Erfolgreiche Verteidigung gegen Fahrverbot
Der Brief liegt auf dem Küchentisch. Bußgeldbescheid. 480 Euro Geldbuße, zwei Punkte in Flensburg – und ein einmonatiges Fahrverbot. Für viele Betroffene bricht in diesem Moment eine kleine Welt zusammen. Der tägliche Weg zur Arbeit, die Kinder zur Schule bringen, Kundentermine wahrnehmen – alles scheinbar unmöglich. Doch was die wenigsten wissen: Ein Fahrverbot ist keineswegs automatisch rechtskräftig. Mit der richtigen Verteidigungsstrategie lässt sich in vielen Fällen das Fahrverbot aufheben oder zumindest modifizieren.
Die Praxis zeigt, dass Behörden und Messgeräte keineswegs unfehlbar sind. Technische Mängel bei der Geschwindigkeitsmessung, Verfahrensfehler bei der Zustellung oder formale Unzulänglichkeiten im Bußgeldbescheid bieten oft Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung. Selbst bei eindeutig erscheinenden Fällen existieren rechtliche Möglichkeiten, die ohne fachkundige Prüfung der Akten verborgen bleiben.
Ein besonders bemerkenswerter Fall ereignete sich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart: Ein Autofahrer wurde mit 58 km/h Überschreitung geblitzt. Ihm drohten 480 Euro Bußgeld und ein einmonatiges Fahrverbot. Letztlich konnte er dem Fahrverbot entgehen – wenn auch auf ungewöhnlichem Weg, der für die Behörde in der Verjährung endete. Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig die Kenntnis der Verjährungsfristen und Verfahrensabläufe sein kann.
Wann wird ein Fahrverbot verhängt?
Ein Fahrverbot wird in der Regel bei schwerwiegenden Verkehrsverstößen angeordnet. Besonders häufig betroffen sind Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 30 km/h innerorts oder mehr als 40 km/h außerorts. Auch Rotlichtverstöße, bei denen die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot zeigte, führen regelmäßig zum Fahrverbot. Das Gleiche gilt für Abstandsunterschreitungen bei hohen Geschwindigkeiten oder Alkohol- und Drogenfahrten.
Die rechtliche Grundlage für Fahrverbote findet sich im Bußgeldkatalog sowie in der Bußgeldkatalog-Verordnung. Dort sind die sogenannten Regelfahrverbote festgelegt. Wichtig ist jedoch: Es handelt sich um Regeltatbestände, nicht um zwingende Automatismen. In Ausnahmefällen kann von einem Fahrverbot abgesehen werden, etwa wenn eine besondere Härte vorliegt oder mildernde Umstände berücksichtigt werden müssen.
Die wichtigsten Verteidigungsansätze im Überblick
Eine erfolgreiche Verteidigung gegen ein Fahrverbot kann auf mehreren Ebenen ansetzen. Zunächst steht die technische Ebene: Hier werden Messfehler, Gerätefehler und Verstöße gegen Bedienungsanleitungen geprüft. Auf der formalen Ebene werden Verfahrensfehler, Zustellungsmängel und fehlerhafte Bescheide untersucht. Schließlich gibt es die materielle Ebene, auf der Beweislücken, Fahreridentifizierung und Verjährungsfragen relevant werden.
Jeder dieser Ansätze kann zum Erfolg führen. Häufig ergeben sich erst durch die Kombination verschiedener Einwände überzeugende Verteidigungsstrategien. Die Akteneinsicht spielt dabei eine zentrale Rolle, denn nur wer alle Unterlagen kennt, kann fundiert argumentieren.
Häufige Fehlerquellen bei Geschwindigkeitsmessungen
Moderne Messgeräte gelten als hochpräzise – doch diese Präzision hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die physikalischen Gesetze, die Radarmessungen oder Lasertechnik zugrunde liegen, funktionieren nur unter idealen Bedingungen fehlerfrei. In der Praxis treten jedoch regelmäßig Abweichungen auf, die zu falschen Messergebnissen führen können.
Radargeräte arbeiten mit elektromagnetischen Wellen, die vom fahrenden Fahrzeug reflektiert werden. Aus der Frequenzverschiebung dieser Wellen wird die Geschwindigkeit errechnet. Problematisch wird es, wenn mehrere Fahrzeuge gleichzeitig im Messbereich sind, wenn Reflexionen von anderen Objekten auftreten oder wenn das Gerät nicht exakt ausgerichtet ist. Selbst minimale Winkelabweichungen können das Messergebnis verfälschen.
Lasergeräte wie der weit verbreitete ES 3.0 oder Poliscan Speed haben andere Fehlerquellen. Hier kann es zu Problemen bei der Zuordnung des Messstrahls kommen, insbesondere bei dichtem Verkehr. Auch Vibrationen des Stativs, ungünstige Witterungsbedingungen oder Softwarefehler können die Messung beeinflussen. Die sogenannte "standardisierte Messung" wird von Gerichten zwar grundsätzlich anerkannt, doch diese Standardisierung entbindet nicht von der korrekten Bedienung und Aufstellung.
Praxis-Tipp: Messprotokoll genau prüfen
Fordern Sie über Ihren Rechtsbeistand das vollständige Messprotokoll an. Achten Sie besonders auf Angaben zur Aufstellung des Geräts, zum letzten Eichtermin und zur Schulung des Messpersonals. Fehlen diese Angaben oder sind sie unvollständig, kann dies ein Ansatzpunkt für die Verteidigung sein.
Technische Mängel an Messgeräten
Jedes Messgerät unterliegt der Eichpflicht. Die Eichgültigkeit beträgt in der Regel ein Jahr, bei einigen Geräten auch länger. Nach Ablauf der Eichfrist sind Messungen nicht mehr verwertbar. Es kommt durchaus vor, dass Behörden mit nicht mehr geeichten Geräten messen – ein klarer Verfahrensfehler, der zur Einstellung des Verfahrens führen kann.
Neben der Eichung spielen auch die regelmäßigen Wartungen und Softwareupdates eine wichtige Rolle. Messgeräte sind komplexe technische Systeme, die gepflegt werden müssen. Wenn Wartungsprotokolle fehlen oder unvollständig sind, kann dies Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung begründen. Besonders bei älteren Geräten treten häufiger technische Probleme auf.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Bedienungsanleitung des Herstellers. Diese schreibt genau vor, wie das Gerät aufzustellen und zu bedienen ist. Weicht die Messung von diesen Vorgaben ab, ist das Ergebnis anfechtbar. Typische Verstöße sind falsche Aufstellhöhe, unzulässiger Messwinkel oder zu geringe Abstände zu reflektierenden Flächen.
Fehler bei Aufstellung und Bedienung
Das beste Messgerät liefert falsche Ergebnisse, wenn es nicht korrekt aufgestellt wird. Die Bedienungsanleitungen der Hersteller enthalten detaillierte Vorgaben: Mindestabstände zur Fahrbahn, Neigungswinkel, Aufstellhöhe, Ausrichtung zur Fahrtrichtung und vieles mehr. Jede Abweichung von diesen Vorgaben kann das Messergebnis verfälschen.
Das Messpersonal muss für den Umgang mit dem jeweiligen Gerät geschult sein. Diese Schulung muss dokumentiert und aktuell sein. Wenn der messende Beamte keine gültige Schulungsbescheinigung vorweisen kann, ist die Verwertbarkeit der Messung fraglich. Auch muss das Personal in der Lage sein, technische Probleme zu erkennen und das Gerät korrekt zu justieren.
Beispiel: Fehlerhafte Radaraufstellung führt zum Freispruch
In einem Verfahren vor dem Amtsgericht wurde festgestellt, dass das Radargerät mit einem Winkel von 25 Grad statt der vorgeschriebenen 20 Grad zur Fahrbahn aufgestellt war. Diese Abweichung führte zu einer Überschätzung der Geschwindigkeit um mehrere km/h. Das Gericht stellte das Verfahren ein, da nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass der Betroffene tatsächlich die vorgeworfene Geschwindigkeit gefahren war.
Verfahrensfehler der Behörden nutzen
Behördliche Verfahren müssen strenge formale Anforderungen erfüllen. Der Rechtsstaat garantiert jedem Betroffenen ein faires Verfahren, und dieses beginnt bereits bei der korrekten Zustellung des Anhörungsbogens und des Bußgeldbescheids. Formale Fehler können zur Unwirksamkeit des gesamten Verfahrens führen – unabhängig davon, ob der Verstoß tatsächlich begangen wurde oder nicht.
Die Verwaltungsbehörden sind an das Ordnungswidrigkeitengesetz gebunden. Dieses schreibt genau vor, wie ein Bußgeldverfahren abzulaufen hat, welche Informationen ein Bußgeldbescheid enthalten muss und welche Rechte dem Betroffenen zustehen. Verstöße gegen diese Vorschriften können erhebliche Konsequenzen haben. Ein Bußgeldbescheid, der wesentliche Angaben nicht enthält, ist unter Umständen bereits aus formalen Gründen anfechtbar.
Besonders häufig treten Fehler bei der Zustellung auf. Die korrekte Zustellung ist Voraussetzung dafür, dass Fristen zu laufen beginnen. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass und wann der Bescheid zugestellt wurde, kann die Rechtskraft des Bescheids in Frage stehen. Dies gilt auch für die Frage, ob die richtige Person als Empfänger bezeichnet wurde.
Formale Mängel im Bußgeldbescheid
Ein Bußgeldbescheid muss bestimmte Pflichtangaben enthalten. Dazu gehören die genaue Bezeichnung der Tat mit Datum, Uhrzeit und Ort, die verletzte Rechtsvorschrift, die Beweismittel, die Höhe der Geldbuße und gegebenenfalls des Fahrverbots sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Fehlt eine dieser Angaben oder ist sie fehlerhaft, kann der Bescheid anfechtbar sein.
Die Tatbezeichnung muss so konkret sein, dass der Betroffene genau weiß, was ihm vorgeworfen wird. Ungenaue Ortsangaben wie "Bundesstraße 27" ohne weitere Konkretisierung können problematisch sein. Auch die Zeitangabe muss präzise sein, insbesondere wenn der Betroffene ein Alibi geltend machen möchte.
Die Rechtsbehelfsbelehrung muss den Betroffenen korrekt über sein Einspruchsrecht informieren. Dabei müssen Frist und Form des Einspruchs genannt werden sowie die Behörde, bei der der Einspruch einzulegen ist. Eine fehlerhafte oder unvollständige Belehrung führt zwar nicht zur Unwirksamkeit des Bescheids, aber die Einspruchsfrist beginnt dann nicht zu laufen.
Verjährung und Fristversäumnisse der Behörden
Die Verjährung ist ein mächtiges Verteidigungsinstrument. Bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich drei Monate ab Tatbegehung. Wird innerhalb dieser Frist ein Anhörungsbogen oder Bußgeldbescheid zugestellt, wird die Verjährung unterbrochen und beginnt neu zu laufen. Nach Erlass des Bußgeldbescheids beträgt die Frist sechs Monate.
Der eingangs geschilderte Fall vor dem OLG Stuttgart zeigt eindrucksvoll, wie relevant die Verjährung sein kann. Dort hatte die Behörde zehn Monate lang gegen eine nicht existierende Person ermittelt. Als der Schwindel aufflog, war für den tatsächlichen Fahrer bereits Verfolgungsverjährung eingetreten. Er konnte für die ursprüngliche Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr belangt werden.
Praxis-Tipp: Verjährungsfristen im Blick behalten
Notieren Sie sich das Datum des angeblichen Verkehrsverstoßes und rechnen Sie die Verjährungsfristen aus. Wenn zwischen der Tat und dem Anhörungsbogen mehr als drei Monate liegen, ohne dass die Verjährung unterbrochen wurde, könnte der Vorwurf bereits verjährt sein. Diesen Einwand sollten Sie unbedingt prüfen lassen.
Akteneinsicht und Beweisaufnahme richtig nutzen
Die Akteneinsicht ist das Fundament jeder erfolgreichen Verteidigung. Ohne Kenntnis der Beweismittel, die der Behörde vorliegen, ist eine fundierte Verteidigung kaum möglich. Das Recht auf Akteneinsicht ist gesetzlich garantiert und sollte in jedem Fall wahrgenommen werden. Erst durch die Einsicht in die Ermittlungsakte werden häufig Ansatzpunkte sichtbar, die von außen nicht erkennbar waren.
Die Behördenakte enthält in der Regel das Messprotokoll, das Messfoto, Angaben zum verwendeten Gerät, den Eichschein, die Schulungsnachweise des Messpersonals und gegebenenfalls weitere Dokumente. Jedes einzelne dieser Dokumente kann Informationen enthalten, die für die Verteidigung relevant sind. Ein fehlendes Dokument kann ebenfalls bedeutsam sein, denn die Beweislast liegt bei der Behörde.
Die Akteneinsicht sollte frühzeitig beantragt werden, idealerweise unmittelbar nach Erhalt des Anhörungsbogens oder Bußgeldbescheids. Der Antrag hemmt zwar nicht die Einspruchsfrist, aber er verschafft wertvolle Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung. Die Behörde ist verpflichtet, die Akteneinsicht zu gewähren, kann dies aber an bestimmte Modalitäten knüpfen.
Welche Unterlagen sollten Sie anfordern?
Die vollständige Akte umfasst mehr als nur das Blitzerfoto. Besonders wichtig sind die sogenannten Rohmessdaten, also die unverarbeiteten Daten des Messgeräts. Diese werden nicht immer automatisch zur Akte genommen, können aber wichtige Erkenntnisse liefern. Bei digitalen Messgeräten speichern diese Daten den gesamten Messvorgang und ermöglichen eine Überprüfung der Plausibilität.
Ebenfalls relevant sind die Lebensakte des Messgeräts, die Dokumentation aller Wartungen, Reparaturen und Auffälligkeiten, sowie das Messstellenprotokoll, das die genaue Position und Ausrichtung des Geräts dokumentiert. Die Beschilderungspläne können zeigen, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung überhaupt korrekt ausgeschildert war.
Checkliste: Unterlagen für die Akteneinsicht
- Vollständige Ermittlungsakte mit allen Anlagen
- Messfoto in Originalauflösung
- Messprotokoll mit Angaben zur Aufstellung
- Eichschein des Messgeräts
- Schulungsnachweis des Messpersonals
- Rohmessdaten bei digitalen Geräten
- Lebensakte des Messgeräts
- Beschilderungsplan der Messstelle
Beweismittel systematisch auswerten
Nach Erhalt der Akten beginnt die eigentliche Arbeit: die systematische Auswertung aller Unterlagen. Dabei gilt es, jedes Detail zu prüfen und mit den rechtlichen Anforderungen abzugleichen. Ist das Messfoto verwertbar? Lässt sich der Fahrer eindeutig identifizieren? Stimmen die Angaben im Protokoll mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein?
Bei der Fotoauswertung ist zu prüfen, ob das Bild den Anforderungen an ein Beweisfoto genügt. Das Kennzeichen muss lesbar sein, der Fahrer erkennbar. Bei schlechter Bildqualität oder wenn das Gesicht nicht eindeutig zu erkennen ist, können erhebliche Zweifel an der Fahreridentifizierung bestehen. Dies ist besonders relevant, wenn der Halter des Fahrzeugs nicht selbst gefahren ist.
Einspruch gegen Bußgeldbescheid - Fristen und Vorgehen
Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ist der erste und wichtigste Schritt zur Verteidigung. Die Frist beträgt zwei Wochen ab Zustellung des Bescheids. Diese Frist ist zwingend einzuhalten – wird sie versäumt, wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig und das Fahrverbot vollstreckbar. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur unter engen Voraussetzungen möglich.
Der Einspruch muss schriftlich bei der Behörde eingelegt werden, die den Bußgeldbescheid erlassen hat. Die Behörde ist im Bescheid genannt. Der Einspruch muss keine Begründung enthalten, es genügt die Erklärung, dass Einspruch eingelegt wird. Dennoch kann es sinnvoll sein, bereits im Einspruch auf offensichtliche Mängel hinzuweisen oder bestimmte Anträge zu stellen, etwa auf Akteneinsicht.
Nach Einlegung des Einspruchs prüft die Behörde zunächst selbst, ob sie den Bescheid aufrechterhält oder aufhebt. Hält sie daran fest, gibt sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft ab, die es an das zuständige Amtsgericht weiterleitet. Dort findet dann eine Hauptverhandlung statt, in der über den Vorwurf entschieden wird. Der Einspruch kann bis zum Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen werden.
Form und Frist des Einspruchs
Die Zweiwochenfrist beginnt mit der Zustellung des Bußgeldbescheids. Bei Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gilt der Tag, der auf der Urkunde vermerkt ist. Bei Einwurf-Einschreiben gilt der dritte Tag nach Aufgabe zur Post, es sei denn, der Bescheid ist nicht oder später zugegangen. Diese Regelungen können im Einzelfall relevant sein, wenn es auf den genauen Fristbeginn ankommt.
Der Einspruch kann schriftlich per Brief, per Fax oder in vielen Bundesländern mittlerweile auch elektronisch eingelegt werden. Eine E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur genügt in der Regel nicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, sendet den Einspruch per Fax mit Sendebericht oder per Einschreiben mit Rückschein. So lässt sich der Zugang nachweisen.
Es empfiehlt sich, den Einspruch nicht erst am letzten Tag der Frist abzusenden. Technische Probleme, Postlaufzeiten oder andere Unwägbarkeiten können dazu führen, dass der Einspruch zu spät eingeht. Im Zweifel sollte der Einspruch sofort eingelegt und die Begründung nachgereicht werden.
Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis
Wurde die Einspruchsfrist versäumt, ist noch nicht alles verloren. Das Gesetz kennt die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese wird gewährt, wenn der Betroffene ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Typische Gründe sind Krankheit, Abwesenheit wegen Urlaubs ohne Kenntnis vom Bescheid oder fehlerhafte Zustellung.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Gleichzeitig muss die versäumte Handlung – also der Einspruch – nachgeholt werden. Der Antrag muss die Gründe für die Fristversäumnis darlegen und glaubhaft machen. Dies kann durch eidesstattliche Versicherung oder andere Beweismittel geschehen.
Beispiel: Wiedereinsetzung wegen Krankenhausaufenthalt
Ein Betroffener erhielt einen Bußgeldbescheid, wurde aber am Tag der Zustellung wegen eines Unfalls ins Krankenhaus eingeliefert. Er lag dort drei Wochen im Koma. Nach seiner Entlassung beantragte er sofort Wiedereinsetzung und legte Einspruch ein. Das Gericht gewährte die Wiedereinsetzung, da er ohne eigenes Verschulden an der fristgerechten Einlegung des Einspruchs gehindert war.
Gerichtsverfahren und erfolgreiche Verteidigung
Wenn die Behörde am Bußgeldbescheid festhält, kommt es zur gerichtlichen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht. Dieses Verfahren bietet neue Möglichkeiten der Verteidigung, aber auch Risiken. In der Hauptverhandlung werden alle Beweise erhoben und gewürdigt. Der Betroffene hat das Recht, Fragen zu stellen, Beweisanträge zu stellen und sich umfassend zu verteidigen.
Das Gericht ist nicht an die Feststellungen der Behörde gebunden. Es muss sich selbst von der Schuld des Betroffenen überzeugen. Bleiben nach der Beweisaufnahme Zweifel, gilt der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten". Dieser Grundsatz kann gerade bei Verkehrsordnungswidrigkeiten relevant werden, etwa wenn die Fahreridentifizierung nicht zweifelsfrei ist oder wenn technische Fragen ungeklärt bleiben.
Die Hauptverhandlung folgt einem bestimmten Ablauf: Nach der Verlesung des Bußgeldbescheids hat der Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme. Er kann sich zur Sache einlassen oder schweigen. Dann werden die Beweise erhoben – Zeugen vernommen, Sachverständige gehört, Dokumente verlesen. Am Ende folgen die Plädoyers und schließlich das Urteil.
Beweisanträge und ihre Bedeutung
Beweisanträge sind ein wichtiges Instrument der Verteidigung. Mit einem Beweisantrag kann der Betroffene verlangen, dass bestimmte Beweise erhoben werden – etwa dass ein Sachverständiger zur Funktionsweise des Messgeräts gehört wird oder dass der messende Beamte als Zeuge vernommen wird. Das Gericht darf solche Anträge nur aus bestimmten Gründen ablehnen.
Besonders wirksam können Anträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sein. Ein technischer Sachverständiger kann das Messverfahren analysieren und mögliche Fehlerquellen aufdecken. Dies ist besonders relevant bei den sogenannten standardisierten Messverfahren, die von Gerichten grundsätzlich anerkannt werden, deren Standardisierung aber voraussetzt, dass alle Vorgaben eingehalten wurden.
Auch Anträge auf Vernehmung des Messpersonals können erfolgversprechend sein. Der messende Beamte muss dann erläutern, wie er das Gerät aufgestellt und bedient hat. Unstimmigkeiten zwischen seinen Aussagen und den Angaben im Protokoll können Zweifel an der Zuverlässigkeit der Messung begründen.
Die richtige Verhandlungsstrategie
Die Strategie in der Hauptverhandlung hängt vom Einzelfall ab. Manchmal ist es sinnvoll, auf technische Mängel zu fokussieren und die Verwertbarkeit der Messung anzugreifen. In anderen Fällen steht die Fahreridentifizierung im Vordergrund, etwa wenn das Messfoto den Fahrer nicht eindeutig zeigt. Wieder andere Fälle konzentrieren sich auf formale Fehler oder Verjährung.
Die Entscheidung über die Verhandlungsstrategie sollte auf Grundlage einer sorgfältigen Aktenanalyse getroffen werden. Dabei sind die Erfolgsaussichten realistisch einzuschätzen. Ein Geständnis kann in manchen Fällen zu einer milderen Sanktion führen, etwa wenn ein Fahrverbot gegen eine erhöhte Geldbuße eingetauscht werden kann. Diese sogenannte Kompensation ist aber nicht in allen Fällen möglich.
Praxis-Tipp: Schweigen als Strategie
Sie müssen in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen. Das Schweigerecht gilt auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren. Wenn die Beweislage dünn ist, kann Schweigen die beste Strategie sein. Geben Sie keine Informationen preis, die die Behörde noch nicht hat, und lassen Sie das Gericht die Beweise würdigen.
Freispruch und Kostenerstattung - Ihre Rechte
Ein Freispruch ist das beste Ergebnis eines Bußgeldverfahrens. Er bedeutet, dass das Gericht den Betroffenen für nicht schuldig befunden hat – entweder weil die Tat nicht nachgewiesen werden konnte oder weil formale Gründe einer Verurteilung entgegenstanden. Mit dem Freispruch entfallen alle Sanktionen: kein Bußgeld, keine Punkte, kein Fahrverbot.
Neben dem Freispruch gibt es die Einstellung des Verfahrens. Diese kann aus verschiedenen Gründen erfolgen: wegen Verjährung, wegen eines Verfahrenshindernisses oder weil die Behörde den Vorwurf nicht aufrechterhalten will. Auch bei einer Einstellung entfallen die Sanktionen. Die Einstellung ist kein Freispruch im eigentlichen Sinne, hat aber praktisch dieselben Wirkungen.
Im Fall des OLG Stuttgart wurde der Betroffene nicht nur von der ursprünglichen Geschwindigkeitsüberschreitung verschont, sondern auch vom Vorwurf der falschen Verdächtigung freigesprochen. Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 164 Absatz 2 StGB nicht erfüllt waren. Die Revision der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos. Ein vollständiger Sieg für die Verteidigung.
Wer trägt die Kosten bei Freispruch?
Bei einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens trägt grundsätzlich die Staatskasse die Kosten des Verfahrens. Dazu gehören die Gerichtskosten und die Auslagen, die dem Betroffenen entstanden sind. Die notwendigen Auslagen umfassen insbesondere die Kosten der Verteidigung, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.
Die Erstattung der Verteidigungskosten ist allerdings auf bestimmte Gebührensätze begrenzt. Vereinbart der Betroffene mit seinem Verteidiger höhere Honorare, muss er den übersteigenden Betrag selbst tragen. Auch Gutachterkosten werden nur erstattet, wenn das Gericht das Gutachten für notwendig erachtet hat. Es empfiehlt sich daher, vor der Beauftragung kostspieliger Gutachten die Erfolgsaussichten genau abzuwägen.
Punkte und Eintragung im Fahreignungsregister verhindern
Ein Freispruch verhindert nicht nur das Fahrverbot, sondern auch die Eintragung von Punkten im Fahreignungsregister in Flensburg. Dies kann langfristig erhebliche Bedeutung haben, denn Punkte summieren sich. Bei acht Punkten droht der Entzug der Fahrerlaubnis. Jeder verhinderte Punkt trägt dazu bei, dieses Risiko zu minimieren.
Wurde der Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig und sind Punkte eingetragen worden, gibt es nur noch eingeschränkte Möglichkeiten. Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kommt nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, etwa wenn neue Beweismittel auftauchen oder wenn schwere Verfahrensfehler vorlagen. Die nachträgliche Tilgung von Punkten ist grundsätzlich nicht möglich.
Prävention zukünftiger Verkehrsverfahren
Wer einmal ein Fahrverbotsverfahren durchgestanden hat, möchte diese Erfahrung meist nicht wiederholen. Die beste Strategie ist daher die Prävention. Dies bedeutet nicht nur, die Verkehrsregeln einzuhalten, sondern auch zu wissen, wie man sich bei einer Kontrolle richtig verhält und welche Rechte einem zustehen.
Im Straßenverkehr gelten die Regeln der Straßenverkehrsordnung. Die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, Abstandsregeln und Vorfahrtsrechten ist nicht nur eine rechtliche Pflicht, sondern auch ein Gebot der Vernunft. Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit haben oft schwere Folgen. Wer dies verinnerlicht, wird seltener mit Bußgeldbescheiden konfrontiert.
Dennoch kann es jedem passieren, in eine Verkehrskontrolle zu geraten oder geblitzt zu werden. Dann ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und die eigenen Rechte zu kennen. Keine vorschnellen Aussagen, keine Unterschriften unter Formulare, deren Inhalt nicht verstanden wurde, und keine Eingeständnisse ohne vorherige rechtliche Beratung.
Richtiges Verhalten bei Verkehrskontrollen
Bei einer Verkehrskontrolle müssen Sie Führerschein, Fahrzeugschein und gegebenenfalls weitere Dokumente vorzeigen. Darüber hinaus haben Sie jedoch das Recht zu schweigen. Sie müssen keine Angaben dazu machen, woher Sie kommen, wohin Sie fahren oder wie schnell Sie gefahren sind. Jede Aussage kann später gegen Sie verwendet werden.
Bleiben Sie höflich, aber bestehen Sie auf Ihren Rechten. Wenn Sie zu einem Alkohol- oder Drogentest aufgefordert werden, wissen Sie, dass Sie einen freiwilligen Vortest ablehnen können. Ein angeordneter Bluttest hingegen ist hinzunehmen. Verweigern Sie diesen, kann dies als Beweis gegen Sie gewertet werden.
Checkliste: Verhalten bei Verkehrskontrollen
- Ruhe bewahren und höflich bleiben
- Führerschein und Fahrzeugschein vorzeigen
- Keine Angaben zur Sache machen – Schweigerecht nutzen
- Nichts unterschreiben, was Sie nicht vollständig verstehen
- Freiwillige Vortests können abgelehnt werden
- Namen und Dienstnummern der Beamten notieren
- Bei Unsicherheit rechtliche Beratung einholen
Dokumentation zur eigenen Absicherung
Führen Sie ein Fahrtenbuch, wenn Sie beruflich viel unterwegs sind oder Ihr Fahrzeug von mehreren Personen genutzt wird. So können Sie im Zweifel nachweisen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahren ist. Dies ist besonders relevant bei der Fahreridentifizierung, die bei vielen Bußgeldverfahren eine zentrale Rolle spielt.
Wenn Sie geblitzt werden und es bemerken, notieren Sie sich Datum, Uhrzeit und Ort sowie die Umstände. Gab es andere Fahrzeuge in der Nähe? Wie war die Beschilderung? War die Messstelle erkennbar? Diese Informationen können später bei der Verteidigung hilfreich sein, auch wenn sie Monate später vor Gericht relevant werden.
Auch Dashcams können zur eigenen Absicherung beitragen, wobei deren Einsatz rechtlich nicht unumstritten ist. Aufnahmen, die permanent und ohne konkreten Anlass gemacht werden, verstoßen gegen das Datenschutzrecht. Kurze, anlassbezogene Aufnahmen können jedoch zulässig sein und als Beweismittel dienen. Die Rechtslage entwickelt sich hier stetig weiter.
Beispiel: Fahrtenbuch als Entlastung
Ein Geschäftsführer erhielt einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Er konnte anhand seines Fahrtenbuchs nachweisen, dass zu diesem Zeitpunkt sein Mitarbeiter das Firmenfahrzeug genutzt hatte. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, da er nicht der Fahrer war. Die korrekte Dokumentation hatte ihn vor dem Fahrverbot bewahrt.
