Gesetzliche Erbfolge: Warum Stiefkinder leer ausgehen
Sie haben Ihr Stiefkind großgezogen, Schulaufführungen besucht, bei den Hausaufgaben geholfen und sind zu einer echten Familie zusammengewachsen. Doch wenn Sie morgen sterben würden, erhält Ihr Stiefkind nach dem Gesetz keinen einzigen Cent. Das deutsche Erbrecht kennt keine Verwandtschaft durch Heirat – und das hat dramatische Konsequenzen für Patchworkfamilien.
Die gesetzliche Erbfolge in Deutschland basiert ausschließlich auf Blutsverwandtschaft und Adoption. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) teilt Erben in verschiedene Ordnungen ein: Zur ersten Ordnung gehören Abkömmlinge des Erblassers, also leibliche und adoptierte Kinder. Stiefkinder fallen in keine dieser Kategorien. Sie sind rechtlich betrachtet Fremde – unabhängig davon, wie eng die tatsächliche Beziehung ist oder wie lange sie bereits in der Familie leben.
Diese rechtliche Realität trifft viele Familien völlig unvorbereitet. Verstirbt ein Stiefelternteil ohne Testament, geht der gesamte Nachlass an die gesetzlichen Erben: den überlebenden Ehepartner, die leiblichen Kinder und möglicherweise weitere Verwandte. Das Stiefkind, das vielleicht sein halbes Leben in diesem Haushalt verbracht hat, steht mit leeren Händen da. Besonders bitter wird es, wenn das Stiefkind sogar den Stiefelternteil gepflegt hat – auch dann besteht kein gesetzlicher Erbanspruch.
Warum das Verwandtschaftsverhältnis entscheidend ist
Das deutsche Erbrecht stammt in seinen Grundzügen aus einer Zeit, in der Patchworkfamilien die Ausnahme waren. Der Gesetzgeber hat das Verwandtschaftsrecht strikt an biologische Abstammung oder formelle Adoption geknüpft. Eine Heirat mit dem leiblichen Elternteil eines Kindes begründet zwar ein Schwägerschaftsverhältnis, aber keine erbrechtlich relevante Verwandtschaft.
Konkret bedeutet das: Heiraten Sie jemanden mit Kindern aus einer früheren Beziehung, werden diese Kinder Ihre Stiefkinder. Sie können zusammenleben, den Alltag teilen, eine enge emotionale Bindung aufbauen – doch erbrechtlich bleiben Sie Fremde. Selbst wenn Sie das Stiefkind über Jahrzehnte finanziell unterstützt haben, entsteht daraus kein Erbrecht.
Erbrechtliche Lücken in Patchworkfamilien
In Patchworkfamilien entstehen häufig komplexe Konstellationen, die das starre gesetzliche Erbrecht nicht abbilden kann. Stellen Sie sich vor: Ein Ehepaar bringt jeweils zwei Kinder aus früheren Beziehungen mit. Stirbt ein Partner ohne Testament, erben nur dessen leibliche Kinder und der überlebende Ehepartner. Die Stiefkinder des Verstorbenen gehen leer aus – obwohl sie möglicherweise genauso behandelt wurden wie die leiblichen Kinder.
Diese Ungleichbehandlung kann zu erheblichen Konflikten führen und den Familienfrieden nachhaltig zerstören. Deshalb ist es für Patchworkfamilien besonders wichtig, frühzeitig aktiv zu werden und die Nachlassplanung selbst in die Hand zu nehmen.
Testament errichten: So setzen Sie Stiefkinder als Erben ein
Die gute Nachricht: Sie können die gesetzliche Erbfolge außer Kraft setzen. Mit einem Testament bestimmen Sie frei, wer Ihr Vermögen erhalten soll – und das schließt selbstverständlich Stiefkinder ein. Ein Testament ist das wichtigste Instrument, um Stiefkinder erbrechtlich abzusichern und den tatsächlichen Familienverhältnissen Rechnung zu tragen.
Grundsätzlich stehen Ihnen zwei Formen zur Verfügung: das eigenhändige Testament und das notarielle Testament. Das eigenhändige Testament müssen Sie vollständig mit der Hand schreiben und unterschreiben. Ein maschinell erstelltes Dokument ist unwirksam. Das notarielle Testament wird von einem Notar beurkundet und bietet zusätzliche Rechtssicherheit, da der Notar Sie über die rechtlichen Konsequenzen aufklärt und Formfehler vermeidet.
Bei der Erbeinsetzung von Stiefkindern sollten Sie besonders präzise formulieren. Bezeichnen Sie das Stiefkind eindeutig mit vollem Namen und Geburtsdatum. Vermeiden Sie allgemeine Formulierungen wie "meine Kinder", da dies rechtlich nur die leiblichen und adoptierten Kinder umfasst. Schreiben Sie stattdessen ausdrücklich: "Ich setze mein Stiefkind [Name], geboren am [Datum], als Erben ein."
Formvorschriften beim eigenhändigen Testament
Ein eigenhändiges Testament muss zwingend folgende Voraussetzungen erfüllen: Es muss vollständig handschriftlich verfasst sein – kein Ausdruck, keine Schreibmaschine. Am Ende muss Ihre eigenhändige Unterschrift stehen, idealerweise mit Vor- und Nachnamen. Außerdem sollten Sie Ort und Datum angeben, auch wenn das Fehlen dieser Angaben nicht automatisch zur Unwirksamkeit führt.
Bewahren Sie das Testament sicher auf und informieren Sie eine Vertrauensperson über den Aufbewahrungsort. Noch besser: Hinterlegen Sie es beim Amtsgericht in der amtlichen Verwahrung. So stellen Sie sicher, dass es im Erbfall auch gefunden und eröffnet wird.
Praxis-Tipp: Testament beim Amtsgericht hinterlegen
Lassen Sie Ihr Testament in die amtliche Verwahrung beim Amtsgericht nehmen. Die Kosten sind überschaubar, aber der Vorteil enorm: Das Testament wird nach Ihrem Tod automatisch eröffnet und kann nicht "verschwinden". Gerade bei Stiefkind-Konstellationen, wo möglicherweise andere Erben kein Interesse an der Testamentseröffnung haben, ist diese Sicherheit unverzichtbar.
Vorteile des notariellen Testaments
Ein notarielles Testament bietet gerade bei komplexen Familienverhältnissen erhebliche Vorteile. Der Notar prüft Ihre Testierfähigkeit, klärt Sie über rechtliche Konsequenzen auf und sorgt für eine eindeutige Formulierung. Formfehler, die zur Unwirksamkeit führen könnten, werden vermieden.
Zusätzlich ersetzt ein notarielles Testament in vielen Fällen den Erbschein. Die Erben können sich direkt mit der notariellen Urkunde ausweisen, was Zeit und Kosten spart. Bei größeren Vermögen oder komplexen Regelungen ist das notarielle Testament daher oft die bessere Wahl.
Pflichtteilsansprüche leiblicher Kinder beachten
So frei Sie in der Gestaltung Ihres Testaments auch sind – eine absolute Grenze setzt das Pflichtteilsrecht. Leibliche Kinder können Sie nicht vollständig von Ihrem Nachlass ausschließen. Selbst wenn Sie Ihr gesamtes Vermögen dem Stiefkind vermachen wollen, behalten Ihre leiblichen Kinder einen Anspruch auf den Pflichtteil. Diese gesetzliche Regelung kann Ihre Nachlassplanung erheblich beeinflussen.
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Haben Sie beispielsweise ein leibliches Kind und hinterlassen eine Erbschaft von 200.000 Euro, hätte dieses Kind bei gesetzlicher Erbfolge einen erheblichen Anteil. Setzen Sie stattdessen Ihr Stiefkind als Alleinerben ein, kann das leibliche Kind dennoch seinen Pflichtteil fordern. Dieser Anspruch richtet sich direkt gegen den Erben – also gegen Ihr Stiefkind.
Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch. Das pflichtteilsberechtigte Kind wird nicht Miterbe und hat kein Mitspracherecht bei der Verwaltung des Nachlasses. Es kann aber die sofortige Auszahlung seines Pflichtteils verlangen, was für den Erben zu erheblichen Liquiditätsproblemen führen kann – etwa wenn der Nachlass hauptsächlich aus einer Immobilie besteht.
Berechnung des Pflichtteils bei Stiefkind-Erbfolge
Für die Pflichtteilsberechnung ist zunächst der Wert des gesamten Nachlasses zu ermitteln. Davon wird der gesetzliche Erbteil des pflichtteilsberechtigten Kindes berechnet, und die Hälfte davon ergibt den Pflichtteil. Wichtig: Stiefkinder haben keinen Pflichtteilsanspruch. Sie können also enterbt werden, ohne dass ihnen ein Mindestanteil zusteht.
Bei der Nachlassbewertung werden alle Vermögenswerte einbezogen: Immobilien, Bankguthaben, Wertpapiere, Fahrzeuge und sonstige Wertgegenstände. Auch Schenkungen, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten, können den Pflichtteil erhöhen – der sogenannte Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Beispiel: Pflichtteilsanspruch des leiblichen Kindes
Herr Müller hat ein leibliches Kind (Lisa) aus erster Ehe und ein Stiefkind (Max), das er seit dessen Kindheit großgezogen hat. Er setzt Max als Alleinerben seines Nachlasses von 300.000 Euro ein. Lisa kann zwar nicht das Testament anfechten, aber ihren Pflichtteil verlangen. Bei gesetzlicher Erbfolge hätte Lisa neben der Ehefrau einen Anteil am Nachlass. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte davon. Max muss diesen Betrag aus dem Nachlass an Lisa auszahlen – notfalls durch Verkauf von Nachlassgegenständen.
Strategien zur Pflichtteilsreduzierung
Es gibt legale Möglichkeiten, den Pflichtteil zu reduzieren. Eine davon ist der Pflichtteilsverzicht: Das leibliche Kind kann notariell erklären, auf seinen Pflichtteil zu verzichten – oft gegen eine Abfindung zu Lebzeiten. Diese Regelung schafft Klarheit und vermeidet Konflikte nach dem Erbfall.
Eine weitere Option sind lebzeitige Schenkungen. Allerdings werden Schenkungen der letzten zehn Jahre bei der Pflichtteilsberechnung berücksichtigt, wobei der anrechenbare Wert jährlich um zehn Prozent sinkt. Wer früh plant, kann so den Pflichtteil reduzieren und gleichzeitig das Stiefkind begünstigen.
Adoption als Alternative: Volles Erbrecht für Stiefkinder
Die umfassendste Lösung für die erbrechtliche Gleichstellung von Stiefkindern ist die Adoption. Durch eine Stiefkindadoption erlangt das Stiefkind die volle rechtliche Stellung eines leiblichen Kindes – einschließlich des gesetzlichen Erbrechts und des Pflichtteilsanspruchs. Diese Entscheidung hat weitreichende rechtliche und persönliche Konsequenzen und sollte wohlüberlegt sein.
Die Stiefkindadoption ist ein besonderer Adoptionstyp. Im Gegensatz zur Volladoption durch fremde Personen bleibt bei der Stiefkindadoption das Verwandtschaftsverhältnis zum leiblichen Elternteil (also Ihrem Ehepartner) bestehen. Das Kind hat dann rechtlich zwei Elternteile: den leiblichen Elternteil und den Adoptivelternteil.
Allerdings erlischt durch die Adoption in der Regel das Verwandtschaftsverhältnis zum anderen leiblichen Elternteil – also dem Ex-Partner Ihres Ehepartners. Das bedeutet: Das Kind verliert sein Erbrecht gegenüber diesem Elternteil und dessen Familie. Diese Konsequenz muss bei der Entscheidung berücksichtigt werden.
Voraussetzungen für eine Stiefkindadoption
Für eine Stiefkindadoption müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss der leibliche Elternteil, dessen Verwandtschaftsverhältnis erlöschen soll, der Adoption zustimmen. Bei minderjährigen Kindern ist außerdem die Zustimmung des anderen leiblichen Elternteils erforderlich – was in konfliktbeladenen Trennungssituationen problematisch sein kann.
Das Familiengericht prüft, ob die Adoption dem Wohl des Kindes dient. Bei minderjährigen Kindern wird das Jugendamt einbezogen. Volljährige Kinder können selbst in die Adoption einwilligen. Hier prüft das Gericht, ob bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist oder zu erwarten ist.
Checkliste: Voraussetzungen für die Stiefkindadoption
- Bestehende Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft mit dem leiblichen Elternteil
- Zustimmung des Kindes (bei Minderjährigen: Vertretung durch Ergänzungspfleger)
- Zustimmung des anderen leiblichen Elternteils oder gerichtliche Ersetzung
- Positives Gutachten des Jugendamts (bei Minderjährigen)
- Bereits bestehendes oder zu erwartendes Eltern-Kind-Verhältnis
- Nachweis, dass die Adoption dem Kindeswohl dient
Vor- und Nachteile der Adoption gegenüber Testament
Die Adoption bietet den Vorteil der vollständigen rechtlichen Gleichstellung. Das adoptierte Stiefkind hat dieselben Rechte wie leibliche Kinder: gesetzliches Erbrecht, Pflichtteilsanspruch und den hohen steuerlichen Freibetrag für Kinder. Außerdem ist die Adoption unwiderruflich, was Rechtssicherheit schafft.
Allerdings ist die Adoption auch ein gravierender Schritt mit lebenslangen Konsequenzen. Das Kind verliert sein Erbrecht gegenüber dem anderen leiblichen Elternteil. Wenn diese Beziehung noch intakt ist oder der andere Elternteil vermögend ist, kann das ein erheblicher Nachteil sein. Ein Testament hingegen lässt alle anderen Rechtsverhältnisse unberührt und kann jederzeit geändert werden.
Erbschaftsteuer und Freibeträge bei Stiefkindern
Die steuerliche Behandlung von Erbschaften an Stiefkinder birgt eine positive Überraschung: Das Erbschaftsteuerrecht stellt Stiefkinder den leiblichen Kindern gleich. Sie gehören zur Steuerklasse I und profitieren von denselben hohen Freibeträgen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Zivilrecht, das Stiefkinder als Fremde behandelt.
Der Freibetrag für Kinder – und damit auch für Stiefkinder – beträgt nach aktuellem Recht 400.000 Euro. Erst darüber hinausgehende Beträge werden versteuert, wobei der Steuersatz in Steuerklasse I vergleichsweise niedrig ausfällt. Diese günstige Regelung gilt allerdings nur, wenn das Stiefkindverhältnis besteht – also wenn die Ehe zwischen Stiefelternteil und leiblichem Elternteil noch andauert oder durch Tod des leiblichen Elternteils beendet wurde.
Komplizierter wird es, wenn die Ehe durch Scheidung beendet wurde. In diesem Fall verliert das Kind seinen Status als Stiefkind im steuerlichen Sinne. Es wird dann als "fremde Person" in Steuerklasse III eingestuft, mit einem Freibetrag von lediglich 20.000 Euro und deutlich höheren Steuersätzen. Diese Unterscheidung ist bei der Nachlassplanung unbedingt zu berücksichtigen.
Freibeträge und Steuerklassen im Überblick
Die Erbschaftsteuer unterscheidet drei Steuerklassen mit unterschiedlichen Freibeträgen und Steuersätzen. Steuerklasse I umfasst Ehepartner, Kinder, Stiefkinder, Enkel und in bestimmten Fällen Eltern. Steuerklasse II betrifft Geschwister, Nichten, Neffen, Schwiegerkinder und andere Verwandte. Steuerklasse III gilt für alle übrigen Personen.
Für Stiefkinder in Steuerklasse I gilt der Freibetrag von 400.000 Euro. Bei einem Steuersatz, der je nach Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs zwischen sieben und dreißig Prozent liegt, ist die Steuerbelastung moderat. Verliert das Stiefkind jedoch seinen Status durch Scheidung der Eltern, sinkt der Freibetrag auf 20.000 Euro bei Steuersätzen zwischen dreißig und fünfzig Prozent.
Praxis-Tipp: Steuerstatus vor Scheidung sichern
Planen Sie eine Scheidung und möchten Ihr Stiefkind begünstigen? Erwägen Sie, die Erbschaft oder Schenkung noch vor der Scheidung vorzunehmen. Solange die Ehe besteht, profitiert das Stiefkind vom hohen Freibetrag. Nach der Scheidung wird es steuerlich als Fremder behandelt. Eine rechtzeitige Übertragung kann erhebliche Steuervorteile sichern.
Steueroptimierte Übertragungen an Stiefkinder
Um die steuerlichen Vorteile optimal zu nutzen, können Sie den Freibetrag alle zehn Jahre erneut ausschöpfen. Durch gestaffelte Schenkungen zu Lebzeiten lassen sich auch größere Vermögen steuerfrei auf Stiefkinder übertragen. Jede Schenkung nutzt den vollen Freibetrag, wenn seit der letzten Zuwendung mindestens zehn Jahre vergangen sind.
Auch die Kombination verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten kann sinnvoll sein. Beispielsweise können Sie dem Stiefkind ein Nießbrauchrecht einräumen oder es als Vermächtnisnehmer für bestimmte Gegenstände einsetzen. Jede dieser Regelungen hat unterschiedliche steuerliche Auswirkungen, die bei der Planung berücksichtigt werden sollten.
Berliner Testament mit Stiefkindern richtig gestalten
Das Berliner Testament ist eine beliebte Form der gemeinschaftlichen Nachlassregelung unter Ehepartnern. Sie setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein, und erst nach dem Tod des länger lebenden Partners erben die Kinder. In klassischen Familienkonstellationen funktioniert das gut – bei Patchworkfamilien kann es jedoch zu ungewollten Ergebnissen führen.
Das Problem liegt in der sogenannten Schlusserbeneinsetzung. Typischerweise bestimmen Ehepartner ihre gemeinsamen Kinder als Schlusserben. In Patchworkfamilien gibt es aber oft keine gemeinsamen Kinder, sondern nur Kinder aus früheren Beziehungen. Wer soll dann Schlusserbe werden? Die Kinder beider Partner? Nur die eigenen Kinder? Diese Fragen müssen explizit geregelt werden.
Ein weiteres Risiko: Stirbt der leibliche Elternteil des Stiefkindes zuerst, erbt zunächst der überlebende Ehepartner. Nach dessen Tod geht das Vermögen an die eingesetzten Schlusserben – und wenn das Stiefkind nicht ausdrücklich als Schlusserbe benannt wurde, geht es leer aus. Das gesamte Vermögen, einschließlich dessen, was ursprünglich vom leiblichen Elternteil stammte, fließt dann möglicherweise an fremde Kinder.
Bindungswirkung und ihre Folgen für Stiefkinder
Das Berliner Testament entfaltet nach dem Tod des ersten Ehepartners eine Bindungswirkung. Der überlebende Partner kann die wechselbezüglichen Verfügungen nicht mehr einseitig ändern. Hat er das Stiefkind nicht als Schlusserben eingesetzt, kann er das nachträglich nicht mehr korrigieren – das Stiefkind bleibt außen vor.
Diese Bindungswirkung kann auch umgekehrt problematisch werden. Entfremdet sich das Stiefkind vom überlebenden Stiefelternteil, bleibt die Schlusserbeinsetzung dennoch bestehen. Der Stiefelternteil muss dann an ein Stiefkind vererben, zu dem möglicherweise kein Kontakt mehr besteht. Solche Konstellationen sollten bei der Testamentsgestaltung bedacht werden.
Beispiel: Berliner Testament in der Patchworkfamilie
Familie Weber: Sie hat zwei Kinder aus erster Ehe (Anna und Tim), er hat ein Kind aus erster Ehe (Lena). Sie errichten ein Berliner Testament und setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Als Schlusserben benennen sie "unsere Kinder" ohne nähere Spezifizierung. Stirbt Frau Weber zuerst, erbt ihr Mann alles. Nach seinem Tod stellt sich die Frage: Wer sind "unsere Kinder"? Lena ist sein leibliches Kind, Anna und Tim sind seine Stiefkinder. Ohne klare Regelung droht Streit. Besser wäre gewesen: "Als Schlusserben setzen wir ein: Anna Weber, Tim Weber und Lena Weber zu gleichen Teilen."
Gestaltungsoptionen für Patchworkfamilien
Für Patchworkfamilien bieten sich verschiedene Gestaltungsvarianten an. Eine Möglichkeit ist die Vor- und Nacherbschaft: Der überlebende Ehepartner wird Vorerbe, die Kinder beider Partner werden Nacherben. So ist sichergestellt, dass das Vermögen letztlich an alle Kinder geht.
Eine andere Option sind Vermächtnisse. Statt alle Kinder zu Erben zu machen, können bestimmte Vermögensgegenstände gezielt einzelnen Kindern zugewandt werden. Das leibliche Kind erhält vielleicht das Elternhaus, das Stiefkind ein Wertpapierdepot. So lassen sich individuelle Verhältnisse berücksichtigen und Konflikte vermeiden.
Erbvertrag als bindende Alternative zum Testament
Wenn Sie maximale Rechtssicherheit für Ihr Stiefkind wollen, ist ein Erbvertrag die beste Wahl. Anders als ein Testament kann ein Erbvertrag nicht einseitig widerrufen werden. Er bindet alle Vertragsparteien und schafft so verbindliche Verhältnisse, auf die sich das Stiefkind verlassen kann.
Der Erbvertrag muss notariell beurkundet werden. Er kann zwischen Ehepartnern geschlossen werden, aber auch zwischen dem Erblasser und dem künftigen Erben – also zwischen Ihnen und Ihrem Stiefkind. Diese direkte vertragliche Bindung gibt dem Stiefkind eine gesicherte Rechtsposition, die durch keine spätere Testamentsänderung mehr erschüttert werden kann.
Besonders sinnvoll ist der Erbvertrag, wenn das Stiefkind eine Gegenleistung erbringt. Beispielsweise pflegt es den Stiefelternteil im Alter, verzichtet auf eine Ausbildungsvergütung oder übernimmt andere Leistungen. Im Erbvertrag kann diese Gegenleistung mit der Erbeinsetzung verknüpft werden – eine faire Regelung für beide Seiten.
Unterschiede zwischen Erbvertrag und Testament
Der wesentliche Unterschied liegt in der Bindungswirkung. Ein Testament können Sie jederzeit ändern oder widerrufen – bis zum letzten Atemzug. Der Erbvertrag hingegen bindet Sie. Eine einseitige Änderung ist grundsätzlich nicht möglich, Änderungen erfordern die Zustimmung aller Vertragsparteien.
Diese Bindung kann Vor- und Nachteil zugleich sein. Der Vorteil für das Stiefkind: Es hat eine sichere Position und muss nicht befürchten, durch eine Testamentsänderung übergangen zu werden. Der Nachteil für Sie: Sie verlieren Flexibilität. Ändern sich die Lebensumstände, können Sie nicht ohne Weiteres reagieren.
Rücktrittsvorbehalte im Erbvertrag
Um sich trotz Bindungswirkung einen gewissen Spielraum zu erhalten, können Sie Rücktrittsvorbehalte in den Erbvertrag aufnehmen. Diese Vorbehalte erlauben es Ihnen, unter bestimmten Voraussetzungen vom Vertrag zurückzutreten – etwa wenn das Stiefkind sich eines schweren Vergehens schuldig macht oder die vereinbarte Gegenleistung nicht erbringt.
Die Rücktrittsvorbehalte müssen präzise formuliert werden. Zu enge Voraussetzungen machen den Rücktritt faktisch unmöglich, zu weite Voraussetzungen höhlen die Bindungswirkung aus. Hier ist sorgfältige Gestaltung erforderlich, um beiden Seiten gerecht zu werden.
Praxis-Tipp: Erbvertrag bei Pflegeleistungen absichern
Pflegt Ihr Stiefkind Sie im Alter, sollten Sie diese Leistung durch einen Erbvertrag absichern. Vereinbaren Sie konkret, welche Pflegeleistungen erwartet werden und welche Erbeinsetzung dafür erfolgt. So ist das Stiefkind motiviert, die Pflege zu erbringen, und Sie haben die Gewissheit, im Alter versorgt zu sein. Ohne vertragliche Regelung könnte das Stiefkind nach Jahren aufopferungsvoller Pflege trotzdem leer ausgehen.
Häufige Fehler bei der Stiefkinder-Erbfolge vermeiden
Die Nachlassplanung für Stiefkinder ist komplex, und Fehler können schwerwiegende Folgen haben. Im schlimmsten Fall geht das Stiefkind trotz anders lautender Absichten leer aus, während ungewollte Erben profitieren. Wer die typischen Fehlerquellen kennt, kann sie vermeiden.
Der häufigste Fehler ist schlichtes Nichtstun. Viele Stiefeltern gehen davon aus, dass Stiefkinder automatisch erben – ein gefährlicher Irrtum. Ohne Testament greift die gesetzliche Erbfolge, und die kennt keine Stiefkinder. Wer sein Stiefkind absichern will, muss aktiv werden.
Ein weiterer häufiger Fehler sind unklare Formulierungen. "Meine Kinder sollen erben" meint rechtlich nur leibliche und adoptierte Kinder, nicht Stiefkinder. "Meine Familie" ist noch unbestimmter. Solche Formulierungen führen zu Auslegungsstreitigkeiten und Rechtsstreitigkeiten. Benennen Sie Ihre Erben immer konkret mit Namen und Geburtsdatum.
Formfehler und ihre Konsequenzen
Formfehler können ein Testament unwirksam machen. Das eigenhändige Testament muss vollständig handschriftlich verfasst sein – ein am Computer getipptes und nur unterschriebenes Dokument ist unwirksam. Auch eine fehlende Unterschrift macht das Testament nichtig.
Besonders tückisch sind Formfehler bei gemeinschaftlichen Testamenten. Beide Ehepartner müssen das Testament unterschreiben. Fehlt eine Unterschrift, ist das gesamte Testament unwirksam. Bei Patchworkfamilien kommt erschwerend hinzu, dass nur Ehepartner gemeinsam testieren können – nicht etwa Lebensgefährten in nicht-ehelicher Lebensgemeinschaft.
Checkliste: Formfehler beim Testament vermeiden
- Eigenhändiges Testament komplett von Hand schreiben
- Mit vollem Namen unterschreiben
- Datum und Ort angeben
- Erben mit Namen und Geburtsdatum benennen
- Stiefkinder ausdrücklich als solche bezeichnen
- Bei gemeinschaftlichem Testament: beide Unterschriften
- Testament sicher aufbewahren oder amtlich hinterlegen
Pflichtteilsansprüche nicht einkalkulieren
Viele Stiefeltern vergessen bei der Testamentsgestaltung die Pflichtteilsansprüche ihrer leiblichen Kinder. Sie setzen das Stiefkind als Alleinerben ein, ohne zu bedenken, dass die leiblichen Kinder ihren Pflichtteil verlangen können. Das Stiefkind muss dann aus dem geerbten Vermögen diese Ansprüche bedienen.
Besonders problematisch wird es, wenn der Nachlass hauptsächlich aus einer Immobilie besteht. Das Stiefkind erbt das Haus, kann aber die Pflichtteilsansprüche nicht bar auszahlen. Im schlimmsten Fall muss die Immobilie verkauft werden, um die Ansprüche zu bedienen – das Gegenteil dessen, was der Erblasser wollte.
Steuerliche Aspekte übersehen
Auch steuerliche Fehler kommen häufig vor. Wer nicht weiß, dass Stiefkinder steuerlich wie leibliche Kinder behandelt werden, verpasst möglicherweise Gestaltungsmöglichkeiten. Und wer übersieht, dass diese Gleichstellung nach einer Scheidung endet, plant mit falschen Annahmen.
Ein weiterer steuerlicher Fehler ist die mangelnde Nutzung von Freibeträgen zu Lebzeiten. Der Freibetrag kann alle zehn Jahre neu ausgeschöpft werden. Wer frühzeitig mit Schenkungen beginnt, kann über die Jahre erhebliche Vermögenswerte steuerfrei übertragen. Wer erst im Testament alles regelt, verschenkt diese Möglichkeit.
Beispiel: Vermeidbare steuerliche Nachteile
Frau Schmidt möchte ihrem Stiefkind ein Vermögen von 800.000 Euro hinterlassen. Hätte sie zu Lebzeiten in zwei Tranchen im Abstand von zehn Jahren jeweils 400.000 Euro geschenkt, wäre alles steuerfrei geblieben. Stattdessen vererbt sie alles auf einmal. Der Freibetrag von 400.000 Euro wird ausgeschöpft, auf die restlichen 400.000 Euro fallen Steuern an. Bei einem Steuersatz von elf Prozent ergibt das eine Steuerlast von 44.000 Euro – die sich mit rechtzeitiger Planung hätte vermeiden lassen.
