Stalking als Straftatbestand: Definition und rechtliche Grundlagen
Die Nachrichten hören nicht auf. Jeden Tag neue SMS, Anrufe zu jeder Uhrzeit, jemand wartet vor Ihrer Haustür oder am Arbeitsplatz. Was anfangs vielleicht noch als übertriebene Aufmerksamkeit abgetan wurde, entwickelt sich zu einer zermürbenden Belastung. Sie fühlen sich beobachtet, verfolgt, in Ihrer Freiheit eingeschränkt. Das ist kein Einzelfall – und vor allem: Das ist kein Verhalten, das Sie hinnehmen müssen.
Der Gesetzgeber hat Stalking im Jahr 2007 als eigenständige Straftat anerkannt und in § 238 StGB unter dem Begriff "Nachstellung" unter Strafe gestellt. Diese Entscheidung war überfällig, denn zuvor mussten Betroffene oft hilflos zusehen, wie Täter immer wieder straffrei davonkamen. Heute drohen Stalkern Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen. In besonders schweren Fällen – etwa wenn das Opfer oder nahestehende Personen in Lebensgefahr gebracht werden – kann die Strafe sogar bis zu zehn Jahre Freiheitsentzug betragen.
Das Gesetz definiert Stalking als das unbefugte und beharrliche Nachstellen einer Person. Entscheidend ist dabei die Wiederholung der Handlungen und die Tatsache, dass diese geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Es muss nicht zu körperlicher Gewalt kommen – bereits die psychische Belastung durch ständige Verfolgung oder Kontaktversuche erfüllt den Tatbestand.
Welche Handlungen fallen unter den Stalking-Tatbestand
§ 238 StGB listet verschiedene Verhaltensweisen auf, die als Nachstellung strafbar sind. Dazu gehört zunächst das räumliche Aufsuchen der Nähe des Opfers – etwa das Auflauern vor der Wohnung, am Arbeitsplatz oder an Orten, die das Opfer regelmäßig aufsucht. Auch der Versuch, über Telekommunikationsmittel oder andere Wege Kontakt herzustellen, fällt darunter. Das umfasst Anrufe, SMS, E-Mails, Briefe oder Nachrichten über soziale Medien.
Weiterhin strafbar ist die missbräuchliche Verwendung personenbezogener Daten des Opfers, etwa für Bestellungen oder um Dritte zu Kontaktaufnahmen zu veranlassen. Das Verbreiten von Bildern, die geeignet sind, die Ehre des Opfers zu verletzen, sowie Bedrohungen gegen Leib, Leben oder Freiheit des Opfers oder nahestehender Personen fallen ebenfalls unter den Tatbestand. Die Aufzählung im Gesetz ist dabei nicht abschließend – auch vergleichbare Handlungen können strafbar sein.
Das Merkmal der Beharrlichkeit im Stalking-Recht
Ein einzelner unerwünschter Anruf oder eine einmalige Kontaktaufnahme reichen in der Regel nicht aus, um den Tatbestand der Nachstellung zu erfüllen. Entscheidend ist das Merkmal der Beharrlichkeit. Darunter versteht man wiederholte Handlungen über einen gewissen Zeitraum, die eine gewisse Hartnäckigkeit und Unnachgiebigkeit des Täters erkennen lassen. Die Rechtsprechung hat hier keine festen Grenzen gezogen – es kommt auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an.
Bereits wenige intensive Vorfälle können ausreichen, wenn sie eine besondere Schwere aufweisen. Umgekehrt können auch viele kleinere Kontaktversuche in ihrer Gesamtheit den Tatbestand erfüllen. Wichtig ist, dass das Opfer erkennbar gemacht hat, keinen Kontakt zu wünschen, und der Täter dennoch weitermacht. Die Reform des Stalking-Paragrafen im Jahr 2017 hat zudem die Schwelle gesenkt: Heute genügt es, wenn die Handlungen "geeignet" sind, die Lebensgestaltung zu beeinträchtigen – eine tatsächliche Beeinträchtigung muss nicht mehr nachgewiesen werden.
Beweise sammeln: So dokumentieren Sie Stalking-Handlungen richtig
Die Beweislage entscheidet über Erfolg oder Misserfolg Ihrer rechtlichen Schritte. Ohne ausreichende Dokumentation stehen Aussage gegen Aussage – eine Situation, die vor Gericht selten zu Ihren Gunsten ausgeht. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, von Anfang an systematisch alle Vorfälle festzuhalten und Beweise zu sichern.
Führen Sie ein detailliertes Stalking-Tagebuch, in dem Sie jeden Vorfall zeitnah und präzise dokumentieren. Notieren Sie Datum, Uhrzeit, Ort, Art des Vorfalls und eventuelle Zeugen. Beschreiben Sie, was genau passiert ist, welche Worte gefallen sind und wie Sie sich dabei gefühlt haben. Diese emotionalen Auswirkungen sind für die spätere Bewertung der Schwere des Stalkings relevant.
Sichern Sie alle digitalen Spuren: Screenshots von Nachrichten, E-Mails, Anruflisten, Kommentare in sozialen Netzwerken. Speichern Sie diese Beweise mehrfach ab – auf Ihrem Gerät, in der Cloud und idealerweise auch ausgedruckt. Digitale Beweise können manipuliert oder gelöscht werden, daher ist Redundanz wichtig. Bei Anrufen notieren Sie die Nummer und den Zeitpunkt; manche Telefonanbieter stellen auf Anfrage Einzelverbindungsnachweise zur Verfügung.
Praxis-Tipp: Das perfekte Stalking-Tagebuch führen
Nutzen Sie eine feste Struktur für jeden Eintrag: Datum/Uhrzeit – Ort – Vorfall (sachlich beschreiben) – Zeugen (Name, Kontakt) – Beweise (Screenshot, Foto) – Ihre Reaktion und emotionale Wirkung. Schreiben Sie den Eintrag möglichst innerhalb von 24 Stunden, solange die Erinnerung frisch ist. Führen Sie das Tagebuch konsequent, auch wenn manche Vorfälle Ihnen unwichtig erscheinen – oft ergibt sich erst aus der Summe das vollständige Bild.
Physische Beweise und Zeugenaussagen sammeln
Neben digitalen Spuren gibt es oft auch physische Beweise. Geschenke, die unaufgefordert hinterlassen wurden, Briefe, beschädigte Gegenstände oder hinterlassene Notizen sollten Sie aufbewahren und nicht anfassen – Fingerabdrücke könnten relevant werden. Fotografieren Sie den Fundort und verpacken Sie Gegenstände in sauberen Plastiktüten.
Zeugen sind in Stalking-Fällen besonders wertvoll. Informieren Sie Nachbarn, Kollegen, Familie und Freunde über die Situation und bitten Sie sie, aufmerksam zu sein. Wenn jemand einen Vorfall beobachtet, notieren Sie sofort Namen und Kontaktdaten. Bitten Sie Zeugen, ihre Beobachtungen schriftlich festzuhalten, solange die Erinnerung noch frisch ist. Diese schriftlichen Aussagen können später als Beweismittel dienen oder die Aussage vor Gericht unterstützen.
Technische Hilfsmittel zur Beweissicherung
In bestimmten Situationen können technische Hilfsmittel die Dokumentation erleichtern. Eine Überwachungskamera am Hauseingang kann das Auflauern des Stalkers aufzeichnen. Dashcams im Auto können Verfolgungsfahrten dokumentieren. Achten Sie dabei unbedingt auf die rechtlichen Grenzen: Die Aufzeichnung darf nur den eigenen Bereich betreffen und keine Persönlichkeitsrechte Dritter verletzen.
Bei Telefonaten ist Vorsicht geboten: Das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen ist in Deutschland grundsätzlich strafbar. Sie dürfen jedoch sofort nach einem Anruf dessen Inhalt schriftlich protokollieren. Manche Betroffene informieren den Anrufer zu Beginn des Gesprächs, dass sie aufzeichnen – lehnt dieser nicht ab, kann die Aufnahme unter Umständen verwertbar sein. Konsultieren Sie hierzu im Zweifel vorher einen Rechtsexperten.
Sofortmaßnahmen bei akuter Bedrohung und Gefahr
Wenn Sie sich in einer akuten Gefahrensituation befinden, hat Ihre Sicherheit absolute Priorität. Verlassen Sie wenn möglich den Ort, an dem Sie sich bedroht fühlen, und begeben Sie sich zu anderen Menschen oder an einen öffentlichen Ort. Rufen Sie im Notfall sofort die Polizei unter 110. Die Polizei ist verpflichtet, bei Gefahr für Leib und Leben einzuschreiten und kann den Täter vorläufig in Gewahrsam nehmen oder einen Platzverweis aussprechen.
Informieren Sie Ihr direktes Umfeld über die Bedrohung. Familie, Freunde, Arbeitgeber und Nachbarn sollten wissen, was los ist und wie der Stalker aussieht. So können sie aufmerksam sein, Ihnen im Notfall helfen und als Zeugen fungieren. Vereinbaren Sie Codewörter oder Signale, mit denen Sie unauffällig um Hilfe bitten können.
Überprüfen Sie Ihre täglichen Routinen und Wege. Variieren Sie nach Möglichkeit Ihre Routen zur Arbeit und zu regelmäßigen Terminen. Meiden Sie einsame Wege und Orte, an denen der Stalker Sie leicht abpassen könnte. Parken Sie an gut beleuchteten Stellen und achten Sie beim Betreten Ihrer Wohnung darauf, ob Ihnen jemand folgt.
Beispiel: Schnelles Handeln bei Verfolgung auf dem Heimweg
Eine Betroffene bemerkte nach der Arbeit, dass ihr Ex-Partner ihr im Auto folgte. Statt nach Hause zu fahren, steuerte sie direkt die nächste Polizeidienststelle an und fuhr dort auf den Parkplatz. Der Verfolger drehte ab, als er erkannte, wohin sie fuhr. Die Frau erstattete umgehend Anzeige und konnte durch ihre Dashcam-Aufnahmen die Verfolgung belegen. Die Polizei sprach noch am selben Abend eine Gefährderansprache beim Täter aus, die Verfolgungen hörten danach auf.
Was kann die Polizei sofort unternehmen
Die Polizei verfügt über verschiedene Instrumente, um Sie kurzfristig zu schützen. Bei einer akuten Gefährdung kann sie den Stalker in Gewahrsam nehmen, um weitere Straftaten zu verhindern. Ein Platzverweis verpflichtet den Täter, sich für eine bestimmte Zeit von einem Ort fernzuhalten – etwa von Ihrer Wohnung oder Ihrem Arbeitsplatz. In manchen Bundesländern gibt es zudem die Möglichkeit einer Wohnungsverweisung, die den Täter zwingt, die gemeinsame Wohnung zu verlassen.
Die Polizei kann außerdem eine sogenannte Gefährderansprache durchführen. Dabei wird der Stalker offiziell darauf hingewiesen, dass sein Verhalten bekannt ist, beobachtet wird und strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Diese Maßnahme zeigt oft Wirkung, da viele Stalker nicht damit rechnen, dass ihr Verhalten ernst genommen wird. Die Dokumentation dieser polizeilichen Maßnahmen ist zudem wertvoll für spätere rechtliche Schritte.
Sicherheitsmaßnahmen für Ihre Wohnung
Ihr Zuhause sollte ein sicherer Rückzugsort sein. Überprüfen Sie die Sicherheit Ihrer Wohnung: Sind Schlösser intakt und hochwertig? Lassen Sie im Zweifel die Schlösser austauschen, besonders wenn der Stalker früher Zugang zu Schlüsseln hatte. Türspion, Sicherheitskette und verstärkte Türrahmen erhöhen den Schutz. Bei Erdgeschosswohnungen sollten Fenster mit abschließbaren Griffen gesichert sein.
Installieren Sie eine Klingel mit Kamera oder zumindest einen Türspion, um Besucher identifizieren zu können, bevor Sie öffnen. Eine Außenbeleuchtung mit Bewegungsmelder schreckt ab und ermöglicht die Identifikation von Personen. Geben Sie niemals persönliche Informationen am Telefon oder an der Haustür preis. Wenn Sie umziehen müssen, achten Sie darauf, dass die neue Adresse nicht über öffentliche Verzeichnisse auffindbar ist – eine Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt kann hier helfen.
Gewaltschutzgesetz: Schutzanordnung und Kontaktverbot beantragen
Das Gewaltschutzgesetz bietet Stalking-Opfern ein wirksames zivilrechtliches Instrument zum Schutz vor weiteren Übergriffen. Unabhängig von einem Strafverfahren können Sie beim Familiengericht Schutzanordnungen beantragen, die dem Stalker konkrete Handlungen verbieten. Der große Vorteil: Diese Anordnungen können sehr schnell – oft innerhalb weniger Tage – erlassen werden und sind sofort vollstreckbar.
Das Gericht kann dem Stalker untersagen, sich Ihrer Wohnung, Ihrem Arbeitsplatz oder anderen von Ihnen bestimmten Orten zu nähern. Es kann Kontaktverbote aussprechen, die jede Form der Kommunikation untersagen – persönlich, telefonisch, schriftlich oder über Dritte. Auch das Herbeiführen von Zusammentreffen kann verboten werden. Die Anordnungen werden auf einen bestimmten Zeitraum befristet, können aber verlängert werden.
Ein Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung ist selbst eine Straftat nach § 4 Gewaltschutzgesetz. Dem Täter drohen bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Dies gibt der Anordnung erhebliches Gewicht – viele Stalker schrecken vor dieser zusätzlichen Strafdrohung zurück. Zudem können Sie bei Verstößen sofort die Polizei rufen, die dann unmittelbar einschreiten kann.
Checkliste: Antrag auf Schutzanordnung vorbereiten
- Stalking-Tagebuch mit allen dokumentierten Vorfällen zusammenstellen
- Screenshots, Fotos und andere Beweismittel kopieren und sortieren
- Namen und Kontaktdaten von Zeugen auflisten
- Polizeiliche Aktenzeichen bisheriger Anzeigen notieren
- Konkret formulieren, welche Verbote Sie beantragen möchten (Näherungsverbot, Kontaktverbot, etc.)
- Orte benennen, für die das Näherungsverbot gelten soll (Wohnung, Arbeit, Schule der Kinder)
- Bei akuter Gefahr: Antrag auf einstweilige Anordnung stellen
Das Antragsverfahren beim Familiengericht
Den Antrag auf eine Schutzanordnung stellen Sie beim örtlich zuständigen Familiengericht. Zuständig ist in der Regel das Gericht, in dessen Bezirk Sie Ihren Wohnsitz haben. Der Antrag kann schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Für das Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz besteht kein Anwaltszwang – Sie können den Antrag also selbst stellen.
Schildern Sie im Antrag die Stalking-Handlungen möglichst konkret mit Datum, Uhrzeit und Art des Vorfalls. Benennen Sie Beweismittel und Zeugen. Formulieren Sie genau, welche Verbote Sie beantragen – je präziser, desto besser durchsetzbar. Bei Bedarf können Sie auch Prozesskostenhilfe beantragen, wenn Sie die Gerichtskosten nicht selbst tragen können.
Die einstweilige Anordnung bei Eilbedürftigkeit
Bei akuter Gefahr kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, ohne den Stalker vorher anzuhören. Diese sogenannte Ex-parte-Entscheidung kann innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen ergehen und ist sofort wirksam. Der Stalker erfährt erst durch die Zustellung von der Anordnung – und muss sich ab diesem Moment daran halten.
Nach Erlass der einstweiligen Anordnung findet in der Regel eine mündliche Verhandlung statt, bei der der Stalker Gelegenheit zur Stellungnahme erhält. Das Gericht entscheidet dann, ob die Anordnung bestätigt, abgeändert oder aufgehoben wird. Halten Sie für diese Verhandlung alle Beweise bereit und bereiten Sie sich darauf vor, Ihre Schilderungen mündlich zu erläutern. Die Anwesenheit des Stalkers im selben Raum kann belastend sein – das Gericht kann auf Antrag Schutzmaßnahmen wie eine getrennte Vernehmung anordnen.
Strafanzeige wegen Nachstellung: Ablauf und wichtige Hinweise
Eine Strafanzeige ist der formelle Weg, um den Staat zum Handeln zu bringen und den Stalker strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Anzeige können Sie bei jeder Polizeidienststelle erstatten – persönlich, schriftlich oder in vielen Bundesländern auch online. Es empfiehlt sich jedoch, persönlich vorzusprechen und die Anzeige ausführlich zu Protokoll zu geben.
Bereiten Sie sich auf die Anzeigenerstattung gründlich vor. Bringen Sie Ihr Stalking-Tagebuch, alle gesammelten Beweise und eine Liste der Zeugen mit. Je vollständiger Ihre Unterlagen sind, desto einfacher wird die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Schildern Sie die Vorfälle chronologisch und sachlich. Die aufnehmenden Beamten werden Nachfragen stellen – beantworten Sie diese so präzise wie möglich.
Nach der Anzeigenerstattung wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, der eine Anklage rechtfertigt. Sie können als Opfer in vielen Fällen Akteneinsicht beantragen und werden über den Fortgang des Verfahrens informiert. Sollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen wollen, werden Sie davon benachrichtigt und können unter Umständen Beschwerde einlegen oder ein Klageerzwingungsverfahren anstrengen.
Was passiert nach der Anzeige im Ermittlungsverfahren
Nach Eingang Ihrer Anzeige nimmt die Polizei die Ermittlungen auf. Der Beschuldigte wird in der Regel vernommen und erhält Gelegenheit zur Stellungnahme. Zeugen werden befragt, digitale Spuren gesichert und weitere Beweise erhoben. Dieser Prozess kann einige Zeit dauern – haben Sie Geduld, aber fragen Sie nach einigen Wochen nach dem Stand der Ermittlungen.
Als Opfer haben Sie im Strafverfahren besondere Rechte. Sie können sich durch einen Opferanwalt vertreten lassen, dessen Kosten unter bestimmten Voraussetzungen vom Staat übernommen werden. Sie haben das Recht auf Akteneinsicht und können an der Hauptverhandlung teilnehmen. Bei schweren Fällen von Stalking können Sie sich als Nebenklägerin oder Nebenkläger dem Verfahren anschließen, was Ihnen weitergehende Rechte einräumt, etwa das Recht, Fragen an den Angeklagten und Zeugen zu stellen.
Praxis-Tipp: Opferschutz im Strafverfahren nutzen
Informieren Sie sich frühzeitig über Ihre Rechte als Opfer im Strafverfahren. Sie können beantragen, dass Ihre Adresse nicht in die Akten aufgenommen wird und Sie über eine Kontaktadresse (z.B. über einen Anwalt) erreichbar sind. Bei der Vernehmung können Sie eine Vertrauensperson mitnehmen. Im Gerichtssaal kann auf Antrag eine räumliche Trennung vom Angeklagten angeordnet oder Ihre Aussage per Video übertragen werden. Nutzen Sie diese Schutzmöglichkeiten – sie sind Ihr gutes Recht.
Die Hauptverhandlung und mögliche Strafen
Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, kommt es zur Hauptverhandlung vor dem Strafgericht. Als Opfer werden Sie in der Regel als Zeugin oder Zeuge geladen und müssen aussagen. Bereiten Sie sich auf diese Situation vor – lesen Sie nochmals Ihre Aufzeichnungen durch und vergegenwärtigen Sie sich die Vorfälle. Bleiben Sie bei Ihrer Aussage sachlich und bei der Wahrheit.
Das Strafmaß für Stalking reicht von Geldstrafen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe im Grundtatbestand. Bei qualifizierten Fällen – etwa wenn der Täter das Opfer oder eine nahestehende Person in Lebensgefahr bringt – drohen bis zu zehn Jahre Haft. Führt das Stalking zum Tod des Opfers oder einer nahestehenden Person, ist sogar eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vorgesehen. Das Gericht berücksichtigt bei der Strafzumessung die Intensität und Dauer des Stalkings, die Auswirkungen auf das Opfer sowie eventuelle Vorstrafen des Täters.
Zivilrechtliche Unterlassungsklage gegen Stalking-Handlungen
Neben dem Gewaltschutzgesetz und dem Strafrecht bietet das allgemeine Zivilrecht weitere Möglichkeiten, gegen Stalking vorzugehen. Ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 1004 BGB analog in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob eine Straftat vorliegt, und kann auch dann geltend gemacht werden, wenn die Schwelle zur strafbaren Nachstellung noch nicht erreicht ist.
Der zivilrechtliche Weg hat einige Vorteile. Sie sind nicht von der Bereitschaft der Staatsanwaltschaft abhängig, Anklage zu erheben. Sie bestimmen selbst, welche konkreten Unterlassungsverpflichtungen Sie durchsetzen wollen. Zudem können Sie im Zivilverfahren Schadensersatz und Schmerzensgeld für bereits erlittene Beeinträchtigungen verlangen. Die Kosten des Verfahrens trägt bei Erfolg der Gegner.
Der Nachteil: Ein Zivilprozess kann langwierig sein und erfordert einen gewissen finanziellen Vorschuss für Gerichts- und Anwaltskosten. Auch besteht ein Kostenrisiko, falls Sie den Prozess verlieren. Bei klarer Beweislage und eindeutigen Stalking-Handlungen überwiegen jedoch meist die Vorteile, zumal der Unterlassungsanspruch auch im einstweiligen Rechtsschutz schnell durchgesetzt werden kann.
Die außergerichtliche Abmahnung als erster Schritt
Bevor Sie eine Unterlassungsklage erheben, sollten Sie den Stalker in der Regel zunächst außergerichtlich abmahnen. In der Abmahnung fordern Sie ihn auf, das konkret beschriebene Verhalten zu unterlassen, und setzen eine Frist zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Diese Erklärung verpflichtet den Stalker, bei Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu zahlen.
Die Abmahnung hat mehrere Funktionen: Sie dokumentiert, dass der Stalker unmissverständlich aufgefordert wurde, sein Verhalten einzustellen. Sie kann bereits ohne Gerichtsverfahren zum Erfolg führen, wenn der Stalker die Unterlassungserklärung abgibt. Und sie ist in vielen Fällen Voraussetzung dafür, dass Sie bei einer späteren Klage die Kosten erstattet bekommen. Formulieren Sie die Abmahnung präzise und lassen Sie sie per Einschreiben mit Rückschein zustellen.
Einstweilige Verfügung bei Dringlichkeit
Wenn schnelles Handeln erforderlich ist, können Sie eine einstweilige Verfügung beantragen. Dieses Eilverfahren ermöglicht es, innerhalb weniger Tage – in dringenden Fällen sogar innerhalb von Stunden – eine gerichtliche Unterlassungsanordnung zu erwirken. Die Voraussetzung ist, dass ein Unterlassungsanspruch glaubhaft gemacht wird und eine besondere Dringlichkeit besteht.
Die Glaubhaftmachung erfolgt durch eine eidesstattliche Versicherung und die Vorlage von Beweismitteln wie Screenshots oder Zeugenaussagen. Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die einstweilige Verfügung wird dem Stalker zugestellt und ist sofort vollstreckbar. Bei Zuwiderhandlung drohen Ordnungsgelder oder Ordnungshaft. Beachten Sie: Nach Erlass der einstweiligen Verfügung müssen Sie innerhalb einer bestimmten Frist das Hauptsacheverfahren einleiten, sonst verliert die Verfügung ihre Wirkung.
Cyber-Stalking: Schutz vor digitaler Belästigung und Online-Nachstellung
Die Digitalisierung hat dem Stalking eine neue Dimension verliehen. Cyber-Stalking umfasst alle Formen der Nachstellung, die über digitale Kanäle erfolgen – von massenhaften E-Mails und SMS über Belästigungen in sozialen Netzwerken bis hin zum Hacken von Accounts oder der Verbreitung intimer Aufnahmen. Die rechtliche Bewertung ist klar: Cyber-Stalking ist genauso strafbar wie klassisches Stalking und kann ebenso nach § 238 StGB verfolgt werden.
Die Besonderheit beim Cyber-Stalking liegt in der Anonymität, die das Internet bieten kann, und in der schieren Masse möglicher Kontaktwege. Ein Stalker kann unter verschiedenen Pseudonymen auftreten, gefälschte Profile erstellen oder über Dritte Kontakt aufnehmen. Gleichzeitig hinterlässt digitales Stalking oft mehr Spuren als physisches – jede Nachricht, jeder Kommentar, jeder Login kann potenziell zurückverfolgt werden.
Für Betroffene ist Cyber-Stalking besonders belastend, da es keine räumliche Fluchtmöglichkeit gibt. Das Smartphone wird zum ständigen Eindringling, der Posteingang zur Quelle der Angst. Die psychischen Auswirkungen sind oft gravierend. Umso wichtiger ist es, die technischen und rechtlichen Möglichkeiten zum Schutz zu kennen und konsequent zu nutzen.
Beispiel: Cyber-Stalking über gefälschte Social-Media-Profile
Nach der Trennung erstellte der Ex-Partner mehrere gefälschte Profile in sozialen Netzwerken, um die Betroffene weiterhin zu kontaktieren und ihre Freunde mit Falschinformationen zu konfrontieren. Die Frau dokumentierte jeden Account mit Screenshots, meldete die Profile bei den Plattformen und erstattete Anzeige. Die Polizei konnte über IP-Adressen den Ex-Partner als Urheber identifizieren. Das Gericht verurteilte ihn wegen Nachstellung und Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Zusätzlich erhielt die Betroffene Schmerzensgeld für die erlittenen psychischen Belastungen.
Technische Schutzmaßnahmen gegen Cyber-Stalking
Der erste Schritt beim Cyber-Stalking ist die Absicherung Ihrer digitalen Identität. Ändern Sie alle Passwörter – E-Mail, soziale Netzwerke, Online-Banking, Cloud-Dienste. Verwenden Sie starke, einzigartige Passwörter und aktivieren Sie die Zwei-Faktor-Authentifizierung, wo immer möglich. Überprüfen Sie, welche Geräte Zugriff auf Ihre Konten haben, und entfernen Sie unbekannte oder nicht mehr genutzte Geräte.
Prüfen Sie Ihre Privatsphäre-Einstellungen in sozialen Netzwerken. Beschränken Sie, wer Ihre Beiträge sehen, Ihnen Nachrichten senden oder Sie markieren kann. Deaktivieren Sie die Standortfreigabe in Apps und Fotos. Googeln Sie sich selbst, um zu sehen, welche Informationen öffentlich über Sie verfügbar sind, und lassen Sie sensible Daten entfernen. Seien Sie vorsichtig bei unbekannten Freundschaftsanfragen oder Links in Nachrichten – Stalker nutzen oft Social Engineering, um an Informationen zu gelangen.
Stalking bei Online-Plattformen melden
Alle großen Social-Media-Plattformen haben Mechanismen zur Meldung von Belästigung und Stalking. Nutzen Sie diese konsequent. Melden Sie jeden belästigenden Account, jeden bedrohlichen Kommentar, jede unerwünschte Nachricht. Die Plattformen sind verpflichtet, auf solche Meldungen zu reagieren und können Accounts sperren oder Inhalte löschen.
Zusätzlich zur Meldung sollten Sie den Stalker auf allen Plattformen blockieren. Das verhindert zwar nicht, dass er neue Accounts erstellt, reduziert aber die direkte Belästigung und dokumentiert Ihren Willen, keinen Kontakt zu haben. Einige Plattformen bieten auch die Möglichkeit, Schlüsselwörter zu filtern oder nur Nachrichten von verifizierten Kontakten zu empfangen. Informieren Sie sich über die spezifischen Schutzfunktionen der von Ihnen genutzten Dienste.
Professionelle Hilfe: Beratungsstellen und Unterstützungsangebote
Stalking ist eine enorme psychische Belastung. Die ständige Angst, das Gefühl der Hilflosigkeit, die Einschränkungen im Alltag – all das zehrt an den Nerven und kann zu Angstzuständen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Professionelle Unterstützung ist daher nicht nur bei den rechtlichen Schritten wichtig, sondern auch für Ihre psychische Gesundheit.
In Deutschland gibt es ein breites Netzwerk an Beratungsstellen, die speziell auf Stalking-Opfer ausgerichtet sind. Die Beratung ist in der Regel kostenlos, vertraulich und kann auch anonym erfolgen. Die Berater kennen die rechtlichen Möglichkeiten, können bei der Dokumentation helfen und vermitteln bei Bedarf an spezialisierte Therapeuten oder Rechtsbeistände. Viele Beratungsstellen bieten auch Notfallnummern für akute Krisensituationen an.
Der Weiße Ring ist eine der bekanntesten Opferhilfeorganisationen in Deutschland und unterstützt auch Stalking-Betroffene. Das bundesweite Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" unter der Nummer 08000 116 016 ist rund um die Uhr erreichbar und bietet mehrsprachige Beratung. Lokale Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen sind ebenfalls wichtige Anlaufstellen. Für männliche Betroffene gibt es spezialisierte Männerberatungsstellen. Scheuen Sie sich nicht, diese Angebote in Anspruch zu nehmen – Sie sind nicht allein.
Praxis-Tipp: Beratungsstellen frühzeitig kontaktieren
Warten Sie nicht, bis die Situation eskaliert. Kontaktieren Sie eine Beratungsstelle bereits bei den ersten Anzeichen von Stalking. Die Berater können Ihnen helfen, die Situation einzuschätzen, eine Strategie zu entwickeln und von Anfang an richtig zu dokumentieren. Eine frühzeitige Beratung stärkt Ihre Position für alle späteren rechtlichen Schritte und gibt Ihnen das Gefühl, nicht hilflos zu sein. Der Kontakt zu einer Beratungsstelle ist unverbindlich und verpflichtet Sie zu nichts.
Psychologische Unterstützung und Traumabewältigung
Die psychischen Folgen von Stalking sollten nicht unterschätzt werden. Viele Betroffene entwickeln Angststörungen, Schlafstörungen, Depressionen oder Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine psychologische Betreuung kann helfen, diese Belastungen zu verarbeiten und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt über die Belastungen und lassen Sie sich gegebenenfalls an einen Psychotherapeuten überweisen. Die Kosten für eine Psychotherapie werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Bei akuten Krisen können Sie sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 oder an psychiatrische Notaufnahmen wenden. Es ist kein Zeichen von Schwäche, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – im Gegenteil, es ist ein wichtiger Schritt zur Selbstfürsorge.
Individuelle Sicherheitsplanung entwickeln
Gemeinsam mit Beratungsstellen und gegebenenfalls der Polizei können Sie einen individuellen Sicherheitsplan entwickeln. Dieser Plan berücksichtigt Ihre konkrete Situation und enthält Handlungsanweisungen für verschiedene Szenarien. Er umfasst sichere Kontaktpersonen, Fluchtrouten, Verhaltensregeln und wichtige Telefonnummern.
Ein Sicherheitsplan sollte schriftlich festgehalten und regelmäßig aktualisiert werden. Üben Sie die vorgesehenen Abläufe, damit sie im Ernstfall automatisch funktionieren. Informieren Sie die Personen, die im Plan eine Rolle spielen, über ihre Aufgaben. Ein gut durchdachter Sicherheitsplan gibt Ihnen Kontrolle zurück und reduziert das Gefühl der Hilflosigkeit – selbst wenn er hoffentlich nie zum Einsatz kommen muss.
