Voraussetzungen für eine Bewährungsstrafe
Das Urteil ist gefallen: Freiheitsstrafe. Doch dann folgt der entscheidende Satz – „zur Bewährung ausgesetzt". Was für viele Angeklagte wie ein Freispruch zweiter Klasse klingt, ist tatsächlich eine zweite Chance. Keine Gefängnistür, die sich hinter Ihnen schließt. Kein Verlust von Arbeit, Familie und sozialem Umfeld. Stattdessen die Möglichkeit, sich in Freiheit zu bewähren. Doch diese Chance hat ihren Preis – und klare Bedingungen.
Die gesetzliche Grundlage für Bewährungsstrafen findet sich in § 56 des Strafgesetzbuches (StGB). Danach kann das Gericht die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Erwartung bezeichnet die Rechtsprechung als „positive Sozialprognose" – ein Begriff, der über Freiheit oder Gefängnis entscheiden kann.
Die Strafobergrenze für eine Bewährung
Nicht jede Freiheitsstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gesetz unterscheidet dabei nach der Höhe der verhängten Strafe und stellt unterschiedliche Anforderungen. Bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ist die Aussetzung zur Bewährung der Regelfall, sofern die positive Sozialprognose vorliegt. Das Gericht muss hier lediglich davon ausgehen, dass Sie sich künftig straffrei führen werden.
Bei Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren wird es komplizierter. Hier reicht die positive Sozialprognose allein nicht mehr aus. Zusätzlich müssen „besondere Umstände" vorliegen, die eine Bewährung trotz der höheren Strafe rechtfertigen. Solche Umstände können etwa eine besondere Tatmotivation, erhebliche Wiedergutmachungsbemühungen oder außergewöhnliche persönliche Belastungen sein. Ab einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ist eine Bewährung grundsätzlich ausgeschlossen – dann führt kein Weg am Strafvollzug vorbei.
Faktoren der Sozialprognose
Die positive Sozialprognose ist das Herzstück jeder Bewährungsentscheidung. Das Gericht prüft dabei eine Vielzahl von Faktoren aus Ihrem Leben. Zentral ist zunächst Ihre Persönlichkeit: Wie sind Sie bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten? Handelt es sich um eine Ersttat oder haben Sie bereits Vorstrafen? Ein bislang straffreies Leben spricht deutlich für eine Bewährung.
Ebenso wichtig sind Ihre sozialen Verhältnisse. Ein stabiles Umfeld mit fester Arbeitsstelle, geregeltem Einkommen und funktionierenden familiären Beziehungen signalisiert dem Gericht, dass Sie in der Gesellschaft verankert sind. Auch Ihr Verhalten nach der Tat fließt in die Prognose ein: Haben Sie sich um Wiedergutmachung bemüht? Zeigen Sie echte Reue? Haben Sie vielleicht bereits freiwillig eine Therapie begonnen? All diese Faktoren können den Ausschlag zugunsten einer Bewährung geben – oder eben dagegen.
Praxis-Tipp: Positive Faktoren frühzeitig dokumentieren
Sammeln Sie bereits vor der Hauptverhandlung alle Nachweise, die für eine positive Sozialprognose sprechen: Arbeitsverträge, Weiterbildungszertifikate, Bescheinigungen über Therapien oder ehrenamtliches Engagement. Diese Dokumente können dem Gericht vorgelegt werden und die Bewährungsentscheidung maßgeblich beeinflussen.
Dauer der Bewährungszeit und Fristen
Mit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung beginnt eine Zeit der Prüfung. Das Gericht legt eine konkrete Bewährungszeit fest, während der Sie sich straffrei führen und alle Auflagen erfüllen müssen. Diese Phase ist kein Geschenk, sondern eine ernsthafte Bewährungsprobe, die mit erheblichen Einschränkungen verbunden sein kann. Die Länge dieser Zeit ist dabei kein Zufall, sondern wird vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt.
Nach § 56a StGB beträgt die Bewährungszeit mindestens zwei und höchstens fünf Jahre. Das Gericht bestimmt die konkrete Dauer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Je schwerer die Tat, je ungünstiger die Prognose und je höher die ursprüngliche Strafe, desto länger wird in der Regel die Bewährungszeit ausfallen. Bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren wird das Gericht typischerweise eine längere Bewährungszeit festsetzen als bei einer Strafe von sechs Monaten.
Verlängerung und Verkürzung der Bewährungszeit
Die einmal festgesetzte Bewährungszeit ist nicht in Stein gemeißelt. Das Gericht kann sie nachträglich verlängern, wenn sich herausstellt, dass die ursprüngliche Dauer nicht ausreicht, um den Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten. Eine Verlängerung kommt insbesondere in Betracht, wenn Sie gegen Auflagen verstoßen haben oder neue Straftaten begangen wurden, die jedoch noch keinen vollständigen Widerruf rechtfertigen.
Umgekehrt ist auch eine vorzeitige Beendigung der Bewährungszeit möglich. Nach § 56g StGB kann das Gericht die Strafe erlassen, wenn die Bewährungszeit zur Hälfte verstrichen ist und zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne weitere Überwachung keine neuen Straftaten begehen wird. Dies setzt voraus, dass Sie sich während der bisherigen Bewährungszeit tadellos geführt haben und besondere Umstände einen vorzeitigen Straferlass rechtfertigen. In der Praxis wird diese Möglichkeit jedoch zurückhaltend genutzt.
Beginn der Bewährungszeit und Rechtskraft
Die Bewährungszeit beginnt mit der Rechtskraft des Urteils – ein Punkt, der häufig zu Missverständnissen führt. Rechtskraft tritt ein, wenn gegen das Urteil kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann oder alle Rechtsmittel erschöpft sind. Legen Sie also Berufung oder Revision ein, verschiebt sich der Beginn der Bewährungszeit entsprechend. Erst wenn das letzte Rechtsmittel entschieden ist oder die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, beginnt die Uhr zu ticken.
Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen der Bewährungszeit und etwaigen Fristen für Auflagen. Das Gericht kann Ihnen etwa auferlegen, einen bestimmten Geldbetrag innerhalb von sechs Monaten an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Diese Frist läuft unabhängig von der Gesamtbewährungszeit und muss strikt eingehalten werden. Versäumen Sie eine solche Frist, kann dies bereits Konsequenzen haben, auch wenn die eigentliche Bewährungszeit noch lange nicht abgelaufen ist.
Beispiel: Bewährungszeit bei Berufungsverfahren
Herr M. wird im Oktober zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre festgesetzt. Da Herr M. mit der Strafhöhe nicht einverstanden ist, legt er Berufung ein. Das Berufungsverfahren dauert bis März des Folgejahres. Erst als das Berufungsgericht das Urteil bestätigt und Herr M. keine Revision einlegt, wird das Urteil rechtskräftig. Die dreijährige Bewährungszeit beginnt daher nicht im Oktober, sondern erst im März – ein halbes Jahr später als viele Verurteilte erwarten würden.
Auflagen und Weisungen während der Bewährung
Eine Bewährungsstrafe bedeutet Freiheit – aber keine unbeschränkte Freiheit. Das Gericht kann und wird in den meisten Fällen Auflagen und Weisungen erteilen, die Sie während der gesamten Bewährungszeit einhalten müssen. Diese Maßnahmen dienen zwei Zwecken: Sie sollen die Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens fördern und gleichzeitig erzieherisch auf Sie einwirken, um weitere Straftaten zu verhindern.
Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen Auflagen nach § 56b StGB und Weisungen nach § 56c StGB. Der Unterschied liegt im Wesentlichen in der Zielrichtung: Auflagen dienen der Genugtuung für das begangene Unrecht, während Weisungen spezialpräventiv wirken und künftigen Straftaten vorbeugen sollen. In der Praxis werden beide Instrumente häufig kombiniert, um eine möglichst effektive Einwirkung auf den Verurteilten zu erreichen.
Typische Auflagen gemäß § 56b StGB
Die klassische Auflage ist die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung. Diese „Bewährungsauflage" orientiert sich an Ihren wirtschaftlichen Verhältnissen und kann von wenigen hundert bis zu mehreren tausend Euro reichen. Das Gericht bestimmt eine Frist, innerhalb der die Zahlung erfolgen muss. Können Sie nicht zahlen, müssen Sie dies dem Gericht unverzüglich mitteilen – Schweigen wird als Verweigerung gewertet.
Eine weitere häufige Auflage ist die Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens. Dies kann die Zahlung von Schadensersatz an das Opfer sein, aber auch andere Formen der Wiedergutmachung umfassen. Bei Verkehrsdelikten wird manchmal die Teilnahme an einem Verkehrssicherheitstraining auferlegt, bei Suchtdelikten die Durchführung einer Entgiftungs- oder Entwöhnungsbehandlung. Die Erbringung gemeinnütziger Arbeit ist ebenfalls eine verbreitete Auflage, insbesondere bei jüngeren Verurteilten oder Personen mit geringem Einkommen.
Weisungen zur Lebensführung gemäß § 56c StGB
Weisungen greifen tiefer in Ihre Lebensführung ein als Auflagen. Das Gericht kann Ihnen etwa vorschreiben, bestimmte Orte zu meiden – typischerweise Orte, an denen die Straftat begangen wurde oder an denen die Gefahr neuer Straftaten besonders hoch ist. Bei Sexualdelikten kann dies das Verbot sein, sich Schulen oder Kindergärten zu nähern. Bei Gewaltdelikten das Verbot, bestimmte Lokale aufzusuchen.
Auch Kontaktverbote sind häufige Weisungen. Sie dürfen dann keinen Kontakt zu bestimmten Personen aufnehmen – etwa zu Mittätern, zu Angehörigen krimineller Milieus oder auch zum Opfer der Straftat. Die Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen, kann bei entsprechender Indikation ebenfalls erteilt werden. Bei Suchtproblemen kommt eine Entziehungskur in Betracht, bei psychischen Auffälligkeiten eine Psychotherapie. Das Gericht kann Sie auch verpflichten, jeden Wohnortwechsel oder Arbeitsplatzwechsel unverzüglich mitzuteilen.
Checkliste: Häufige Auflagen und Weisungen
- Zahlung eines Geldbetrages an gemeinnützige Einrichtung (Frist beachten!)
- Wiedergutmachung des Schadens gegenüber dem Opfer
- Ableistung gemeinnütziger Arbeitsstunden
- Kontaktverbot zu bestimmten Personen
- Aufenthaltsverbot für bestimmte Orte oder Gebiete
- Meldepflicht bei Wohnungs- oder Arbeitsplatzwechsel
- Teilnahme an Therapie oder Beratung
- Regelmäßige Meldung beim Bewährungshelfer
Bewährungshelfer: Aufgaben und Zusammenarbeit
In vielen Bewährungsfällen ordnet das Gericht einen Bewährungshelfer an. Dies geschieht nach § 56d StGB insbesondere dann, wenn davon auszugehen ist, dass Sie Hilfe und Betreuung benötigen, um künftig straffrei zu leben. Der Bewährungshelfer ist kein Aufpasser, sondern primär ein Unterstützer – auch wenn diese Unterscheidung in der Praxis manchmal verschwimmt. Die Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer kann über Erfolg oder Scheitern Ihrer Bewährung entscheiden.
Die Unterstellung unter einen Bewährungshelfer ist bei Verurteilten unter 27 Jahren in der Regel obligatorisch. Bei älteren Verurteilten liegt die Entscheidung im Ermessen des Gerichts, wobei die Anordnung umso wahrscheinlicher wird, je instabiler Ihre Lebensverhältnisse sind. Der Bewährungshelfer wird vom Gericht bestellt und ist organisatorisch bei den Sozialdiensten der Justiz angesiedelt. Er ist sowohl Ihnen gegenüber zum Beistand verpflichtet als auch dem Gericht gegenüber zur Berichterstattung.
Die konkreten Aufgaben des Bewährungshelfers
Der Bewährungshelfer soll Ihnen bei der Bewältigung von Problemen helfen, die einer straffreien Lebensführung im Wege stehen könnten. Dies umfasst praktische Hilfe bei der Arbeitssuche, der Wohnungssuche oder der Schuldenregulierung ebenso wie psychosoziale Unterstützung in Krisensituationen. Der Bewährungshelfer kann Sie zu Behördengängen begleiten, bei Anträgen helfen oder Kontakte zu anderen Hilfseinrichtungen vermitteln.
Gleichzeitig überwacht der Bewährungshelfer, ob Sie die gerichtlichen Auflagen und Weisungen einhalten. Er führt regelmäßige Gespräche mit Ihnen und erstellt Berichte an das Gericht über den Verlauf der Bewährung. Diese Berichte sind von erheblicher Bedeutung: Positive Berichte können zu einer vorzeitigen Beendigung der Bewährung führen, negative Berichte hingegen Konsequenzen bis hin zum Widerruf auslösen. Der Bewährungshelfer bewegt sich damit in einem Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle.
Pflichten bei der Zusammenarbeit
Wenn das Gericht einen Bewährungshelfer bestellt hat, sind Sie zur Zusammenarbeit verpflichtet. Dies bedeutet konkret, dass Sie vereinbarte Termine einhalten müssen, auf Kontaktaufnahmen reagieren und dem Bewährungshelfer wahrheitsgemäß Auskunft über Ihre Lebensumstände geben müssen. Erscheinen Sie wiederholt nicht zu Terminen oder verweigern Sie die Kommunikation, wird dies dem Gericht gemeldet.
Die Häufigkeit der Kontakte variiert je nach Einzelfall. Zu Beginn der Bewährungszeit sind oft wöchentliche oder zweiwöchentliche Termine üblich, später können die Abstände größer werden, wenn die Bewährung positiv verläuft. Der Bewährungshelfer kann auch Hausbesuche durchführen, was jedoch angekündigt werden muss. Grundsätzlich gilt: Je kooperativer Sie sich zeigen, desto entspannter wird die Zusammenarbeit. Widerstand hingegen weckt Misstrauen und kann die gesamte Bewährung gefährden.
Praxis-Tipp: Den Bewährungshelfer als Ressource nutzen
Sehen Sie den Bewährungshelfer nicht als Feind, sondern als Verbündeten. Sprechen Sie offen über Probleme – sei es bei der Arbeit, in der Beziehung oder mit Suchtmitteln. Der Bewährungshelfer hat Schweigepflicht und muss dem Gericht nicht jedes Detail berichten. Er kann Ihnen oft konkret helfen oder zumindest vermitteln. Wer sich aktiv um seine Probleme kümmert, zeigt genau das Verhalten, das das Gericht sehen will.
Verstöße gegen die Bewährung und Konsequenzen
Die Bewährung ist keine Einbahnstraße. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, riskiert ernsthafte Konsequenzen – bis hin zur Vollstreckung der ursprünglichen Freiheitsstrafe. Dabei unterscheidet das Gesetz verschiedene Arten von Verstößen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen. Nicht jeder Fehltritt führt automatisch ins Gefängnis, aber jeder Verstoß wird registriert und kann in der Gesamtschau den Ausschlag geben.
Grundsätzlich kommen drei Arten von Verstößen in Betracht: die Nichterfüllung von Auflagen, die Missachtung von Weisungen und die Begehung neuer Straftaten. Während bei den ersten beiden Varianten dem Gericht ein gewisser Ermessensspielraum bleibt, wiegt die Begehung neuer Straftaten besonders schwer und führt häufig zum vollständigen Widerruf der Bewährung. Die genauen Rechtsfolgen richten sich nach § 56f StGB.
Verstöße gegen Auflagen und Weisungen
Wenn Sie eine Auflage nicht erfüllen – etwa den Geldbetrag nicht zahlen oder die gemeinnützige Arbeit nicht ableisten – muss das Gericht zunächst prüfen, ob Sie die Nichterfüllung zu vertreten haben. Waren Sie aus finanziellen Gründen nicht in der Lage zu zahlen und haben dies dem Gericht mitgeteilt, wird anders entschieden als bei jemandem, der trotz Fähigkeit einfach nicht zahlt. Das Gericht kann die Auflage ändern, die Frist verlängern oder zusätzliche Weisungen erteilen.
Bei groben oder beharrlichen Verstößen gegen Auflagen oder Weisungen kann das Gericht die Bewährung widerrufen. „Grob" bedeutet dabei ein erheblicher Verstoß, „beharrlich" meint wiederholte Verstöße trotz Ermahnung. In der Praxis wird das Gericht vor einem Widerruf meist zunächst andere Maßnahmen ergreifen: eine förmliche Verwarnung aussprechen, die Bewährungszeit verlängern oder einen Bewährungshelfer bestellen, sofern noch keiner vorhanden ist. Der Widerruf ist das letzte Mittel.
Neue Straftaten während der Bewährungszeit
Die Begehung einer neuen Straftat während der Bewährungszeit ist der schwerwiegendste Verstoß. Sie zeigt dem Gericht, dass die ursprüngliche Prognose – Sie würden sich die Verurteilung zur Warnung dienen lassen – nicht eingetroffen ist. Nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte während der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.
Allerdings führt nicht jede neue Straftat automatisch zum Widerruf. Das Gericht muss prüfen, ob zwischen der neuen Tat und der ursprünglichen Prognose ein Zusammenhang besteht. Eine geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeit wird anders bewertet als ein schweres Eigentumsdelikt. Auch die Art der ursprünglichen Tat spielt eine Rolle: Wer wegen Betrugs verurteilt wurde und nun einen Diebstahl begeht, muss eher mit einem Widerruf rechnen als jemand, der nach einer Körperverletzung eine fahrlässige Tat im Straßenverkehr begeht.
Beispiel: Unterschiedliche Bewertung neuer Straftaten
Frau K. wurde wegen wiederholten Ladendiebstahls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Während der Bewährungszeit wird sie bei einem erneuten Diebstahl erwischt. Das Gericht widerruft die Bewährung: Die neue Tat zeigt, dass Frau K. ihre Diebstahlsneigung nicht überwunden hat. – Anders Herr B.: Er wurde wegen Körperverletzung verurteilt und begeht während der Bewährungszeit eine Geschwindigkeitsübertretung mit Fahrverbot. Das Gericht sieht keinen Zusammenhang zur ursprünglichen Gewalttat und belässt es bei einer Ermahnung. Die Bewährung läuft weiter.
Bewährungswiderruf: Ablauf und Verteidigung
Der Bewährungswiderruf ist die schärfste Konsequenz – und bedeutet, dass die ursprüngliche Freiheitsstrafe nun doch vollstreckt wird. Das Gericht, das die Bewährung ausgesprochen hat, entscheidet auch über den Widerruf. Diese Entscheidung ergeht durch Beschluss, nicht durch Urteil. Sie haben jedoch die Möglichkeit, sich gegen den Widerruf zu wehren, und sollten diese Möglichkeit unbedingt nutzen, wenn Sie Argumente auf Ihrer Seite haben.
Vor dem Widerruf muss das Gericht Sie anhören – entweder schriftlich oder in einer mündlichen Anhörung. Diese Anhörung ist Ihre Gelegenheit, die Umstände aus Ihrer Sicht darzulegen und Gründe vorzubringen, die gegen einen Widerruf sprechen. Machen Sie von diesem Recht Gebrauch und bereiten Sie sich sorgfältig vor. Legen Sie dar, warum trotz des Verstoßes die Aussicht besteht, dass Sie sich künftig straffrei führen werden.
Rechtsmittel gegen den Widerruf
Gegen den Widerrufsbeschluss können Sie sofortige Beschwerde einlegen. Die Frist dafür beträgt eine Woche ab Zustellung des Beschlusses. Diese Frist ist knapp bemessen und darf auf keinen Fall versäumt werden. Die Beschwerde muss schriftlich beim Gericht eingehen, das den Beschluss erlassen hat. Hilft dieses Gericht der Beschwerde nicht ab, legt es die Sache dem nächsthöheren Gericht vor.
Die Beschwerde kann auf verschiedene Argumente gestützt werden: Das Gericht hat den Sachverhalt falsch festgestellt, die rechtliche Bewertung ist fehlerhaft, oder das Ermessen wurde nicht richtig ausgeübt. Auch neue Tatsachen, die für Sie sprechen, können vorgebracht werden. Bis zur Entscheidung über die Beschwerde wird die Vollstreckung der Strafe in der Regel ausgesetzt – Sie bleiben also zunächst in Freiheit. Allerdings kann das Gericht auch die sofortige Vollziehung anordnen, wenn Fluchtgefahr besteht.
Die Möglichkeit des Teilwiderrufs
Wenig bekannt ist, dass das Gericht die Bewährung auch nur teilweise widerrufen kann. Nach § 56f Abs. 2 StGB kann das Gericht statt des vollständigen Widerrufs zunächst weniger einschneidende Maßnahmen ergreifen: die Bewährungszeit verlängern (bis zur Höchstgrenze von fünf Jahren), weitere Auflagen oder Weisungen erteilen oder einen Bewährungshelfer bestellen. Erst wenn diese milderen Mittel aussichtslos erscheinen, kommt der vollständige Widerruf in Betracht.
Auch ein echter Teilwiderruf ist möglich: Das Gericht kann anordnen, dass nur ein Teil der Strafe vollstreckt wird und der Rest weiter zur Bewährung ausgesetzt bleibt. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn zwar ein Verstoß vorliegt, dieser aber nicht so schwer wiegt, dass die gesamte ursprüngliche Prognose hinfällig wäre. Ein Teilwiderruf mit Verbüßung einiger Monate kann als „Schuss vor den Bug" dienen, ohne die Resozialisierung vollständig zu zerstören.
Geldstrafe zur Bewährung ausgesetzt
Die Bewährung kennt man vor allem im Zusammenhang mit Freiheitsstrafen – weniger bekannt ist, dass auch Geldstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können. Dies geschieht nach § 59 StGB durch die sogenannte „Verwarnung mit Strafvorbehalt". Das Gericht verwarnt den Angeklagten zwar, setzt die Geldstrafe aber nicht fest. Bewährt sich der Verurteilte, entfällt die Strafe vollständig.
Die Verwarnung mit Strafvorbehalt kommt nur bei Geldstrafen von höchstens 180 Tagessätzen in Betracht. Zusätzlich müssen besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters vorliegen, die eine Verurteilung zur Geldstrafe als nicht erforderlich erscheinen lassen. In der Praxis wird dieses Instrument selten genutzt – die meisten Gerichte verhängen lieber eine niedrige Geldstrafe als eine Verwarnung mit Strafvorbehalt.
Unterschiede zur Bewährung bei Freiheitsstrafen
Die Bewährungszeit bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt beträgt zwischen einem und drei Jahren – sie ist damit kürzer als bei der Strafaussetzung zur Bewährung. Auch das Instrumentarium an Auflagen und Weisungen ist eingeschränkt: Das Gericht kann zwar ähnliche Auflagen erteilen wie bei der Strafaussetzung, diese sind aber in der Regel weniger einschneidend. Ein Bewährungshelfer wird bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt praktisch nie bestellt.
Verstößt der Verurteilte gegen Auflagen oder begeht er eine neue Straftat, kann das Gericht die Geldstrafe nachträglich festsetzen. Die Strafe, die ursprünglich nur im Raum stand, wird dann konkret und vollstreckbar. Allerdings hat das Gericht auch hier Ermessensspielraum: Nicht jeder Verstoß führt zur Verurteilung. Das Gericht kann auch die Bewährungszeit verlängern oder zusätzliche Auflagen erteilen, bevor es zur endgültigen Verurteilung kommt.
Praxis-Tipp: Verwarnung mit Strafvorbehalt aktiv ansprechen
Wenn Sie wegen einer Tat angeklagt sind, die eine Geldstrafe von maximal 180 Tagessätzen erwarten lässt, können Sie eine Verwarnung mit Strafvorbehalt anregen. Argumentieren Sie mit Ihrer bisherigen Straffreiheit, der Geringfügigkeit der Tat und Ihrer stabilen Lebenssituation. Für das Führungszeugnis ist die Verwarnung günstiger als eine Geldstrafe – nach erfolgreicher Bewährung erscheint kein Eintrag.
Was passiert nach Ablauf der Bewährungszeit
Wenn die Bewährungszeit ohne Zwischenfälle abläuft, folgt der Moment, auf den Sie die gesamte Zeit hingearbeitet haben: Der Straferlass. Das Gericht erlässt die Strafe, wenn sich der Verurteilte während der Bewährungszeit bewährt hat. Diese Entscheidung ergeht durch Beschluss und wird Ihnen zugestellt. Mit dem Straferlass ist die Sache endgültig erledigt – die Strafe wird nicht mehr vollstreckt, und Sie gelten als nicht vorbestraft im Sinne einer verbüßten Freiheitsstrafe.
Der Straferlass erfolgt in der Regel von Amts wegen, Sie müssen also keinen Antrag stellen. Das Gericht prüft nach Ablauf der Bewährungszeit, ob Sie die Auflagen erfüllt haben und keine neuen Erkenntnisse gegen den Straferlass sprechen. In den meisten Fällen erhalten Sie einige Wochen nach Ende der Bewährungszeit einen kurzen Beschluss, der die Strafe für erlassen erklärt. Damit ist die Angelegenheit abgeschlossen.
Auswirkungen auf das Führungszeugnis
Auch nach erfolgreichem Abschluss der Bewährungszeit bleibt die Verurteilung nicht spurlos. Sie wird im Bundeszentralregister eingetragen und erscheint – je nach Strafhöhe – auch im Führungszeugnis. Bei Freiheitsstrafen von mehr als drei Monaten (auch zur Bewährung) erfolgt grundsätzlich ein Eintrag im Führungszeugnis. Bei Strafen bis zu 90 Tagessätzen Geldstrafe oder bis zu drei Monaten Freiheitsstrafe bleibt das Führungszeugnis hingegen oft frei, sofern keine Vorstrafen bestehen.
Die Tilgungsfristen im Bundeszentralregister richten sich nach der Schwere der Verurteilung. Bei einer Bewährungsstrafe, die erlassen wurde, beträgt die Tilgungsfrist in der Regel fünf Jahre ab Rechtskraft des Urteils. Nach Ablauf dieser Frist wird die Verurteilung aus dem Register gelöscht und erscheint auch nicht mehr im erweiterten Führungszeugnis. Bis dahin müssen Sie die Verurteilung bei entsprechenden Nachfragen – etwa durch Arbeitgeber – unter Umständen angeben.
Vorzeitiger Straferlass als Möglichkeit
Sie müssen nicht zwingend die gesamte Bewährungszeit abwarten. Nach § 56g Abs. 1 StGB kann das Gericht die Strafe bereits vorzeitig erlassen, wenn die Hälfte der Bewährungszeit verstrichen ist und zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne weitere Überwachung keine Straftaten mehr begehen wird. Dies setzt eine außergewöhnlich positive Entwicklung voraus – bloße Unauffälligkeit reicht nicht aus.
Der vorzeitige Straferlass kommt insbesondere in Betracht, wenn Sie alle Auflagen vorzeitig erfüllt haben, sich vorbildlich geführt haben und besondere Umstände vorliegen, die eine weitere Überwachung entbehrlich erscheinen lassen. In der Praxis ist der vorzeitige Straferlass jedoch selten. Die meisten Gerichte warten lieber den regulären Ablauf der Bewährungszeit ab. Schaden kann ein entsprechender Antrag jedoch nicht – im schlimmsten Fall wird er abgelehnt, und Sie warten einfach das Ende der regulären Bewährungszeit ab.
Checkliste: Erfolgreicher Abschluss der Bewährung
- Alle gerichtlichen Auflagen fristgerecht erfüllen (Zahlungen, Arbeitsstunden etc.)
- Sämtliche Weisungen durchgehend einhalten (Kontaktverbote, Ortsbeschränkungen)
- Keine neuen Straftaten begehen – auch keine Bagatelldelikte
- Termine beim Bewährungshelfer zuverlässig wahrnehmen
- Änderungen der Lebensumstände (Umzug, Jobwechsel) dem Gericht mitteilen
- Bei Problemen frühzeitig Kontakt zum Bewährungshelfer oder Gericht aufnehmen
- Nach Ablauf der Bewährungszeit auf den Straferlassbeschluss warten
Beispiel: Der lange Weg zur Straffreiheit
Herr T. wurde wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Als Auflagen wurden ihm die Zahlung von 2.000 Euro an eine Opferhilfeorganisation und monatliche Gespräche mit einem Bewährungshelfer auferlegt. Herr T. zahlte den Betrag in Raten innerhalb des ersten Jahres, erschien zuverlässig zu allen Terminen und blieb straffrei. Nach Ablauf der drei Jahre erhielt er den Beschluss über den Straferlass. Fünf Jahre nach der Rechtskraft des Urteils wurde die Eintragung aus dem Bundeszentralregister getilgt – Herr T. gilt nun als nicht vorbestraft.
