzten dreizehn Wochen herangezogen. Der Durchschnitt daraus ergibt den monatlichen Mutterschutzlohn.
Besonderheiten gelten bei variablen Gehaltsbestandteilen. Überstundenvergütungen werden berücksichtigt, wenn sie regelmäßig angefallen sind. Einmalige Sonderzahlungen werden auf den Berechnungszeitraum umgelegt. Bei Gehaltserhöhungen, die während des Beschäftigungsverbots eintreten, ist umstritten, ob der erhöhte Satz gezahlt werden muss – die Rechtsprechung tendiert hier zur Berücksichtigung, um Benachteiligungen zu vermeiden.
Unterschied zum Krankengeld und anderen Leistungen
Der Mutterschutzlohn ist nicht mit Krankengeld zu verwechseln. Krankengeld erhalten Sie von der Krankenkasse, wenn Sie arbeitsunfähig erkrankt sind. Der Mutterschutzlohn hingegen wird vom Arbeitgeber gezahlt und liegt deutlich höher als das Krankengeld, das nur etwa siebzig Prozent des Nettogehalts beträgt. Ein Beschäftigungsverbot ist daher finanziell deutlich günstiger als eine Krankschreibung.
Auch vom Mutterschaftsgeld unterscheidet sich der Mutterschutzlohn. Das Mutterschaftsgeld wird von der Krankenkasse während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt gezahlt und vom Arbeitgeber aufgestockt. Der Mutterschutzlohn hingegen gilt für die Zeit eines Beschäftigungsverbots außerhalb dieser Schutzfristen. In der Praxis kann es zu Überschneidungen kommen, etwa wenn ein Beschäftigungsverbot nahtlos in die Mutterschutzfrist übergeht.
Praxis-Tipp: Gehaltsabrechnungen prüfen
Überprüfen Sie Ihre Gehaltsabrechnungen während des Beschäftigungsverbots sorgfältig. Der Mutterschutzlohn muss dem Durchschnitt Ihrer letzten drei Monatsgehälter vor der Schwangerschaft entsprechen. Führen Sie eigene Berechnungen durch und reklamieren Sie Abweichungen sofort schriftlich. Viele Arbeitgeber berechnen den Mutterschutzlohn fehlerhaft zu niedrig.
Ärztliches Attest und individuelles Beschäftigungsverbot
Das ärztliche Beschäftigungsverbot bildet einen eigenständigen Schutzweg neben dem betrieblichen Verbot. Es wird von einem Arzt ausgesprochen, wenn die individuelle Gesundheitssituation der Schwangeren eine Fortführung der Tätigkeit nicht zulässt. Dabei kommt es auf die Wechselwirkung zwischen dem persönlichen Gesundheitszustand und den Arbeitsbedingungen an. Das ärztliche Attest entfaltet unmittelbare Wirkung – der Arbeitgeber muss es akzeptieren.
Im Kontext der Corona-Pandemie gewinnt das ärztliche Beschäftigungsverbot besondere Bedeutung. Wenn der Arbeitgeber keine oder unzureichende Schutzmaßnahmen ergreift, kann der behandelnde Arzt oder die Frauenärztin ein individuelles Verbot aussprechen. Auch bei Vorerkrankungen, die das Corona-Risiko erhöhen, oder bei besonderer psychischer Belastung durch die Pandemiesituation kann ein ärztliches Attest ausgestellt werden.
Anforderungen an ein wirksames ärztliches Attest
Ein ärztliches Beschäftigungsverbot muss bestimmte formale Anforderungen erfüllen. Es muss schriftlich erfolgen und die Art der untersagten Tätigkeit sowie den Umfang des Verbots klar benennen. Ein vollständiges Beschäftigungsverbot schließt jede Arbeit aus, während ein teilweises Verbot bestimmte Tätigkeiten oder Arbeitszeiten untersagen kann. Die medizinische Begründung muss für den Arbeitgeber nachvollziehbar sein.
Wichtig ist, dass das Attest nicht nur eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, sondern explizit ein Beschäftigungsverbot ausspricht. Die Formulierung ist entscheidend: Es muss hervorgehen, dass bei Fortsetzung der Beschäftigung eine Gefahr für die Gesundheit von Mutter oder Kind besteht. Ärzte sollten dabei konkret auf die Arbeitsbedingungen Bezug nehmen, etwa auf das erhöhte Infektionsrisiko durch Personenkontakte am Arbeitsplatz.
Welcher Arzt kann das Beschäftigungsverbot ausstellen?
Grundsätzlich kann jeder approbierte Arzt ein Beschäftigungsverbot ausstellen. In der Praxis sind es meist die behandelnde Frauenärztin oder der Hausarzt. Bei Corona-bezogenen Beschäftigungsverboten kann auch ein Arbeitsmediziner hinzugezogen werden, der die betrieblichen Verhältnisse besser einschätzen kann. Spezialisierte Pränatalzentren können bei Risikoschwangerschaften umfassende Atteste ausstellen.
Manche Ärzte sind zurückhaltend bei der Ausstellung von Beschäftigungsverboten, da sie Konflikte mit Arbeitgebern befürchten oder die arbeitsrechtliche Dimension unterschätzen. Hier kann es hilfreich sein, dem Arzt Informationsmaterial über die rechtlichen Grundlagen mitzubringen oder einen Arzt aufzusuchen, der Erfahrung mit arbeitsmedizinischen Fragestellungen hat. Das Beschäftigungsverbot ist keine Gefälligkeit des Arztes, sondern eine medizinisch begründete Schutzmaßnahme.
Beispiel: Krankenschwester mit Vorerkrankung
Eine schwangere Krankenschwester leidet an Asthma bronchiale. Ihre Frauenärztin stellt ein ärztliches Beschäftigungsverbot aus, da die Kombination aus Schwangerschaft, Vorerkrankung und dem erhöhten Corona-Expositionsrisiko auf der Station eine unverantwortbare Gefahr darstellt. Das Attest enthält die Diagnose, die Risikobewertung und die klare Aussage, dass bei Fortsetzung der Tätigkeit eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit von Mutter und Kind besteht. Der Arbeitgeber akzeptiert das Verbot und zahlt Mutterschutzlohn.
Homeoffice und alternative Arbeitsplätze als Schutzmaßnahme
Bevor ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Alternativen prüfen. Homeoffice hat sich dabei als eine der effektivsten Schutzmaßnahmen erwiesen. Wenn die Tätigkeit grundsätzlich von zu Hause aus erledigt werden kann, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese Option anzubieten. Das Infektionsrisiko sinkt auf nahezu null, während die Schwangere weiterhin produktiv arbeiten kann.
Die Corona-Pandemie hat die rechtliche Bewertung von Homeoffice verändert. Was früher als Vergünstigung galt, ist heute in vielen Bereichen eine arbeitsschutzrechtliche Notwendigkeit. Für schwangere Beschäftigte gilt dies in besonderem Maße. Arbeitgeber, die Homeoffice grundlos verweigern, obwohl die Tätigkeit dies zulässt, handeln pflichtwidrig. Die Schwangere kann dann auf einem betrieblichen Beschäftigungsverbot bestehen.
Besteht ein Rechtsanspruch auf Homeoffice?
Einen allgemeinen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice gibt es nicht. Allerdings ergibt sich aus dem Mutterschutzgesetz eine besondere Konstellation: Wenn Homeoffice die einzige Möglichkeit ist, die Schwangere vor einer Gefährdung zu schützen und gleichzeitig eine Beschäftigung zu ermöglichen, muss der Arbeitgeber diese Option anbieten. Andernfalls ist ein Beschäftigungsverbot mit vollem Lohnfortzahlungsanspruch die Konsequenz.
In der Praxis ist daher oft eine einvernehmliche Lösung im Interesse beider Seiten. Der Arbeitgeber vermeidet den vollständigen Ausfall der Arbeitskraft, die Schwangere behält ihre Arbeit und ihren gewohnten Tagesrhythmus. Die Vereinbarung über Homeoffice sollte schriftlich festgehalten werden und Regelungen zur Arbeitszeit, zur Erreichbarkeit und zur Ausstattung des heimischen Arbeitsplatzes enthalten.
Versetzung auf einen ungefährlichen Arbeitsplatz
Neben Homeoffice kommt auch die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb in Betracht. Dieser muss frei von den festgestellten Gefährdungen sein. Für eine schwangere Verkäuferin könnte dies etwa die Arbeit im Backoffice statt im Kundenkontakt sein. Eine schwangere Pflegekraft könnte in der Verwaltung eingesetzt werden, sofern entsprechende Tätigkeiten vorhanden sind.
Bei der Versetzung ist zu beachten, dass die Schwangere nicht schlechter gestellt werden darf. Gehalt, Arbeitszeit und wesentliche Arbeitsbedingungen müssen erhalten bleiben. Eine Versetzung gegen den Willen der Schwangeren ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig – nämlich dann, wenn sie der einzige Weg ist, sowohl den Gesundheitsschutz zu gewährleisten als auch eine Beschäftigung zu ermöglichen. In vielen Fällen werden sich Arbeitgeber und Schwangere auf eine einvernehmliche Lösung verständigen.
Praxis-Tipp: Homeoffice-Vereinbarung schriftlich fixieren
Wenn Sie ins Homeoffice wechseln, bestehen Sie auf einer schriftlichen Vereinbarung. Halten Sie fest, welche Tätigkeiten Sie von zu Hause aus erledigen, wie Ihre Arbeitszeit geregelt ist und wer für die Ausstattung des Arbeitsplatzes verantwortlich ist. Diese Vereinbarung schützt Sie vor späteren Streitigkeiten über Ihre Pflichten und Rechte.
Rechtsdurchsetzung bei Verweigerung durch den Arbeitgeber
Was tun, wenn der Arbeitgeber alle Schutzansprüche ignoriert? Wenn weder Schutzmaßnahmen ergriffen noch ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, obwohl die Voraussetzungen vorliegen? In solchen Situationen stehen schwangeren Beschäftigten mehrere Rechtswege offen. Der erste Schritt sollte immer die Einschaltung der Aufsichtsbehörde sein, da diese schnell und unbürokratisch handeln kann.
Die zuständige Aufsichtsbehörde ist je nach Bundesland das Gewerbeaufsichtsamt, das Amt für Arbeitsschutz oder die Bezirksregierung. Diese Behörden haben weitreichende Befugnisse: Sie können den Betrieb kontrollieren, Anordnungen treffen und bei Verstößen Bußgelder verhängen. Eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde ist kostenlos und kann telefonisch, schriftlich oder per E-Mail erfolgen. Der Arbeitgeber erfährt zwar von der Beschwerde, darf aber keine Nachteile gegenüber der Beschwerdeführerin ziehen.
Der Weg zu den Arbeitsgerichten
Wenn die behördliche Intervention nicht ausreicht oder der Arbeitgeber Gehaltszahlungen verweigert, bleibt der Gang zum Arbeitsgericht. Vor dem Arbeitsgericht können Sie feststellen lassen, dass ein Beschäftigungsverbot besteht, und Mutterschutzlohn einklagen. Im Eilverfahren (einstweilige Verfügung) können Sie eine schnelle Entscheidung erreichen, etwa wenn der Arbeitgeber Sie zu gefährdenden Tätigkeiten zwingen will.
Das Arbeitsgerichtsverfahren in erster Instanz ist für Arbeitnehmerinnen relativ risikoarm. Jede Partei trägt ihre eigenen Anwaltskosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Gerichtskosten fallen nur an, wenn der Rechtsstreit nicht durch Vergleich beendet wird. Viele Rechtsschutzversicherungen übernehmen die Kosten des Arbeitsgerichtsverfahrens. In komplexen Fällen kann auch Prozesskostenhilfe beantragt werden.
Der besondere Kündigungsschutz während der Schwangerschaft
Schwangere genießen einen weitreichenden Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG. Eine Kündigung während der Schwangerschaft und bis vier Monate nach der Entbindung ist grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn Sie ein Beschäftigungsverbot beantragt oder sich bei der Aufsichtsbehörde beschwert haben. Der Arbeitgeber darf Sie nicht für die Wahrnehmung Ihrer Rechte abstrafen.
Sollte der Arbeitgeber dennoch eine Kündigung aussprechen, ist diese in aller Regel unwirksam. Sie müssen allerdings innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Diese Frist ist unbedingt einzuhalten. Versäumen Sie sie, wird selbst eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung wirksam. Bei Zugang einer Kündigung sollten Sie daher sofort handeln und rechtliche Unterstützung suchen.
Checkliste: Vorgehen bei Verweigerung des Arbeitgebers
- Forderungen und Beschwerden immer schriftlich mit Fristsetzung formulieren
- Alle Schreiben, E-Mails und Gespräche sorgfältig dokumentieren
- Zuständige Aufsichtsbehörde informieren und um Intervention bitten
- Ärztliches Beschäftigungsverbot einholen, wenn betriebliches verweigert wird
- Bei Gehaltseinbußen Ansprüche schriftlich geltend machen
- Bei Kündigung sofort Kündigungsschutzklage prüfen lassen
- Fristen notieren und strikt einhalten
Die Durchsetzung Ihrer Rechte als Schwangere erfordert manchmal Beharrlichkeit und ein klares Auftreten. Das Mutterschutzgesetz bietet Ihnen einen starken rechtlichen Rahmen, der Sie und Ihr ungeborenes Kind wirksam schützt. Arbeitgeber, die gegen diese Schutzvorschriften verstoßen, handeln nicht nur rechtswidrig, sondern setzen sich erheblichen rechtlichen und finanziellen Risiken aus. In den allermeisten Fällen führt eine klare Kommunikation der Rechtslage zu einer einvernehmlichen Lösung – sei es durch Schutzmaßnahmen, Homeoffice oder ein Beschäftigungsverbot mit vollem Lohnausgleich.
