Wann gilt Asbest als Mietmangel
Sie haben gerade erfahren, dass in Ihrer Wohnung Asbest verbaut wurde. Vielleicht durch eine Routineuntersuchung, vielleicht durch einen Hinweis des Nachbarn, vielleicht durch einen beschädigten Bodenbelag. Die Unsicherheit ist groß: Wie gefährlich ist das wirklich? Und vor allem: Müssen Sie weiterhin die volle Miete zahlen für eine Wohnung, die möglicherweise Ihre Gesundheit gefährdet?
Die gute Nachricht zuerst: Das deutsche Mietrecht schützt Sie in dieser Situation umfassend. Asbestbelastungen stellen nach ständiger Rechtsprechung einen erheblichen Mietmangel dar, der Sie zur Mietminderung berechtigt. Das Landgericht Dortmund formulierte es in einem wegweisenden Urteil unmissverständlich: „Dass Asbestfasern gesundheitsschädlich sind, ist anerkannt und bedarf keiner weiteren Erörterung." Diese klare Haltung der Gerichte gibt Ihnen eine starke Position gegenüber Ihrem Vermieter.
Rechtliche Grundlage des Mietmangels
Nach § 536 BGB ist der Vermieter verpflichtet, die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen. Eine Wohnung, in der krebserregende Fasern freigesetzt werden können, erfüllt diese Anforderung nicht. Der Mangel liegt bereits in der bloßen Gefährdungslage – nicht erst dann, wenn tatsächlich Fasern freigesetzt wurden oder Sie bereits erkrankt sind. Die Gerichte haben hier einen präventiven Schutzgedanken verankert, der Ihrer Gesundheit Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen des Vermieters einräumt.
Besonders wichtig: Es kommt nicht darauf an, ob der Asbest zum Zeitpunkt des Einbaus legal und üblich war. Selbst wenn Ihr Vermieter argumentiert, dass in den 1970er Jahren jeder so gebaut hat, ändert das nichts am heutigen Mangel. Der Zustand der Wohnung wird nach aktuellen Maßstäben bewertet, nicht nach historischen Standards. Asbest war bis 1979 in Westdeutschland und bis 1990 in der DDR zulässig – für Ihren Minderungsanspruch spielt das jedoch keine Rolle.
Keine Grenzwerte für Gesundheitsgefährdung erforderlich
Anders als bei vielen anderen Schadstoffen gibt es bei Asbest keine unbedenklichen Grenzwerte. Die Wissenschaft ist sich einig: Jede eingeatmete Asbestfaser kann potenziell zu schweren Erkrankungen wie Asbestose oder Mesotheliom führen. Diese Erkrankungen können Jahrzehnte nach der Exposition auftreten, was die besondere Tücke dieser Belastung ausmacht. Aus diesem Grund haben Gerichte wiederholt festgestellt, dass bereits der bloße Verdacht einer Asbestbelastung einen Mangel begründen kann.
Sie müssen also nicht nachweisen, dass eine bestimmte Konzentration überschritten wurde. Die nachgewiesene Existenz von asbesthaltigen Materialien in Ihrer Wohnung – insbesondere wenn diese beschädigt sind oder Fasern freisetzen können – reicht aus. Bei fest gebundenem Asbest, der unbeschädigt ist und keine Fasern abgibt, kann die Situation anders zu bewerten sein. Doch sobald Verschleiß, Beschädigungen oder Bearbeitungen vorliegen, besteht akute Gefahr.
Praxis-Tipp: Dokumentation bei Asbestverdacht
Fotografieren Sie verdächtige Materialien sofort und umfassend. Notieren Sie Datum, Uhrzeit und genaue Lage in der Wohnung. Vermeiden Sie dabei unbedingt, das Material zu berühren oder zu beschädigen. Diese Dokumentation ist später entscheidend für Ihre Ansprüche und kostet Sie nichts außer wenigen Minuten Zeit.
Höhe der Mietminderung bei Asbestbelastung
Die Frage, wie viel Sie konkret von der Miete abziehen dürfen, beschäftigt jeden betroffenen Mieter. Die Antwort ist differenziert: Die Minderungsquote richtet sich nach dem Grad der Beeinträchtigung Ihrer Wohnnutzung. Die Rechtsprechung hat hier über die Jahre verschiedene Orientierungswerte entwickelt, die von der konkreten Gefährdungssituation abhängen.
Bei leichteren Belastungen, etwa wenn asbesthaltiges Material zwar vorhanden, aber gut versiegelt und unbeschädigt ist, können Minderungsquoten zwischen zehn und zwanzig Prozent angemessen sein. Die Beeinträchtigung liegt hier vor allem in der psychischen Belastung durch das Wissen um die potenzielle Gefährdung. Gerichte haben diese psychische Komponente ausdrücklich als minderungsrelevant anerkannt – Sie müssen also nicht nachweisen, dass bereits Fasern freigesetzt wurden.
Minderung bei mittlerer Belastung
Wenn asbesthaltiges Material beschädigt ist oder in Bereichen vorkommt, die regelmäßig mechanischer Beanspruchung ausgesetzt sind, steigt die Minderungsquote deutlich an. Typische Fälle sind Fußbodenbeläge mit Rissen, beschädigte Nachtspeicheröfen oder Fassadenplatten mit Absplitterungen. Hier haben Gerichte Minderungen zwischen zwanzig und fünfzig Prozent zugesprochen. Die genaue Quote hängt davon ab, wie stark der betroffene Bereich genutzt wird und wie hoch das Risiko einer Faserfreisetzung eingeschätzt wird.
Besonders relevant ist die Frage, ob Sie den kontaminierten Bereich meiden können. Befindet sich der Asbest im Schlafzimmer, wiegt das schwerer als im Kellerraum. Auch die Größe des betroffenen Bereichs spielt eine Rolle: Eine komplette Wohnung mit asbesthaltigen Bodenbelägen begründet eine höhere Minderung als ein einzelner Raum.
Minderung bei akuter Gesundheitsgefährdung
In Fällen akuter Gesundheitsgefährdung – etwa wenn nachweislich erhöhte Faserkonzentrationen in der Raumluft gemessen wurden oder großflächige Beschädigungen vorliegen – kann die Minderung bis zu einhundert Prozent betragen. Eine vollständige Minderung bedeutet: Sie zahlen keine Miete mehr, solange der Zustand andauert. Solche drastischen Fälle sind selten, aber die Rechtsprechung hat sie ausdrücklich anerkannt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Wohnung faktisch unbewohnbar geworden ist oder ein Aufenthalt unzumutbar erscheint.
Beispiel: Mietminderung bei beschädigtem Bodenbelag
Ein Mieter entdeckte, dass der PVC-Bodenbelag in seiner gesamten Wohnung asbesthaltig war. An mehreren Stellen wies der Belag Risse und Abplatzungen auf, besonders im Flur und in der Küche. Ein Gutachten bestätigte die Freisetzung von Asbestfasern. Das zuständige Gericht sprach eine Mietminderung von fünfunddreißig Prozent zu, da der Mieter die Wohnung zwar weiter nutzen konnte, aber unter erheblicher psychischer Belastung und mit dem Risiko weiterer Faserfreisetzung lebte.
Orientierung an Minderungstabellen
Minderungstabellen, wie sie im Internet kursieren, können eine erste Orientierung bieten, sind aber rechtlich nicht bindend. Jeder Fall wird individuell bewertet. Faktoren wie Baujahr, Art des asbesthaltigen Materials, Ausmaß der Beschädigung, Lage in der Wohnung und Ihre persönliche Situation fließen in die Beurteilung ein. Verlassen Sie sich daher nicht blind auf pauschale Prozentangaben, sondern lassen Sie Ihre konkrete Situation einschätzen.
Nachweis der Asbestbelastung durch Gutachten
Der Nachweis einer Asbestbelastung ist der Schlüssel zu Ihren Ansprüchen. Ohne belastbare Fakten wird es schwer, eine Mietminderung durchzusetzen oder den Vermieter zur Sanierung zu bewegen. Die gute Nachricht: Die Beweislast ist differenziert verteilt, und Sie müssen nicht jedes Detail selbst nachweisen.
Grundsätzlich müssen Sie als Mieter den Mangel darlegen und beweisen. Bei Asbest bedeutet das zunächst: Sie müssen nachweisen, dass überhaupt asbesthaltiges Material in der Wohnung vorhanden ist. Hierfür ist in der Regel eine Laboranalyse erforderlich. Proben können von Materialien wie Bodenbelägen, Dämmstoffen, Fassadenplatten oder Dichtungen entnommen und untersucht werden. Die Kosten für eine solche Analyse liegen meist zwischen hundert und dreihundert Euro pro Probe.
Anforderungen an ein qualifiziertes Gutachten
Für eine rechtssichere Durchsetzung Ihrer Ansprüche sollte das Gutachten von einem akkreditierten Labor stammen. Achten Sie darauf, dass das Labor nach den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3866 arbeitet. Diese Richtlinie definiert die Standards für Asbestmessungen und -analysen. Ein Gutachten, das diese Standards nicht erfüllt, kann vor Gericht angezweifelt werden.
Das Gutachten sollte nicht nur die Art des Materials bestimmen, sondern auch eine Gefährdungsbeurteilung enthalten. Ist das Material fest gebunden oder schwach gebunden? Besteht eine aktuelle Faserfreisetzung? Wie hoch ist das Risiko bei normaler Nutzung? Diese Einschätzungen sind entscheidend für die Höhe Ihrer Minderungsansprüche und die Dringlichkeit einer Sanierung.
Checkliste: Anforderungen an ein Asbestgutachten
- Beauftragung eines akkreditierten Labors mit VDI-3866-Zertifizierung
- Probenentnahme durch geschultes Fachpersonal dokumentieren lassen
- Gefährdungsbeurteilung mit Bewertung des aktuellen Zustands anfordern
- Fotodokumentation der Entnahmestellen sicherstellen
- Empfehlungen für Sofortmaßnahmen und Sanierung einfordern
Wer trägt die Kosten für das Gutachten?
Die Frage der Kostentragung ist für viele Mieter entscheidend. Grundsätzlich gilt: Bestätigt das Gutachten die Asbestbelastung, muss der Vermieter die Kosten übernehmen. Er ist nach § 535 BGB verpflichtet, die Mietsache in vertragsgemäßem Zustand zu halten, wozu auch die Kenntnis über vorhandene Mängel gehört. Ergibt das Gutachten hingegen keine Belastung, bleiben Sie auf den Kosten sitzen.
Dieser Umstand führt zu einem praktischen Dilemma: Sie müssen zunächst in Vorleistung gehen, ohne zu wissen, ob sich die Investition lohnt. Ein Ausweg kann sein, den Vermieter zunächst schriftlich aufzufordern, selbst eine Untersuchung durchführen zu lassen. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, dokumentiert das sein Desinteresse an der Aufklärung – was Ihnen später argumentativ hilft.
Informationspflichten des Vermieters
Vermieter sind keine neutralen Vertragspartner – sie tragen besondere Pflichten zum Schutz ihrer Mieter. Gerade bei Gefahrstoffen wie Asbest haben Gerichte strenge Maßstäbe an die Informationspflichten angelegt. Diese Pflichten bestehen sowohl vor Vertragsschluss als auch während des laufenden Mietverhältnisses.
Vor Abschluss des Mietvertrags muss der Vermieter Sie über bekannte Asbestbelastungen informieren. Diese vorvertragliche Aufklärungspflicht ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB. Wer als Vermieter weiß, dass in der Wohnung asbesthaltiges Material verbaut wurde, darf diese Information nicht verschweigen. Ein Verstoß kann zur Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung führen – mit weitreichenden Konsequenzen für den Vermieter.
Aufklärungspflicht vor Vertragsschluss
Die Aufklärungspflicht erstreckt sich nicht nur auf nachgewiesene Belastungen, sondern auch auf begründete Verdachtsmomente. Wenn der Vermieter aufgrund des Baujahrs oder der verwendeten Materialien wissen müsste, dass Asbest verbaut sein könnte, muss er dies kommunizieren. Baujahre zwischen 1960 und 1990 sind besonders risikobehaftet – in dieser Zeit wurde Asbest massenhaft verbaut. Ein Vermieter, der eine Wohnung aus dieser Bauperiode vermietet, kann sich nicht auf Unwissenheit berufen.
Verschweigt der Vermieter eine ihm bekannte Asbestbelastung, haften Sie als Mieter nicht für die Folgen. Sie können den Mietvertrag anfechten, Schadensersatz fordern und gegebenenfalls bereits gezahlte Mieten zurückverlangen. Die Beweislast für das Nichtwissen liegt dabei beim Vermieter – er muss darlegen, dass er die Belastung nicht kannte und auch nicht kennen konnte.
Informationspflicht während des Mietverhältnisses
Auch während des laufenden Mietverhältnisses bestehen Informationspflichten. Erfährt der Vermieter von einer Asbestbelastung – etwa durch Gutachten bei anderen Wohnungen im gleichen Gebäude oder durch eigene Baumaßnahmen – muss er Sie unverzüglich informieren. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob Sie danach fragen. Der Vermieter darf nicht abwarten, bis Sie selbst auf die Belastung stoßen.
Die Informationspflicht umfasst auch Hinweise auf Verhaltensmaßnahmen. Wenn bestimmte Bereiche nicht beschädigt werden dürfen oder spezielle Vorsicht geboten ist, muss der Vermieter das kommunizieren. Unterlässt er dies und entsteht dadurch eine erhöhte Gefährdung, kann er sich schadensersatzpflichtig machen.
Rückwirkende Mietminderung bei nachträglicher Entdeckung
Viele Mieter erfahren erst nach Jahren von der Asbestbelastung in ihrer Wohnung. Die Frage liegt nahe: Können Sie auch für die vergangene Zeit eine Minderung geltend machen? Die Antwort ist grundsätzlich positiv, allerdings mit wichtigen Einschränkungen.
Das Mietrecht sieht vor, dass die Minderung automatisch eintritt, sobald der Mangel vorliegt – nicht erst, wenn Sie davon erfahren. Theoretisch steht Ihnen also auch für die Zeit eine Minderung zu, in der Sie nichts von der Belastung wussten. Die Schwierigkeit liegt in der Durchsetzung: Überzahlte Miete können Sie nur im Rahmen der Verjährungsfristen zurückfordern.
Verjährungsfristen beachten
Die reguläre Verjährungsfrist für Bereicherungsansprüche beträgt drei Jahre. Diese Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem Sie Kenntnis vom Mangel erlangen. Erfahren Sie also im März 2024 von der Asbestbelastung, können Sie bis Ende 2027 Ansprüche für die vergangenen Jahre geltend machen. Allerdings greift hier eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Entstehung des Anspruchs – unabhängig von Ihrer Kenntnis.
Praktisch bedeutet das: Wenn Sie heute von einer Belastung erfahren, die seit zwanzig Jahren besteht, können Sie maximal zehn Jahre rückwirkend Minderungsansprüche durchsetzen. Für die Zeit davor sind Ihre Ansprüche verjährt. Diese Einschränkung ist ärgerlich, aber rechtlich unvermeidbar.
Praxis-Tipp: Minderung korrekt geltend machen
Teilen Sie Ihrem Vermieter die Mietminderung immer schriftlich mit – per Einschreiben mit Rückschein. Benennen Sie den Mangel konkret, fügen Sie Nachweise bei und beziffern Sie die Minderungsquote. Zahlen Sie ab sofort nur noch die geminderte Miete. Eine rückwirkende Verrechnung mit laufenden Mieten ist nur mit Zustimmung des Vermieters oder gerichtlicher Klärung möglich.
Rückforderung überzahlter Miete
Die praktische Durchsetzung rückwirkender Ansprüche erfordert meist gerichtliche Hilfe. Vermieter geben freiwillig selten zu, dass sie jahrelang zu viel Miete kassiert haben. Sie müssen also aktiv werden: Fordern Sie den Vermieter zunächst außergerichtlich zur Erstattung auf, mit einer angemessenen Frist von zwei bis drei Wochen. Reagiert er nicht oder lehnt ab, bleibt der Klageweg.
Vor Gericht müssen Sie den Mangel und seine Dauer nachweisen. Hier helfen Gutachten, die den Zustand des Materials und damit indirekt die Dauer der Belastung belegen können. Auch Zeugenaussagen von Handwerkern oder Nachbarn können relevant sein. Die Beweisführung ist anspruchsvoll, aber nicht unmöglich.
Sanierungspflicht und Duldung von Baumaßnahmen
Die Beseitigung von Asbest ist keine freiwillige Gefälligkeit des Vermieters, sondern seine rechtliche Pflicht. Nach § 535 Abs. 1 BGB muss er die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand erhalten. Eine asbestbelastete Wohnung erfüllt diese Anforderung nicht – der Vermieter muss also sanieren.
Die Sanierungspflicht besteht unabhängig davon, ob der Vermieter die Belastung selbst verursacht hat. Auch wenn der Asbest von Vorbesitzern eingebaut wurde oder zum Zeitpunkt des Einbaus legal war, ändert das nichts an der aktuellen Pflicht. Der Vermieter kann sich nicht darauf berufen, dass er das Problem geerbt hat oder nichts dafür kann.
Umfang der Sanierungspflicht
Der Vermieter muss den Mangel vollständig beseitigen. Eine bloße Versiegelung oder Abdeckung des asbesthaltigen Materials reicht nur aus, wenn dadurch nachweislich keine Gefährdung mehr besteht. In vielen Fällen ist jedoch ein kompletter Rückbau erforderlich – insbesondere bei beschädigten oder schwach gebundenen Asbestprodukten. Die Entscheidung über die geeignete Sanierungsmethode sollte ein Fachunternehmen treffen.
Die Kosten der Sanierung trägt allein der Vermieter. Er darf sie weder auf Sie als Mieter umlegen noch als Modernisierungskosten auf die Miete aufschlagen. Die Beseitigung eines Mangels ist Instandhaltung, keine Modernisierung. Selbst wenn nach der Sanierung ein höherwertiger Bodenbelag verlegt wird, begründet das keinen Anspruch auf Mieterhöhung – zumindest nicht für den Teil, der der Mängelbeseitigung dient.
Ihre Duldungspflicht als Mieter
Als Mieter sind Sie verpflichtet, notwendige Sanierungsarbeiten zu dulden. Diese Duldungspflicht ergibt sich aus § 555a BGB. Sie können sich also nicht weigern, Handwerker in die Wohnung zu lassen, nur weil Ihnen der Zeitpunkt ungelegen kommt. Allerdings muss der Vermieter die Arbeiten rechtzeitig ankündigen und Ihre berechtigten Interessen berücksichtigen.
Während der Sanierung können Sie unter Umständen nicht in der Wohnung bleiben. Eine fachgerechte Asbestsanierung erfordert oft die vollständige Räumung der betroffenen Bereiche. In diesem Fall haben Sie Anspruch auf Ersatzunterbringung oder Kostenerstattung für ein Hotel. Der Vermieter muss die Kosten tragen, die Ihnen durch die Sanierung entstehen – einschließlich Umzugskosten, Lagerkosten für Möbel und erhöhte Fahrtkosten.
Beispiel: Sanierung mit Ersatzunterbringung
Bei einer umfassenden Asbestsanierung in einer Dreizimmerwohnung musste eine Familie für drei Wochen ausziehen. Der Vermieter buchte zunächst ein günstiges Hotel, das jedoch für eine vierköpfige Familie unzumutbar war. Das Gericht entschied später, dass der Vermieter die Kosten für eine angemessene Ferienwohnung übernehmen musste – inklusive der Differenz zum ursprünglich gebuchten Hotel. Die Familie erhielt außerdem Verpflegungsmehraufwand erstattet.
Außerordentliche Kündigung wegen Asbest
Wenn die Asbestbelastung so gravierend ist, dass ein Verbleib in der Wohnung unzumutbar wird, steht Ihnen ein außerordentliches Kündigungsrecht zu. Dieses Recht ergibt sich aus § 543 Abs. 1 BGB, der eine fristlose Kündigung bei wichtigem Grund ermöglicht. Eine erhebliche Gesundheitsgefährdung ist ein solcher wichtiger Grund.
Die Hürden für eine außerordentliche Kündigung sind allerdings hoch. Nicht jede Asbestbelastung rechtfertigt die sofortige Vertragsbeendigung. Erforderlich ist, dass Ihnen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das ist etwa der Fall, wenn akute Faserfreisetzung nachgewiesen wurde, der Vermieter eine Sanierung verweigert oder die Belastung so massiv ist, dass ein Aufenthalt gesundheitsgefährdend wäre.
Voraussetzungen der fristlosen Kündigung
Vor einer fristlosen Kündigung müssen Sie den Vermieter in der Regel abmahnen und ihm Gelegenheit zur Abhilfe geben. Setzen Sie ihm eine angemessene Frist zur Sanierung – je nach Dringlichkeit zwischen einer und vier Wochen. Erst wenn er diese Frist verstreichen lässt oder die Sanierung ausdrücklich ablehnt, können Sie fristlos kündigen. Eine Ausnahme gilt nur bei akuter Gefahr: Wenn jeder weitere Tag in der Wohnung Ihre Gesundheit gefährdet, ist eine vorherige Abmahnung entbehrlich.
Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und den Kündigungsgrund benennen. Formulieren Sie klar, dass Sie wegen der Asbestbelastung und der unterbliebenen Sanierung außerordentlich kündigen. Fügen Sie Nachweise bei – das Gutachten, Ihre Abmahnung, die ausgebliebene Reaktion des Vermieters. Je besser dokumentiert Ihre Kündigung ist, desto weniger Angriffsfläche bieten Sie für rechtliche Gegenangriffe.
Konsequenzen einer wirksamen Kündigung
Eine wirksame fristlose Kündigung beendet das Mietverhältnis sofort. Sie müssen keine Kündigungsfrist einhalten und können die Wohnung umgehend räumen. Gleichzeitig endet Ihre Pflicht zur Mietzahlung. Bereits gezahlte Miete für die Zeit nach Wirksamkeit der Kündigung können Sie zurückfordern.
Darüber hinaus können Sie Schadensersatz für die Kosten verlangen, die Ihnen durch die vorzeitige Beendigung entstehen: Umzugskosten, Maklergebühren für die neue Wohnung, Mehrkosten durch höhere Miete am neuen Wohnort. Der Vermieter haftet für alle Schäden, die kausal auf die Asbestbelastung zurückzuführen sind. Diese Ansprüche können erheblich sein und sollten vollständig geltend gemacht werden.
Schadensersatzansprüche bei Gesundheitsschäden
Die schwerwiegendste Konsequenz einer Asbestbelastung sind Gesundheitsschäden. Asbestbedingte Erkrankungen wie Asbestose, Lungenkrebs oder Mesotheliom können Jahre oder Jahrzehnte nach der Exposition auftreten. Wenn Sie durch die Asbestbelastung in Ihrer Mietwohnung erkrankt sind, stehen Ihnen weitreichende Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter zu.
Die Anspruchsgrundlage ist § 536a BGB, der den Vermieter zum Ersatz aller Schäden verpflichtet, die durch einen Mangel der Mietsache entstehen. Hinzu kommen deliktische Ansprüche aus § 823 BGB wegen Körperverletzung. Der Vermieter haftet auch dann, wenn er die Belastung nicht kannte – es genügt, dass er sie bei sorgfältiger Prüfung hätte kennen können. Nur bei völlig unverschuldetem Nichtwissen entfällt die Haftung.
Umfang des Schadensersatzes
Der Schadensersatz umfasst alle materiellen und immateriellen Schäden. Materiell sind das Behandlungskosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, Verdienstausfall, Kosten für Haushaltshilfen oder Pflegekräfte, Fahrtkosten zu Ärzten und Therapien. Immateriell steht Ihnen ein Schmerzensgeld zu, dessen Höhe sich nach der Schwere der Erkrankung und den Auswirkungen auf Ihre Lebensqualität richtet.
Bei schweren Erkrankungen wie Mesotheliom, das fast immer tödlich verläuft, können die Schadensersatzansprüche in den sechsstelligen Bereich gehen. Auch bei weniger dramatischen, aber chronischen Beschwerden wie Atemproblemen oder Hautreizungen sind Ansprüche möglich. Entscheidend ist der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen der Asbestexposition in der Wohnung und Ihrer Erkrankung.
Praxis-Tipp: Gesundheitsschäden dokumentieren
Führen Sie ab Bekanntwerden der Asbestbelastung ein Gesundheitstagebuch. Notieren Sie alle Beschwerden, Arztbesuche und Diagnosen. Bewahren Sie sämtliche medizinischen Unterlagen auf. Diese Dokumentation kann Jahre später entscheidend sein, wenn asbestbedingte Erkrankungen auftreten und Sie Ihre Ansprüche nachweisen müssen.
Beweisführung bei Gesundheitsschäden
Die größte Herausforderung bei Schadensersatzansprüchen ist der Nachweis des Kausalzusammenhangs. Sie müssen beweisen, dass Ihre Erkrankung durch die Asbestbelastung in der Wohnung verursacht wurde – und nicht durch andere Quellen wie berufliche Exposition oder Rauchen. Dieser Nachweis erfordert in der Regel medizinische Gutachten, die teuer und langwierig sein können.
Die Beweislast liegt grundsätzlich bei Ihnen. Allerdings haben Gerichte bei Gefahrstoffen wie Asbest Beweiserleichterungen entwickelt. Wenn feststeht, dass Sie über längere Zeit einer Asbestbelastung ausgesetzt waren und eine typische Asbesterkrankung vorliegt, spricht ein Anscheinsbeweis für den Kausalzusammenhang. Der Vermieter müsste dann beweisen, dass eine andere Ursache wahrscheinlicher ist.
Verjährung von Schadensersatzansprüchen
Schadensersatzansprüche wegen Gesundheitsschäden verjähren in drei Jahren ab Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen. Bei Asbesterkrankungen kann diese Kenntnis erst Jahrzehnte nach der Exposition eintreten. Die Verjährungsfrist beginnt also erst zu laufen, wenn Sie von Ihrer Erkrankung und deren Ursache erfahren. Eine absolute Verjährung greift hier erst nach dreißig Jahren – ein Zugeständnis des Gesetzgebers an die langen Latenzzeiten asbestbedingter Erkrankungen.
Handeln Sie dennoch zügig, sobald Sie einen Zusammenhang zwischen Ihrer Gesundheit und der Asbestbelastung vermuten. Sichern Sie Beweise, solange sie verfügbar sind. Die Wohnung wird vielleicht saniert, Unterlagen gehen verloren, Zeugen vergessen Details. Je früher Sie Ihre Ansprüche dokumentieren und geltend machen, desto besser stehen Ihre Chancen auf vollständige Entschädigung.
