Rechtliche Grundlagen bei Geruchsbelästigungen
Der beißende Geruch von angebranntem Essen zieht durch das Treppenhaus. Jeden Tag. Seit Monaten. Sie öffnen die Wohnungstür und wissen sofort: Der Nachbar kocht wieder. Was als kleine Unannehmlichkeit begann, ist längst zur Belastung geworden. Doch wann wird aus einem unangenehmen Geruch ein rechtliches Problem? Und welche Möglichkeiten haben Sie, sich zu wehren?
Geruchsbelästigungen vom Nachbarn gehören zu den häufigsten Konfliktursachen im Mietrecht. Die rechtliche Einordnung ist dabei komplexer als viele Betroffene zunächst annehmen. Denn nicht jeder unangenehme Geruch berechtigt automatisch zu rechtlichen Schritten. Das deutsche Recht unterscheidet klar zwischen zumutbaren und unzumutbaren Immissionen – und genau diese Grenze entscheidet über Ihre Handlungsoptionen.
Das Immissionsschutzrecht als Grundlage
Die zentrale rechtliche Grundlage für Geruchsbelästigungen bildet § 906 BGB. Diese Vorschrift regelt die Zuführung sogenannter Imponderabilien – also nicht greifbarer Einwirkungen wie Gerüche, Geräusche oder Rauch. Nach diesem Paragraphen kann ein Grundstückseigentümer die Zuführung von Gasen, Dämpfen und Gerüchen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Diese Regelung gilt über das Mietrecht auch für Mieter.
Entscheidend ist dabei der Begriff der Wesentlichkeit. Eine Beeinträchtigung gilt als unwesentlich, wenn sie nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen noch hinnehmbar ist. Dabei spielen die ortsüblichen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Wer in einem Wohngebiet lebt, muss andere Gerüche dulden als jemand, dessen Wohnung an ein Gewerbegebiet grenzt.
Die mietrechtliche Einordnung
Im Mietrecht stellt eine erhebliche Geruchsbelästigung einen Mangel der Mietsache nach § 536 BGB dar. Der Vermieter schuldet dem Mieter eine Wohnung in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand. Dringen störende Gerüche von außen in die Wohnung ein und beeinträchtigen deren Nutzung, liegt ein Mangel vor – unabhängig davon, ob der Vermieter die Ursache verschuldet hat.
Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat in einem vielbeachteten Urteil klargestellt, dass Geruchsimmissionen durch Nachbarn durchaus eine Mietminderung rechtfertigen können. In dem Fall ging es um Essensgerüche, Müllgestank und Hundeurin im Treppenhaus. Das Gericht sprach den betroffenen Mietern je nach Intensität zwischen fünf und zehn Prozent Mietminderung zu. Gleichzeitig betonte es jedoch, dass eine erhöhte Toleranz gegenüber älteren oder kranken Nachbarn geboten sei.
Wann Gerüche unzumutbar werden - Grenzen und Bewertung
Die zentrale Frage bei jeder Geruchsbelästigung lautet: Ist der Geruch noch zumutbar oder überschreitet er bereits die Grenze zum rechtlich relevanten Störfall? Diese Bewertung ist nicht immer einfach, da sie von vielen individuellen Faktoren abhängt. Die Rechtsprechung hat jedoch über die Jahre klare Kriterien entwickelt, an denen Sie sich orientieren können.
Objektive Bewertungskriterien
Gerichte bewerten Geruchsbelästigungen anhand mehrerer objektiver Faktoren. Zunächst spielt die Intensität des Geruchs eine entscheidende Rolle. Ein leichter Kochgeruch, der gelegentlich durch das Treppenhaus zieht, wird anders bewertet als ein permanenter, durchdringender Gestank, der selbst bei geschlossenen Fenstern in die Wohnung dringt. Die Häufigkeit und Dauer der Belästigung sind ebenfalls maßgeblich. Einmalige oder seltene Geruchsbelästigungen begründen in der Regel keine rechtlichen Ansprüche.
Auch die Tageszeit kann relevant sein. Gerüche während der üblichen Kochzeiten werden eher toleriert als nächtliche Belästigungen. Schließlich berücksichtigen Gerichte die örtlichen Gegebenheiten. In einem Altbau mit schlechter Isolierung müssen Mieter grundsätzlich mehr Geruchsimmissionen hinnehmen als in einem modernen Neubau mit entsprechender Abdichtung.
Beispiel: Der rauchende Nachbar auf dem Balkon
Herr M. beschwerte sich über seinen Nachbarn, der täglich mehrfach auf dem Balkon rauchte. Der Rauch zog regelmäßig in seine darüber liegende Wohnung. Das zuständige Gericht entschied, dass gelegentliches Rauchen auf dem Balkon zur normalen Wohnnutzung gehört und hinzunehmen ist. Anders sähe es aus, wenn der Nachbar nachweislich exzessiv raucht und der Rauch die Wohnung dauerhaft unbewohnbar macht. Die Grenze wurde hier bei mehr als acht Stunden täglicher Rauchbelästigung gezogen.
Subjektive Faktoren und deren Grenzen
Während die persönliche Empfindlichkeit keine Rolle spielt, können bestimmte subjektive Faktoren dennoch relevant werden. Allergien oder Atemwegserkrankungen können die Zumutbarkeitsschwelle senken, wenn sie dem Verursacher bekannt sind oder bekannt sein müssten. Allerdings trägt der Betroffene hier die Beweislast. Ein ärztliches Attest allein reicht meist nicht aus – es muss nachgewiesen werden, dass gerade die konkrete Geruchsimmission die gesundheitlichen Probleme verursacht.
Das Empfinden eines durchschnittlichen Menschen bleibt der Maßstab. Wer besonders geruchsempfindlich ist, kann daraus keine weitergehenden Ansprüche ableiten. Umgekehrt kann der Verursacher sich nicht darauf berufen, dass andere Nachbarn den Geruch nicht als störend empfinden. Entscheidend ist das objektive Ausmaß der Beeinträchtigung.
Praxis-Tipp: Führen Sie ein Geruchstagebuch
Notieren Sie über mindestens vier Wochen jeden Vorfall mit genauem Datum, Uhrzeit, Dauer und Intensität des Geruchs. Beschreiben Sie auch, welche Fenster geöffnet waren und wie weit der Geruch in Ihre Wohnung drang. Diese Dokumentation ist später im Streitfall Gold wert und zeigt dem Gericht das tatsächliche Ausmaß der Belästigung.
Beweissicherung und Dokumentation von Geruchsimmissionen
Bei kaum einem anderen Rechtsgebiet ist die Beweissicherung so schwierig wie bei Geruchsbelästigungen. Gerüche sind flüchtig, subjektiv wahrnehmbar und lassen sich nicht einfach fotografieren. Dennoch gibt es wirksame Methoden, um Ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Eine sorgfältige Dokumentation kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Wirksame Dokumentationsmethoden
Das bereits erwähnte Geruchstagebuch bildet das Fundament jeder Beweissicherung. Notieren Sie jeden Vorfall mit präzisen Angaben zu Zeit, Ort und Intensität. Verwenden Sie dabei eine einheitliche Skala, beispielsweise von eins bis fünf, um die Geruchsintensität vergleichbar zu machen. Beschreiben Sie den Geruch so genau wie möglich – ist er beißend, muffig, faulig oder stechend? Diese Details helfen später bei der Bewertung.
Zeugen sind besonders wertvoll. Bitten Sie Besucher, Familie oder Freunde, die Geruchsbelästigung zu bestätigen. Deren Aussagen können vor Gericht entscheidend sein. Achten Sie darauf, dass die Zeugen möglichst neutral sind – Aussagen von engen Familienmitgliedern werden kritischer bewertet als die von unbeteiligten Dritten.
Checkliste: Dokumentation von Geruchsbelästigungen
- Datum und genaue Uhrzeit jedes Vorfalls notieren
- Dauer der Geruchsbelästigung festhalten
- Intensität auf einer Skala von 1-5 bewerten
- Art des Geruchs beschreiben (beißend, faulig, muffig etc.)
- Wetterbedingungen und Windrichtung vermerken
- Fenster- und Türstellungen dokumentieren
- Namen und Kontaktdaten von Zeugen sammeln
- Beschwerden an Vermieter schriftlich mit Datum aufbewahren
Sachverständigengutachten als Beweismittel
In schwerwiegenden Fällen kann ein Sachverständigengutachten sinnvoll sein. Spezialisierte Gutachter können Geruchsimmissionen messen und objektiv bewerten. Sie verwenden dabei standardisierte Methoden wie die Olfaktometrie, bei der geschulte Probanden Geruchsproben bewerten. Solche Gutachten haben vor Gericht erhebliches Gewicht.
Allerdings sind diese Gutachten kostspielig. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat in seinem Urteil entschieden, dass der Vermieter die Kosten für ein solches Gutachten tragen muss, wenn die Geruchsbelästigung nachweislich einen Mangel darstellt. Dennoch sollten Sie vor der Beauftragung abwägen, ob der zu erwartende Nutzen die Kosten rechtfertigt. In vielen Fällen reichen Zeugenaussagen und eine gute Dokumentation aus.
Erste Schritte gegen Geruchsbelästigungen
Bevor Sie rechtliche Schritte einleiten, sollten Sie zunächst versuchen, das Problem auf direktem Weg zu lösen. In vielen Fällen sind sich Nachbarn der von ihnen verursachten Gerüche gar nicht bewusst. Ein klärendes Gespräch kann oft mehr erreichen als jeder Gerichtsprozess. Dabei kommt es auf das richtige Vorgehen an.
Das Gespräch mit dem Nachbarn
Suchen Sie das Gespräch in einer ruhigen Atmosphäre. Vermeiden Sie Vorwürfe und schildern Sie stattdessen sachlich, wie Sie die Situation wahrnehmen. Formulierungen wie „Mir ist aufgefallen, dass..." wirken weniger konfrontativ als „Sie stinken das ganze Haus voll". Oft genügt ein freundlicher Hinweis, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.
Dokumentieren Sie auch diese Gespräche. Notieren Sie Datum, Uhrzeit und Inhalt des Gesprächs. Falls der Nachbar Besserung zusagt, halten Sie dies schriftlich fest. Im besten Fall einigen Sie sich auf konkrete Maßnahmen – etwa bestimmte Lüftungszeiten oder die Nutzung einer Dunstabzugshaube. Sollte das Gespräch erfolglos bleiben oder der Nachbar sich weigern zu reden, haben Sie zumindest dokumentiert, dass Sie zunächst eine gütliche Einigung versucht haben.
Praxis-Tipp: Schriftliche Beschwerde an den Vermieter
Informieren Sie Ihren Vermieter schriftlich über die Geruchsbelästigung. Beschreiben Sie das Problem konkret und setzen Sie eine angemessene Frist zur Abhilfe – üblicherweise zwei bis vier Wochen. Bewahren Sie eine Kopie des Schreibens sowie den Versandnachweis auf. Diese Mängelanzeige ist Voraussetzung für eine spätere Mietminderung und dokumentiert, dass der Vermieter vom Problem wusste.
Den Vermieter einschalten
Scheitert das direkte Gespräch, ist der Vermieter Ihr nächster Ansprechpartner. Als Mieter haben Sie einen Anspruch darauf, dass der Vermieter für einen störungsfreien Gebrauch der Wohnung sorgt. Der Vermieter hat verschiedene Möglichkeiten: Er kann den störenden Nachbarn abmahnen, bauliche Maßnahmen ergreifen oder im Extremfall eine Kündigung aussprechen.
Die Mängelanzeige sollte schriftlich erfolgen und die Geruchsbelästigung möglichst genau beschreiben. Fügen Sie wenn möglich Ihre Dokumentation bei. Setzen Sie dem Vermieter eine angemessene Frist zur Abhilfe. Erst wenn der Vermieter untätig bleibt oder seine Maßnahmen erfolglos sind, können Sie weitere rechtliche Schritte einleiten – insbesondere die Mietminderung.
Mietminderung wegen Geruchsbelästigung
Wenn alle anderen Maßnahmen erfolglos bleiben, steht Ihnen als Mieter das Recht zur Mietminderung zu. Dieses Recht ergibt sich aus § 536 BGB, wonach die Miete kraft Gesetzes gemindert ist, wenn die Mietsache einen Mangel aufweist. Eine erhebliche Geruchsbelästigung stellt einen solchen Mangel dar. Doch Vorsicht: Die Mietminderung birgt auch Risiken, wenn sie falsch durchgeführt wird.
Voraussetzungen für eine wirksame Mietminderung
Bevor Sie die Miete kürzen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss ein Mangel vorliegen, der die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch mehr als unerheblich beeinträchtigt. Bei Geruchsbelästigungen bedeutet dies, dass der Geruch so intensiv und häufig auftreten muss, dass das Wohnen spürbar beeinträchtigt wird.
Zudem müssen Sie den Mangel dem Vermieter angezeigt haben. Diese Mängelanzeige muss vor Beginn der Mietminderung erfolgen und den Vermieter in die Lage versetzen, Abhilfe zu schaffen. Ohne vorherige Anzeige können Sie die Miete nicht mindern. Schließlich dürfen Sie den Mangel nicht selbst verursacht haben – was bei Gerüchen vom Nachbarn regelmäßig nicht der Fall ist.
Höhe der Mietminderung bei Geruchsbelästigungen
Die Höhe der Mietminderung richtet sich nach dem Ausmaß der Beeinträchtigung. Gerichte sprechen bei Geruchsbelästigungen in der Regel Minderungen zwischen fünf und zwanzig Prozent zu. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg vergab in dem eingangs erwähnten Fall je nach Intensität und Zeitraum zwischen fünf und zehn Prozent. Bei besonders schweren Fällen – etwa bei gesundheitsgefährdenden Gerüchen – können auch höhere Minderungen gerechtfertigt sein.
Wichtig ist die zeitliche Komponente. Die Mietminderung gilt nur für den Zeitraum, in dem der Mangel tatsächlich besteht. Tritt die Geruchsbelästigung nur zeitweise auf, muss die Minderung entsprechend angepasst werden. Bei dauerhafter Belästigung können Sie die Miete kontinuierlich kürzen, bis der Vermieter Abhilfe schafft.
Beispiel: Staffelung der Mietminderung nach Intensität
Eine Mieterin dokumentierte über mehrere Monate Geruchsbelästigungen durch den Nachbarn. In den ersten zwei Monaten traten die Gerüche gelegentlich auf – das Gericht sprach fünf Prozent Minderung zu. In den folgenden drei Monaten verschlimmerte sich die Situation erheblich, die Mieterin konnte zeitweise ihr Schlafzimmer nicht nutzen. Für diesen Zeitraum wurden zehn Prozent Minderung zugesprochen. Diese Staffelung zeigt, wie wichtig eine genaue Dokumentation über den gesamten Zeitraum ist.
Rechtliche Maßnahmen und Unterlassungsansprüche
Neben der Mietminderung stehen Ihnen weitere rechtliche Instrumente zur Verfügung, um gegen Geruchsbelästigungen vorzugehen. Diese reichen vom Unterlassungsanspruch über Schadensersatzforderungen bis hin zu öffentlich-rechtlichen Maßnahmen. Die Wahl des richtigen Weges hängt von der konkreten Situation und dem Verursacher ab.
Der Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB
Wenn die Geruchsbelästigung von einem anderen Grundstück oder einer anderen Wohnung ausgeht, steht Ihnen ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB zu. Dieser Anspruch richtet sich direkt gegen den Verursacher – also den störenden Nachbarn selbst. Sie können verlangen, dass die Geruchsimmissionen unterbleiben, soweit sie die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten.
Der Unterlassungsanspruch kann gerichtlich durchgesetzt werden. Das Gericht kann dem Nachbarn bei Androhung eines Ordnungsgeldes untersagen, bestimmte geruchsverursachende Handlungen vorzunehmen. Allerdings müssen Sie vor Gericht nachweisen, dass die Gerüche tatsächlich von dem Beklagten ausgehen und dass sie unzumutbar sind. Hier zeigt sich wieder der Wert einer guten Dokumentation.
Öffentlich-rechtliche Maßnahmen
Bei gewerblichen Geruchsquellen oder besonders schwerwiegenden Fällen können auch öffentlich-rechtliche Maßnahmen greifen. Das Ordnungsamt oder die Umweltbehörde können einschreiten, wenn Gerüche gegen immissionsschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Für gewerbliche Anlagen gelten strenge Grenzwerte, deren Einhaltung die Behörden überwachen.
Auch bei privaten Geruchsquellen kann das Ordnungsamt unter Umständen tätig werden. Extremfälle wie Vermüllung oder Tierhaltung unter unhygienischen Bedingungen fallen in den Bereich der Gefahrenabwehr. Die Behörde kann dann Anordnungen treffen und deren Einhaltung mit Zwangsmitteln durchsetzen. Der Vorteil dieses Weges: Er kostet Sie nichts und das Ordnungsamt hat oft wirksamere Druckmittel als Sie als Privatperson.
Praxis-Tipp: Schlichtungsverfahren nutzen
Vor einem Gerichtsverfahren lohnt sich oft der Gang zur Schlichtungsstelle. In vielen Bundesländern ist ein Schlichtungsversuch bei Nachbarschaftsstreitigkeiten sogar gesetzlich vorgeschrieben. Das Verfahren ist kostengünstig, schnell und oft erfolgreicher als ein Prozess. Ein neutraler Schlichter kann beiden Seiten helfen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Besondere Fälle - Tierhaltung, Rauchen und Kochen
Die Rechtsprechung hat für verschiedene typische Geruchsquellen unterschiedliche Maßstäbe entwickelt. Was beim Kochen noch als sozialadäquat gilt, kann bei Tierhaltung bereits die Grenze überschreiten. Ein Überblick über die wichtigsten Fallgruppen hilft Ihnen, Ihre Situation richtig einzuordnen.
Kochgerüche und ihre rechtliche Bewertung
Kochen gehört zum normalen Wohngebrauch. Entsprechend müssen Nachbarn grundsätzlich Kochgerüche dulden – auch wenn diese als unangenehm empfunden werden. Die Zubereitung von Speisen mit intensivem Eigengeruch wie Fisch, Kohl oder stark gewürzten Gerichten ist Teil des alltäglichen Lebens. Gerichte lehnen Ansprüche wegen gewöhnlicher Kochgerüche regelmäßig ab.
Anders verhält es sich, wenn das Kochen zu einer außergewöhnlichen Belästigung führt. Wer täglich stundenlang frittiert und dabei die Küche nicht ausreichend belüftet, überschreitet die Grenze des Zumutbaren. Gleiches gilt für das regelmäßige Anbrennen von Speisen, wenn dadurch Brandgeruch ins Treppenhaus oder in Nachbarwohnungen dringt. In solchen Fällen können sowohl Mietminderung als auch Unterlassungsansprüche gerechtfertigt sein.
Zigarettenrauch vom Nachbarn
Das Rauchen in der eigenen Wohnung und auf dem Balkon ist grundsätzlich erlaubt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass Raucher Rücksicht auf ihre Nichtraucher-Nachbarn nehmen müssen. Zieht Zigarettenrauch regelmäßig und in erheblichem Ausmaß in die Nachbarwohnung, kann dies einen Unterlassungsanspruch begründen.
Die Gerichte tendieren zu einer zeitlichen Lösung: Der rauchende Nachbar muss sein Rauchverhalten nicht vollständig einstellen, aber auf bestimmte Zeiten beschränken. Typischerweise werden rauchfreie Zeiten festgelegt, in denen der Nichtraucher seinen Balkon ungestört nutzen kann. Die genaue Ausgestaltung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Gerüche durch Tierhaltung
Tierhaltung ist in Mietwohnungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Die damit verbundenen Gerüche müssen Nachbarn grundsätzlich hinnehmen – allerdings nur im Rahmen einer ordnungsgemäßen Tierhaltung. Werden Tiere unter unhygienischen Bedingungen gehalten und entstehen dadurch erhebliche Geruchsbelästigungen, überschreitet dies die Zumutbarkeitsgrenze deutlich.
Besonders problematisch sind Fälle, in denen Tiere im Treppenhaus ihr Geschäft verrichten oder Wohnungen vermüllen. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg wertete den Hundeurin im Treppenhaus als klaren Mangel. Bei solchen Fällen können neben mietrechtlichen Ansprüchen auch ordnungsrechtliche Maßnahmen greifen, wenn die Tierhaltung tierschutzwidrig oder gesundheitsgefährdend ist.
Beispiel: Die Katzensammlung im Nachbarapartment
In einer Wohnanlage hielt ein Mieter mehr als zehn Katzen auf engem Raum. Der charakteristische Geruch drang durch die Wände und das Treppenhaus in die Nachbarwohnungen. Trotz mehrfacher Beschwerden änderte sich nichts. Das Gericht sprach den betroffenen Nachbarn eine Mietminderung von fünfzehn Prozent zu und untersagte dem Katzenhalter die Haltung von mehr als zwei Tieren. Zusätzlich schritt das Veterinäramt ein und ordnete die Abgabe der überzähligen Tiere an.
Grenzen der Toleranz im Nachbarschaftsrecht
Das Nachbarschaftsrecht ist geprägt von der Idee des gegenseitigen Respekts und der Rücksichtnahme. Nicht jede Unannehmlichkeit rechtfertigt rechtliche Schritte. Andererseits müssen Sie sich auch nicht alles gefallen lassen. Die Kunst liegt darin, die richtige Balance zu finden und die Grenzen der gegenseitigen Toleranzpflicht zu erkennen.
Das Prinzip der Sozialadäquanz
Viele Gerüche gehören zum normalen Zusammenleben in einem Mehrfamilienhaus. Wer in einer Mietwohnung lebt, muss akzeptieren, dass auch andere Menschen dort wohnen – mit all ihren Gewohnheiten und Eigenarten. Gelegentliche Kochgerüche, das Parfüm des Nachbarn im Treppenhaus oder der Geruch von Reinigungsmitteln nach der Hausflurreinigung sind sozialadäquat und hinzunehmen.
Diese Toleranzpflicht hat jedoch Grenzen. Sie endet dort, wo der Verursacher keine Rücksicht mehr auf seine Nachbarn nimmt oder die Belästigung ein gesundheitsgefährdendes Ausmaß erreicht. Auch besondere persönliche Umstände können die Bewertung beeinflussen – allerdings in beide Richtungen. Das Gericht in Berlin betonte ausdrücklich, dass gegenüber älteren und kranken Nachbarn eine erhöhte Toleranz geboten sei.
Verhältnismäßigkeit wahren
Bevor Sie rechtliche Schritte einleiten, sollten Sie die Verhältnismäßigkeit prüfen. Ein Gerichtsverfahren kostet Zeit, Geld und Nerven. Es belastet das nachbarschaftliche Verhältnis oft dauerhaft. In vielen Fällen ist eine einvernehmliche Lösung – auch wenn sie Kompromisse erfordert – die bessere Option.
Überlegen Sie auch, ob Sie selbst zu einer Lösung beitragen können. Manchmal lässt sich das Problem durch einfache Maßnahmen wie Dichtungen an der Wohnungstür oder bessere Lüftungsgewohnheiten erheblich mildern. Das soll nicht heißen, dass Sie die Verantwortung für das Fehlverhalten anderer übernehmen müssen. Aber praktische Lösungen können schneller zum Ziel führen als juristische Auseinandersetzungen.
Checkliste: Vor der rechtlichen Eskalation prüfen
- Haben Sie das direkte Gespräch mit dem Nachbarn gesucht?
- Ist der Vermieter informiert und hat er reagiert?
- Ist die Geruchsbelästigung tatsächlich erheblich und nicht nur gelegentlich?
- Haben Sie ausreichend dokumentiert und Zeugen?
- Wäre ein Schlichtungsverfahren eine Alternative?
- Stehen Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis?
- Können bauliche oder technische Maßnahmen Abhilfe schaffen?
Das Nachbarschaftsrecht verlangt von allen Beteiligten ein gewisses Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme. Geruchsbelästigungen müssen Sie nicht klaglos hinnehmen – aber auch nicht bei jeder kleinen Unannehmlichkeit zum Anwalt laufen. Eine besonnene Herangehensweise, kombiniert mit guter Dokumentation und dem Wissen um Ihre Rechte, führt in den meisten Fällen zu einer befriedigenden Lösung. Wenn alle Stricke reißen, stehen Ihnen die beschriebenen rechtlichen Wege offen, um Ihren Anspruch auf ungestörtes Wohnen durchzusetzen.
