Rechtslage: Cannabis auf Rezept und Straßenverkehr
Die Polizeikontrolle verläuft routiniert – bis der Drogentest anschlägt. THC positiv. Doch Sie haben ein ärztliches Rezept für medizinisches Cannabis. Was nun? Dürfen Sie überhaupt fahren? Diese Situation erleben täglich Cannabis-Patienten in Deutschland, und die rechtliche Antwort ist komplexer als ein einfaches Ja oder Nein.
Seit März 2017 ist Cannabis als Medizin in Deutschland legal erhältlich. Das Betäubungsmittelgesetz wurde entsprechend angepasst, sodass Ärzte Cannabisblüten und -extrakte auf einem speziellen Betäubungsmittelrezept verschreiben können. Doch die Frage der Fahrtüchtigkeit wurde dabei nicht eindeutig geregelt – ein rechtliches Graufeld, das für erhebliche Unsicherheit sorgt.
Das Straßenverkehrsgesetz unterscheidet grundsätzlich zwischen illegalem Cannabiskonsum und der bestimmungsgemäßen Einnahme eines ärztlich verordneten Medikaments. Paragraph 24a des Straßenverkehrsgesetzes, der das Fahren unter Drogeneinfluss sanktioniert, enthält eine wichtige Ausnahme: Die Vorschrift gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Diese Privilegierung ist der rechtliche Anker für Cannabis-Patienten im Straßenverkehr.
Gesetzliche Grundlagen im Überblick
Die rechtliche Beurteilung basiert auf mehreren Gesetzeswerken, die zusammen betrachtet werden müssen. Das Betäubungsmittelgesetz legitimiert zunächst den Besitz und Konsum von Cannabis bei entsprechender ärztlicher Verordnung. Das Straßenverkehrsgesetz regelt die Teilnahme am Straßenverkehr unter Substanzeinfluss, während die Fahrerlaubnis-Verordnung die grundsätzliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen definiert.
Entscheidend ist dabei die Unterscheidung zwischen ordnungswidrigem Verhalten nach Paragraph 24a StVG und der grundsätzlichen Fahreignung nach der Fahrerlaubnis-Verordnung. Während die Ordnungswidrigkeit bei bestimmungsgemäßer Medikamenteneinnahme entfällt, bleibt die Frage der Fahreignung davon unberührt. Ein Patient kann also von der Ordnungswidrigkeit befreit sein und dennoch als nicht fahrgeeignet eingestuft werden.
Unterschied zwischen illegalem und medizinischem Konsum
Aus toxikologischer Sicht wirkt Cannabis identisch – unabhängig davon, ob es in der Apotheke erworben oder illegal beschafft wurde. Die psychoaktiven Substanzen, insbesondere THC, entfalten dieselbe Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Dennoch macht das Gesetz einen entscheidenden Unterschied in der rechtlichen Bewertung.
Bei illegalem Konsum gilt ein strikter Grenzwert von einem Nanogramm THC pro Milliliter Blut. Wird dieser überschritten, liegt automatisch eine Ordnungswidrigkeit vor – unabhängig davon, ob tatsächlich eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit vorliegt. Bei medizinischem Cannabis hingegen kommt es auf die individuelle Beeinträchtigung an. Der bloße Nachweis von THC im Blut begründet noch keinen Verstoß.
Praxis-Tipp: Dokumentation der ärztlichen Verordnung mitführen
Führen Sie bei jeder Fahrt eine Kopie Ihres aktuellen Betäubungsmittelrezepts oder eine ärztliche Bescheinigung über die Cannabis-Therapie mit. Bei einer Kontrolle können Sie so unmittelbar nachweisen, dass Ihr Konsum auf ärztlicher Verordnung beruht. Bewahren Sie auch die Apothekenquittungen der letzten Wochen auf, um die regelmäßige, bestimmungsgemäße Einnahme zu dokumentieren.
Voraussetzungen für das Autofahren mit medizinischem Cannabis
Die Privilegierung von Cannabis-Patienten im Straßenverkehr ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Nicht jeder Patient mit einem Rezept darf automatisch ein Fahrzeug führen. Vielmehr müssen mehrere Bedingungen kumulativ erfüllt sein, damit die Teilnahme am Straßenverkehr rechtlich zulässig ist.
Zunächst muss eine wirksame ärztliche Verordnung vorliegen. Das Cannabis muss auf einem ordnungsgemäßen Betäubungsmittelrezept verschrieben sein, und die Einnahme muss bestimmungsgemäß erfolgen – also in der verordneten Dosierung und zu den vorgesehenen Zeiten. Eine Überdosierung oder der Konsum außerhalb der ärztlichen Anweisung würde die Privilegierung aufheben.
Die zentrale Voraussetzung ist jedoch die tatsächliche Fahrtüchtigkeit. Der Patient muss in der Lage sein, das Fahrzeug sicher zu führen. Diese Fähigkeit kann durch die Medikation selbst, aber auch durch die Grunderkrankung beeinträchtigt sein. Die Selbsteinschätzung des Patienten spielt hier eine wichtige Rolle, ist aber nicht allein maßgeblich.
Die kritische Einstellungsphase der Therapie
Zu Beginn einer Cannabis-Therapie durchläuft jeder Patient eine Einstellungsphase. In dieser Zeit wird die optimale Dosierung ermittelt, und der Körper gewöhnt sich an die Substanz. Während dieser Phase ist das Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich untersagt. Die Dauer variiert individuell und kann mehrere Wochen betragen.
Erst wenn eine stabile Einstellung erreicht ist und keine relevanten Nebenwirkungen mehr auftreten, kann das Autofahren wieder in Betracht gezogen werden. Der behandelnde Arzt muss diese Stabilität bestätigen. Auch bei jeder Dosisänderung beginnt faktisch eine neue Einstellungsphase, während der erhöhte Vorsicht geboten ist.
Pflicht zur Selbsteinschätzung der Fahrtüchtigkeit
Anders als bei einem festen Promillegrenzwert für Alkohol gibt es bei medizinischem Cannabis keine starre Obergrenze. Stattdessen ist der Patient verpflichtet, vor jeder Fahrt seine eigene Fahrtüchtigkeit kritisch zu beurteilen. Diese Selbsteinschätzung ist keine bloße Empfehlung, sondern eine rechtliche Pflicht.
Relevante Faktoren sind dabei die Zeit seit der letzten Einnahme, das subjektive Befinden, die Art der bevorstehenden Fahrt und äußere Umstände wie Müdigkeit oder Stress. Wer trotz erkennbarer Beeinträchtigung fährt, verliert den rechtlichen Schutz der Medikamentenprivilegierung und kann wie ein illegaler Konsument behandelt werden.
Beispiel: Fahrt nach morgendlicher Cannabis-Einnahme
Ein Patient nimmt morgens seine verordnete Cannabis-Dosis ein und möchte zwei Stunden später zur Arbeit fahren. Er fühlt sich leicht benommen und reagiert verzögert auf Reize. In diesem Fall ist die Fahrt zu unterlassen, auch wenn die Einnahme bestimmungsgemäß war. Der Patient wartet weitere Stunden und fährt erst, als keine Beeinträchtigung mehr spürbar ist. Bei einer späteren Kontrolle wird THC nachgewiesen, doch mangels Ausfallerscheinungen und aufgrund des Rezepts bleibt die Fahrt rechtlich unbedenklich.
THC-Grenzwerte und Polizeikontrollen
Der analytische Grenzwert von einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum ist für Freizeitkonsumenten von zentraler Bedeutung. Bei Cannabis-Patienten hingegen verliert dieser Wert seine unmittelbare rechtliche Relevanz. Dennoch spielt er bei Polizeikontrollen eine wichtige Rolle und kann den Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen bilden.
THC wird vom Körper nur langsam abgebaut und kann noch Tage nach dem Konsum im Blut nachgewiesen werden. Bei regelmäßiger medizinischer Anwendung liegt der THC-Wert daher praktisch immer über dem Grenzwert – selbst dann, wenn keine akute Wirkung mehr besteht. Diese Besonderheit macht deutlich, warum der starre Grenzwert für Patienten nicht anwendbar sein kann.
Bei einer Verkehrskontrolle wird die Polizei jedoch zunächst einen Drogenvortest durchführen. Schlägt dieser positiv an, folgen in der Regel weitere Maßnahmen: ein ärztlich angeordneter Bluttest sowie die Dokumentation möglicher Ausfallerscheinungen. Hier beginnt für Cannabis-Patienten die kritische Phase, in der die richtige Reaktion entscheidend ist.
Ablauf einer Polizeikontrolle für Cannabis-Patienten
Zeigt der Schnelltest ein positives Ergebnis, sollten Patienten unmittelbar auf ihre ärztliche Verordnung hinweisen. Die Vorlage des Rezepts oder einer ärztlichen Bescheinigung ist der erste wichtige Schritt. Die Polizei wird daraufhin ihre Vorgehensweise anpassen, jedoch nicht zwingend von weiteren Maßnahmen absehen.
Ein Bluttest kann auch bei nachgewiesener Medikation angeordnet werden, insbesondere wenn Ausfallerscheinungen festgestellt werden. Die Beamten protokollieren das Verhalten des Fahrers, seine Reaktionen und eventuelle körperliche Auffälligkeiten. Diese Dokumentation kann später entscheidend sein – sowohl entlastend als auch belastend.
Bedeutung von Ausfallerscheinungen
Während der THC-Wert bei Patienten seine Bedeutung verliert, gewinnen Ausfallerscheinungen an Gewicht. Gerötete Augen, verlangsamte Reaktionen, Gleichgewichtsstörungen oder verwaschene Sprache können auf eine aktuelle Beeinträchtigung hindeuten. Die Polizei dokumentiert solche Anzeichen standardmäßig.
Liegen keine Ausfallerscheinungen vor und kann der Patient sein Rezept vorlegen, wird das Verfahren in vielen Fällen eingestellt. Werden jedoch Beeinträchtigungen festgestellt, kann dies auch bei bestehender Medikation zu rechtlichen Konsequenzen führen. Die Privilegierung schützt nicht vor dem Vorwurf der Fahrunsicherheit.
Checkliste: Verhalten bei Polizeikontrolle
- Ruhe bewahren und höflich kooperieren
- Sofort auf die Cannabis-Medikation hinweisen
- Rezept oder ärztliche Bescheinigung vorlegen
- Dosierung und Zeitpunkt der letzten Einnahme benennen können
- Bei Aufforderung zum Bluttest: Hinweis auf Medikation wiederholen
- Ausfallerscheinungen dokumentieren lassen (auch deren Abwesenheit)
- Namen und Dienststelle der Beamten notieren
Beurteilung der Fahreignung durch Behörden
Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Aufgabe, die grundsätzliche Eignung von Verkehrsteilnehmern zu überwachen. Bei Cannabis-Patienten kann diese Eignung in Frage gestellt werden – unabhängig davon, ob ein konkreter Verstoß vorliegt. Bereits die Kenntnis von der Medikation kann ein behördliches Prüfverfahren auslösen.
Die Fahrerlaubnis-Verordnung enthält in Anlage 4 detaillierte Regelungen zu Erkrankungen und Substanzeinfluss. Cannabis wird dort grundsätzlich als fahreignungsrelevant eingestuft. Bei medizinischer Verordnung gilt jedoch ein differenzierter Maßstab: Entscheidend ist, ob die Therapie zu einer stabilen und kontrollierten Einstellung geführt hat.
Die Behörde kann zur Klärung der Fahreignung verschiedene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören die Anforderung ärztlicher Gutachten, die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung oder die Einholung von Informationen beim behandelnden Arzt. Der Patient ist grundsätzlich zur Mitwirkung verpflichtet.
Ärztliche Gutachten zur Fahreignung
Ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung unterscheidet sich wesentlich von der normalen Behandlungsdokumentation. Es muss von einem Arzt erstellt werden, der nach der Fahrerlaubnis-Verordnung zur Begutachtung berechtigt ist. Der behandelnde Cannabis-Arzt ist dafür in der Regel nicht zuständig.
Das Gutachten prüft die Grunderkrankung, die Wirksamkeit der Therapie, mögliche Nebenwirkungen und die Compliance des Patienten. Auch die kognitive Leistungsfähigkeit wird häufig getestet. Ein positives Gutachten kann die Fahreignung bestätigen, ein negatives zum Entzug der Fahrerlaubnis führen.
MPU bei Cannabis-Patienten
Eine medizinisch-psychologische Untersuchung kann auch bei Cannabis-Patienten angeordnet werden. Dies geschieht insbesondere dann, wenn Zweifel an der Therapietreue bestehen, wenn neben der Medikation illegaler Konsum vermutet wird oder wenn die Grunderkrankung selbst die Fahreignung in Frage stellt.
Die MPU bei Cannabis-Patienten unterscheidet sich von der klassischen Drogen-MPU. Es geht nicht um den Nachweis von Abstinenz, sondern um die kontrollierte und verantwortungsvolle Medikamenteneinnahme. Der Patient muss zeigen, dass er die Risiken kennt, seine Fahrtüchtigkeit zuverlässig einschätzt und die Therapie gewissenhaft befolgt.
Ärztliche Aufklärungs- und Dokumentationspflichten
Der verschreibende Arzt trägt erhebliche Verantwortung für die Verkehrssicherheit seiner Cannabis-Patienten. Diese Verantwortung manifestiert sich in umfassenden Aufklärungs- und Dokumentationspflichten, deren Verletzung haftungsrechtliche Konsequenzen haben kann.
Vor der ersten Verschreibung muss der Arzt den Patienten ausführlich über die Auswirkungen von Cannabis auf die Fahrtüchtigkeit informieren. Diese Aufklärung umfasst die typischen Wirkungen, die Dauer der Einstellungsphase, Warnzeichen für Beeinträchtigungen und die rechtlichen Konsequenzen bei Verstößen. Die Aufklärung muss dokumentiert werden.
Auch im weiteren Behandlungsverlauf bestehen fortlaufende Pflichten. Bei Dosisänderungen ist erneut über mögliche Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit zu informieren. Der Arzt muss die Compliance des Patienten überwachen und bei Anhaltspunkten für Missbrauch oder mangelnde Therapietreue entsprechend reagieren.
Inhalte der ärztlichen Aufklärung
Die Aufklärung muss konkret und verständlich sein. Allgemeine Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen genügen nicht. Der Patient muss verstehen, dass er während der Einstellungsphase nicht fahren darf, dass er seine Fahrtüchtigkeit vor jeder Fahrt selbst beurteilen muss und dass bei Ausfallerscheinungen eine Fahrt zu unterlassen ist.
Empfohlen wird auch der Hinweis auf die Mitführung von Nachweisen, das richtige Verhalten bei Polizeikontrollen und die möglichen Konsequenzen bei der Fahrerlaubnisbehörde. Je umfassender die Aufklärung, desto besser ist der Arzt im Haftungsfall abgesichert – und desto informierter kann der Patient handeln.
Dokumentation des Therapieverlaufs
Die Behandlungsdokumentation gewinnt bei Cannabis-Patienten besondere Bedeutung. Sie kann später in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren als Beweismittel dienen. Dokumentiert werden sollten die Diagnose, die Indikation für Cannabis, die verordnete Dosierung, Änderungen im Therapieverlauf und die durchgeführten Aufklärungsgespräche.
Auch die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit durch den Arzt sollte in der Akte vermerkt werden. Empfiehlt der Arzt zu einem bestimmten Zeitpunkt das Nicht-Fahren, muss dies dokumentiert sein. Gleiches gilt für die ärztliche Freigabe nach erfolgreicher Einstellung. Diese Dokumentation schützt sowohl den Arzt als auch den Patienten.
Praxis-Tipp: Ärztliche Bescheinigung für Verkehrskontrollen anfordern
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt um eine separate Bescheinigung für Verkehrskontrollen. Diese sollte die Diagnose (ohne Details), die Cannabis-Verordnung, die stabile Einstellung und die ärztliche Einschätzung zur Fahrtüchtigkeit enthalten. Anders als das Rezept selbst ist eine solche Bescheinigung weniger sensibel und kann bei Kontrollen vorgelegt werden, ohne die vollständige Krankengeschichte offenzulegen.
Unfälle und Haftungsrisiken trotz Rezept
Das ärztliche Rezept schützt vor der Ordnungswidrigkeit nach dem Straßenverkehrsgesetz – nicht jedoch vor den Konsequenzen eines Unfalls. Verursacht ein Cannabis-Patient einen Verkehrsunfall, gelten die allgemeinen Haftungsregeln, und die Medikation kann sogar erschwerend wirken.
Zivilrechtlich haftet der Unfallverursacher für den entstandenen Schaden. Die Kfz-Haftpflichtversicherung reguliert zunächst gegenüber dem Geschädigten, kann aber unter Umständen Regress beim Versicherungsnehmer nehmen. Strafrechtlich drohen Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Gefährdung des Straßenverkehrs.
Die Cannabis-Medikation wird bei der Unfallanalyse eine zentrale Rolle spielen. Sachverständige werden prüfen, ob eine Beeinträchtigung vorlag und ob diese unfallursächlich war. Der bloße Nachweis von THC genügt dabei nicht – es muss eine konkrete Auswirkung auf das Fahrverhalten festgestellt werden.
Versicherungsrechtliche Konsequenzen
Kfz-Versicherungsverträge enthalten regelmäßig Klauseln zur Leistungsfreiheit bei Fahrten unter Substanzeinfluss. Bei medizinischem Cannabis greifen diese Klauseln nicht automatisch, da es sich um eine bestimmungsgemäße Medikamenteneinnahme handelt. Die Versicherung bleibt grundsätzlich leistungspflichtig.
Anders verhält es sich jedoch, wenn der Fahrer trotz erkennbarer Beeinträchtigung gefahren ist oder die Medikation nicht bestimmungsgemäß eingenommen wurde. In diesen Fällen kann die Versicherung Leistungen kürzen oder verweigern. Der Nachweis, dass keine Beeinträchtigung vorlag, kann für den Versicherungsschutz entscheidend sein.
Strafrechtliche Folgen bei Unfällen
Bei Personenschäden wird die Staatsanwaltschaft regelmäßig ermitteln. Der Tatvorwurf lautet typischerweise auf fahrlässige Körperverletzung oder, bei entsprechender Schwere, auf Gefährdung des Straßenverkehrs. Die Cannabis-Medikation wird dabei als möglicher Fahrlässigkeitsfaktor geprüft.
Entscheidend ist, ob dem Fahrer ein Vorwurf gemacht werden kann. Hat er trotz bekannter Beeinträchtigung das Fahrzeug geführt? Hat er die ärztlichen Hinweise missachtet? War die Dosierung überschritten? Die Beantwortung dieser Fragen bestimmt, ob eine strafbare Fahrlässigkeit vorliegt.
Beispiel: Auffahrunfall mit Personenschaden
Ein Patient verursacht einen Auffahrunfall, bei dem der Vordermann leicht verletzt wird. Der Bluttest ergibt einen THC-Wert von acht Nanogramm pro Milliliter. Die Polizei dokumentiert keine Ausfallerscheinungen, und der Patient legt sein Rezept vor. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung. Ein Sachverständiger kommt zu dem Ergebnis, dass der THC-Wert im Rahmen einer regulären Therapie liegt und keine konkrete Beeinträchtigung nachweisbar ist. Das Verfahren wird mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, da die Unfallursache in der Unaufmerksamkeit lag – ein Vorwurf, der jeden Fahrer treffen kann.
Führerscheinentzug und verkehrsrechtliche Maßnahmen
Der Entzug der Fahrerlaubnis ist auch bei Cannabis-Patienten möglich und keine seltene Maßnahme. Die Behörden unterscheiden dabei zwischen dem vorläufigen Entzug im Rahmen eines Strafverfahrens und dem verwaltungsrechtlichen Entzug wegen fehlender Fahreignung.
Im Strafverfahren kann das Gericht die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn ein Verkehrsdelikt vorliegt und die weitere Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr darstellt. Diese Maßnahme setzt jedoch einen hinreichenden Tatverdacht voraus – die bloße Cannabis-Medikation genügt dafür nicht.
Häufiger ist der verwaltungsrechtliche Weg über die Fahrerlaubnisbehörde. Diese kann bei Zweifeln an der Fahreignung ein Gutachten anfordern. Wird das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt oder kommt es zu einem negativen Ergebnis, droht der Entzug der Fahrerlaubnis auf dem Verwaltungsweg.
Ablauf des Entzugsverfahrens
Das Verfahren beginnt typischerweise mit einem Anhörungsschreiben der Behörde. Darin werden die Gründe für die Eignungszweifel dargelegt und dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Diese Stellungnahme ist wichtig und sollte fundiert erfolgen.
Anschließend fordert die Behörde in der Regel ein ärztliches oder medizinisch-psychologisches Gutachten an. Die Kosten trägt der Betroffene. Für die Vorlage wird eine Frist gesetzt, deren Versäumnis als Eingeständnis mangelnder Fahreignung gewertet wird. Das Gutachten entscheidet über den weiteren Verlauf.
Rechtsschutz gegen Führerscheinentzug
Gegen den Entzug der Fahrerlaubnis stehen verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung. Der Widerspruch gegen den Entzugsbescheid hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Bei sofortigem Vollzug kann ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt werden.
In der Hauptsache kann Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Die Erfolgsaussichten hängen davon ab, ob die behördliche Entscheidung rechtmäßig war – insbesondere ob die Eignungszweifel berechtigt waren und das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Die Anforderungen an die Darlegung der Fahreignung sind dabei hoch.
Checkliste: Vorgehen bei drohendem Führerscheinentzug
- Anhörungsschreiben der Behörde fristgerecht beantworten
- Ärztliche Dokumentation der stabilen Therapie zusammenstellen
- Gegebenenfalls vorsorgliches verkehrsmedizinisches Gutachten einholen
- Fristen für Gutachtenvorlage unbedingt einhalten
- Bei negativem Bescheid sofort Widerspruch prüfen
- Bei Anordnung sofortiger Vollziehung Eilrechtsschutz erwägen
Rechtliche Verteidigung bei Verkehrsverstößen
Wird gegen einen Cannabis-Patienten ein Verfahren wegen eines Verkehrsverstoßes eingeleitet, kommt es auf die richtige Verteidigungsstrategie an. Die Privilegierung als Patient muss aktiv geltend gemacht werden – von selbst berücksichtigen Behörden und Gerichte diese nicht immer.
Der erste Schritt ist die lückenlose Dokumentation der rechtmäßigen Medikation. Dazu gehören das Rezept, Apothekenbelege, die Behandlungsdokumentation und idealerweise eine ärztliche Stellungnahme zur Fahrtüchtigkeit. Diese Unterlagen bilden die Grundlage jeder Verteidigung.
Im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid fristgebunden. Innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung muss der Einspruch bei der zuständigen Behörde eingehen. Die Begründung kann nachgereicht werden, sollte aber zeitnah erfolgen. Im Einspruchsverfahren wird dann geprüft, ob die Voraussetzungen der Medikamentenprivilegierung vorliegen.
Beweislast und Beweisführung
Die Beweislast für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit liegt bei der Behörde. Diese muss nachweisen, dass der Grenzwert überschritten wurde und keine privilegierte Medikamenteneinnahme vorlag. Der Betroffene muss jedoch substanziiert vortragen, dass er über ein Rezept verfügt und das Cannabis bestimmungsgemäß eingenommen hat.
In der Praxis kehrt sich die Beweislast damit faktisch um: Der Patient muss seine Privilegierung aktiv darlegen und nachweisen. Gelingt ihm dies, muss die Behörde wiederum belegen, dass trotz der Medikation eine fahreignungsrelevante Beeinträchtigung vorlag. Diese Struktur macht die sorgfältige Dokumentation so wichtig.
Verteidigung im Strafverfahren
Im Strafverfahren gelten strengere Anforderungen an den Nachweis der Schuld. Die Unschuldsvermutung wirkt zugunsten des Beschuldigten, und Zweifel gehen zu seinen Gunsten. Für eine Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr oder Gefährdung des Straßenverkehrs muss eine konkrete Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nachgewiesen werden.
Der bloße THC-Nachweis genügt dafür nicht. Es müssen Ausfallerscheinungen, Fahrfehler oder andere objektive Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung vorliegen. Die Verteidigung wird daher regelmäßig darauf abstellen, dass solche Anhaltspunkte fehlen oder jedenfalls nicht zweifelsfrei nachgewiesen sind.
Praxis-Tipp: Protokoll der Polizeikontrolle anfordern
Fordern Sie über Akteneinsicht das vollständige Protokoll der Verkehrskontrolle an. Dort sind alle festgestellten Ausfallerscheinungen – oder deren Fehlen – dokumentiert. Wurde vermerkt, dass keine Auffälligkeiten vorlagen, ist dies ein starkes Argument gegen eine Verurteilung. Auch die Angaben zur Durchführung des Drogenvortests und der Blutentnahme können verfahrensrelevante Fehler offenbaren.
Die rechtliche Situation von Cannabis-Patienten im Straßenverkehr bleibt komplex und erfordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Die Privilegierung gegenüber Freizeitkonsumenten besteht, ist aber an strenge Voraussetzungen geknüpft. Wer diese Voraussetzungen kennt und einhält, kann seine Mobilität erhalten. Wer sie missachtet, riskiert nicht nur den Führerschein, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. Die sorgfältige Dokumentation der Therapie, die gewissenhafte Selbsteinschätzung vor jeder Fahrt und das Mitführen entsprechender Nachweise sind dabei die wichtigsten Schutzmaßnahmen.
