Was ist ein Strafbefehl und wann wird er erlassen?
Der Brief vom Amtsgericht liegt auf dem Küchentisch. Sie reißen ihn auf – und der Boden unter Ihren Füßen beginnt zu schwanken. Strafbefehl. Geldstrafe. Tagessätze. Rechtsmittelbelehrung. Zwei Wochen Frist. Die Buchstaben verschwimmen vor Ihren Augen, während Ihr Gehirn versucht zu begreifen, was das alles bedeutet. Eine Vorstrafe? Sie? Dabei haben Sie doch nur...
Diese Situation erleben tausende Menschen in Deutschland jedes Jahr. Der Strafbefehl kommt oft wie aus heiterem Himmel – manchmal Monate nach einem längst vergessenen Vorfall. Vielleicht eine Unachtsamkeit im Straßenverkehr, eine hitzige Auseinandersetzung oder ein Missverständnis bei einer Online-Bestellung. Plötzlich steht man mit einem Fuß im Strafrecht, ohne jemals einen Gerichtssaal von innen gesehen zu haben.
Ein Strafbefehl ist ein schriftliches Urteil ohne Hauptverhandlung. Die Staatsanwaltschaft beantragt ihn beim Amtsgericht, wenn sie den Sachverhalt für ausreichend geklärt hält und eine Verhandlung für entbehrlich erachtet. Der zuständige Richter prüft den Antrag und erlässt den Strafbefehl, wenn er den Beschuldigten für hinreichend verdächtig hält. Das Besondere dabei: Der Beschuldigte wird vorher nicht gehört. Er erfährt erst von dem Verfahren, wenn der fertige Strafbefehl in seinem Briefkasten landet.
Rechtliche Voraussetzungen für das Strafbefehlsverfahren
Das Strafbefehlsverfahren ist in den §§ 407 bis 412 der Strafprozessordnung geregelt. Es dient der Entlastung der Gerichte bei Fällen leichter bis mittlerer Kriminalität. Nicht jede Straftat kann per Strafbefehl geahndet werden – es gibt klare gesetzliche Grenzen. Zuständig ist ausschließlich das Amtsgericht, was bedeutet, dass Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe nicht per Strafbefehl behandelt werden können.
Die Staatsanwaltschaft kann einen Strafbefehl nur beantragen, wenn sie eine Hauptverhandlung für entbehrlich hält. Das setzt voraus, dass der Sachverhalt aus ihrer Sicht geklärt ist und keine weiteren Ermittlungen erforderlich erscheinen. In der Praxis bedeutet das: Die Staatsanwaltschaft ist von Ihrer Schuld überzeugt und sieht keinen Grund, die Sache vor Gericht zu verhandeln.
Als Rechtsfolgen kommen im Strafbefehlsverfahren vor allem Geldstrafen in Betracht. Aber auch Fahrverbote bis zu sechs Monaten, die Entziehung der Fahrerlaubnis oder Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr können per Strafbefehl verhängt werden – letztere allerdings nur, wenn ein Verteidiger bestellt ist. Die vermeintlich schnelle Erledigung kann also durchaus gravierende Konsequenzen haben.
Typische Delikte im Strafbefehlsverfahren
Die Liste der Delikte, die regelmäßig per Strafbefehl geahndet werden, ist lang. Besonders häufig sind Verkehrsdelikte wie Fahren ohne Fahrerlaubnis, Unfallflucht oder Trunkenheit im Straßenverkehr. Auch Körperverletzungen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen und Diebstahlsdelikte werden oft im Strafbefehlsverfahren behandelt. Steuerdelikte wie Steuerhinterziehung und Betrugsdelikte im kleineren Rahmen kommen ebenfalls häufig vor.
Was viele Betroffene nicht wissen: Auch bei erstmaliger Auffälligkeit kann die Geldstrafe empfindlich hoch ausfallen. Die Tagessatzanzahl orientiert sich an der Schwere der Tat, die Höhe des einzelnen Tagessatzes an Ihrem Einkommen. Bei einem Nettoeinkommen von 3.000 Euro monatlich und 30 Tagessätzen ergibt sich bereits eine Geldstrafe von 3.000 Euro – plus Verfahrenskosten.
Praxis-Tipp: Strafbefehl sofort vollständig lesen
Lesen Sie den Strafbefehl unmittelbar nach Erhalt komplett durch – auch wenn es schwerfällt. Notieren Sie sich das Zustellungsdatum (auf dem Umschlag oder Empfangsbekenntnis) und berechnen Sie sofort die Zwei-Wochen-Frist. Fotografieren Sie den Strafbefehl und alle Begleitdokumente, damit Sie im Zweifelsfall Nachweise haben. Bewahren Sie den Umschlag mit dem Poststempel auf.
Einspruchsfrist richtig berechnen - diese 2 Wochen gelten
Die Frist ist Ihr größter Feind und zugleich Ihr wichtigster Verbündeter. Zwei Wochen – das klingt nach ausreichend Zeit. Doch diese 14 Tage vergehen schneller, als man denkt. Urlaub, Krankheit, beruflicher Stress oder schlicht die Verdrängung eines unangenehmen Themas können dazu führen, dass die Frist ungenutzt verstreicht. Und dann ist es zu spät. Unwiderruflich.
Die Frist beginnt mit der Zustellung des Strafbefehls. Bei der normalen Zustellung durch den Postboten gilt der Tag als Zustelltag, an dem Sie den Brief tatsächlich erhalten. Bei Einschreiben mit Rückschein ist es der Tag der Unterschrift. Wird der Strafbefehl durch Ersatzzustellung (etwa Einwurf in den Briefkasten bei Abwesenheit) zugestellt, gilt der Tag des Einwurfs – auch wenn Sie erst Tage später aus dem Urlaub zurückkommen.
Für die Berechnung gilt: Der Tag der Zustellung zählt nicht mit. Die Frist beginnt am folgenden Tag zu laufen. Sie endet mit Ablauf des letzten Tages der Frist. Fällt dieser auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, verlängert sich die Frist bis zum nächsten Werktag um 24 Uhr. Diese Regelung kann im Einzelfall einen entscheidenden zusätzlichen Tag bringen.
Konkrete Beispiele zur Fristberechnung
Die Fristberechnung nach § 43 StPO folgt festen Regeln, die unbedingt eingehalten werden müssen. Ein Rechenfehler kann das gesamte Verteidigungskonzept zunichtemachen. Deshalb hier einige konkrete Beispiele zur Veranschaulichung.
Beispiel: Zustellung am Montag
Der Strafbefehl wird Herrn M. am Montag, dem 3. Juni zugestellt. Die Frist beginnt am Dienstag, dem 4. Juni. Sie endet am Montag, dem 17. Juni um 24 Uhr. Der Einspruch muss also spätestens am 17. Juni beim Amtsgericht eingehen – nicht abgesendet werden, sondern tatsächlich dort ankommen. Eine Absendung am 17. Juni per Post wäre zu spät.
Besonders tückisch sind Fälle, in denen die Frist über Feiertage läuft. Erhält jemand den Strafbefehl kurz vor Weihnachten oder Ostern, muss er trotz der Feiertage handeln. Die Frist verlängert sich nur, wenn der letzte Tag selbst ein Feiertag ist – nicht, wenn Feiertage innerhalb der Frist liegen.
Was tun, wenn die Frist verpasst wurde?
Manchmal ist es bereits zu spät. Der Strafbefehl lag wochenlang ungeöffnet auf dem Stapel, die Post wurde im Urlaub nicht abgeholt, oder der Mitbewohner hat vergessen, den wichtigen Brief zu erwähnen. Ist die Frist abgelaufen, wird der Strafbefehl rechtskräftig. Er steht dann einem Urteil gleich – mit allen Konsequenzen.
In Ausnahmefällen gibt es die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 44 StPO. Diese kommt in Betracht, wenn Sie ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert waren. Klassische Fälle sind schwere Krankheit mit Krankenhausaufenthalt, eine fehlerhafte Zustellung oder nachweisbare Abwesenheit ohne Zugang zu Ihrer Post. Die Hürden sind allerdings hoch: Sie müssen die Hinderungsgründe glaubhaft machen und den Antrag innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses stellen.
Bloße Nachlässigkeit, Vergesslichkeit oder Überforderung durch die Situation reichen nicht aus. Auch die Behauptung, den Strafbefehl nicht verstanden zu haben, führt in der Regel nicht zum Erfolg. Die Gerichte legen strenge Maßstäbe an und gewähren die Wiedereinsetzung nur bei echten, unverschuldeten Hindernissen.
Checkliste: Fristberechnung Strafbefehl
- Zustellungsdatum auf Umschlag oder Empfangsbekenntnis prüfen und notieren
- Zwei Wochen ab dem Tag NACH der Zustellung berechnen
- Prüfen, ob der letzte Tag auf Wochenende oder Feiertag fällt
- Eingang beim Gericht als maßgeblichen Zeitpunkt beachten – nicht Absendedatum
- Bei Unklarheiten über Zustellungsdatum: Sicherheitshalber vom frühesten möglichen Datum ausgehen
So legen Sie korrekt Einspruch ein - Schritt für Schritt
Der Einspruch gegen einen Strafbefehl ist kein Hexenwerk. Im Gegensatz zu vielen anderen juristischen Schriftsätzen erfordert er keine besonderen Formalia, keine juristische Fachsprache und keine ausführliche Begründung. Dennoch scheitern immer wieder Einsprüche an vermeidbaren Fehlern. Mit der richtigen Vorgehensweise können Sie diese Fehlerquellen ausschalten.
Im Kern muss Ihr Einspruch drei Dinge enthalten: die eindeutige Bezeichnung des Strafbefehls (Aktenzeichen und Datum), die klare Erklärung, dass Sie Einspruch einlegen, und Ihre Unterschrift. Das war es auch schon. Ein einziger Satz wie "Gegen den Strafbefehl vom [Datum], Aktenzeichen [Nummer], lege ich hiermit Einspruch ein" ist rechtlich vollkommen ausreichend.
Die Adressierung erfolgt an das Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat. Die Anschrift finden Sie auf dem Strafbefehl selbst. Achten Sie darauf, dass Sie an das Amtsgericht schreiben und nicht etwa an die Staatsanwaltschaft, die den Strafbefehl beantragt hat. Ein an die falsche Stelle gerichteter Einspruch kann zu Verzögerungen führen, die im schlimmsten Fall die Frist kosten.
Musterformulierung für den Einspruch
Ein wirksamer Einspruch muss nicht kompliziert sein. Die folgende Formulierung enthält alle notwendigen Elemente und lässt sich leicht an den jeweiligen Fall anpassen. Entscheidend ist die Klarheit der Einspruchserklärung – nicht der Umfang oder die sprachliche Eleganz.
Beginnen Sie mit Ihren persönlichen Daten: Name, Anschrift, Geburtsdatum. Dann folgt das Aktenzeichen, das Sie prominent auf dem Strafbefehl finden. Der eigentliche Einspruch kann lauten: "Gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts [Ort] vom [Datum], Aktenzeichen [Nummer], lege ich hiermit fristgerecht Einspruch ein." Darunter setzen Sie Ort, Datum und Ihre handschriftliche Unterschrift.
Eine Begründung ist nicht erforderlich und in vielen Fällen sogar taktisch unklug. Alles, was Sie schreiben, kann und wird gegen Sie verwendet werden. Wenn Sie sich zu früh auf eine bestimmte Verteidigungsstrategie festlegen, nehmen Sie sich Flexibilität für die spätere Hauptverhandlung. Schweigen ist auch beim Einspruch oft Gold.
Praxis-Tipp: Einspruch per Fax mit Sendebericht
Der sicherste Weg für einen fristgerechten Einspruch ist das Fax mit Sendebericht. Im Gegensatz zur Post haben Sie einen sekundengenauen Nachweis des Eingangs beim Gericht. Die Faxnummer des Amtsgerichts finden Sie auf dem Strafbefehl oder auf der Website des Gerichts. Bewahren Sie den Sendebericht unbedingt auf – er ist Ihr Beweis für die Fristeinhaltung. Auch eine Kombination aus Fax und Brief ist sinnvoll: Das Fax wahrt die Frist, der Brief dokumentiert den Vorgang zusätzlich.
Kann der Einspruch beschränkt werden?
Eine oft übersehene Möglichkeit ist die Beschränkung des Einspruchs. Sie müssen nicht den gesamten Strafbefehl anfechten, sondern können den Einspruch auf bestimmte Teile begrenzen. Das kann taktisch sinnvoll sein, wenn Sie beispielsweise die Tat selbst einräumen, aber die Höhe der Strafe für unangemessen halten.
Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch bedeutet: Sie akzeptieren den Schuldspruch, fechten aber die konkrete Strafe an. In der Hauptverhandlung wird dann nur noch über das Strafmaß verhandelt. Das kann das Verfahren beschleunigen und das Risiko einer Verschlechterung minimieren. Denn wenn Sie die Tat bereits eingeräumt haben, kann das Gericht bei der Strafzumessung eventuell noch milder urteilen.
Umgekehrt können Sie den Einspruch auch auf den Schuldspruch beschränken und die Strafe akzeptieren – etwa wenn Sie sich unschuldig fühlen, die drohende Strafe aber überschaubar ist. Diese Konstellation ist allerdings selten, da ein Freispruch naturgemäß auch die Strafe entfallen lässt.
Formvorschriften und häufige Fehler beim Einspruch
Die gute Nachricht: Der Gesetzgeber hat die Formerfordernisse für den Einspruch gegen einen Strafbefehl bewusst niedrig gehalten. Jeder soll die Möglichkeit haben, sich gegen eine Verurteilung zu wehren – auch ohne juristische Vorbildung. Die schlechte Nachricht: Trotzdem passieren immer wieder vermeidbare Fehler, die den Einspruch unwirksam machen oder zumindest Probleme verursachen.
Der Einspruch muss schriftlich erfolgen. Mündliche Einsprüche – etwa per Telefonanruf beim Gericht – sind unwirksam. Das Schriftformerfordernis wird jedoch weit ausgelegt: Ein Brief, ein Fax oder sogar ein Telegramm genügen. Auch ein Computerfax (also ein vom Computer versendetes Fax) ist zulässig. Eine einfache E-Mail reicht hingegen nach herrschender Meinung nicht aus, da hier die Originalunterschrift fehlt und die sichere Zuordnung zum Absender nicht gewährleistet ist.
Die Unterschrift ist zwingend erforderlich. Sie muss eigenhändig sein – ein gedruckter Name oder eine eingescannte Unterschrift genügt nicht. Bei einem Fax wird die Unterschrift mitübertragen, weshalb dieses Übertragungsmedium rechtlich unbedenklich ist. Die Unterschrift muss nicht lesbar sein, aber sie muss den Willen erkennen lassen, das Dokument zu autorisieren.
Typische Fehler beim Einspruch vermeiden
Der häufigste Fehler ist die Fristversäumnis. Aber auch bei fristgerechten Einsprüchen schleichen sich immer wieder Fehler ein. Manche Betroffene vergessen das Aktenzeichen, was die Zuordnung erschwert und im schlimmsten Fall dazu führen kann, dass der Einspruch nicht rechtzeitig bearbeitet wird. Andere adressieren den Einspruch an die Staatsanwaltschaft statt an das Gericht.
Ein weiterer häufiger Fehler ist die Verwechslung von Einspruch und Widerspruch oder Beschwerde. Diese Begriffe sind juristisch nicht austauschbar. Wenn Sie schreiben "Ich widerspreche dem Strafbefehl" statt "Ich lege Einspruch ein", kann das im Einzelfall zu Auslegungsproblemen führen. Zwar sind die Gerichte angehalten, Rechtsbehelfe wohlwollend auszulegen – doch warum ein unnötiges Risiko eingehen?
Beispiel: Unwirksamer Einspruch durch fehlende Unterschrift
Frau K. erhält einen Strafbefehl wegen Beleidigung. Sie tippt noch am Abend des Zustellungstages einen Einspruch in ihren Computer und sendet ihn per E-Mail an die auf dem Strafbefehl angegebene E-Mail-Adresse des Amtsgerichts. Zwei Wochen später erhält sie die Mitteilung, dass der Strafbefehl rechtskräftig geworden sei – ihr Einspruch war wegen der fehlenden eigenhändigen Unterschrift unwirksam. Eine einfache E-Mail erfüllt die Schriftform nicht.
Zustellungsnachweis sichern
Beim Einspruch gegen einen Strafbefehl tragen Sie die Beweislast dafür, dass der Einspruch rechtzeitig beim Gericht eingegangen ist. Das bedeutet: Wenn es Streit über die Rechtzeitigkeit gibt, müssen Sie nachweisen können, dass Ihr Einspruch innerhalb der Frist beim Amtsgericht angekommen ist.
Die beste Absicherung bietet das Fax mit Sendebericht. Der Sendebericht dokumentiert Datum, Uhrzeit und die Anzahl der erfolgreich übermittelten Seiten. Bewahren Sie diesen Sendebericht mindestens bis zum Abschluss des Verfahrens auf. Alternativ können Sie den Einspruch persönlich bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abgeben und sich den Eingang mit Datum und Uhrzeit auf einer Kopie bestätigen lassen.
Bei postalischer Versendung empfiehlt sich das Einschreiben mit Rückschein. Der Rückschein beweist die Zustellung, allerdings nicht den genauen Inhalt des Schreibens. Noch sicherer ist daher ein Einschreiben mit Rückschein in Kombination mit einer Kopie des Einspruchs, die Sie behalten. Im Streitfall können Sie so nachweisen, was Sie wann abgeschickt haben.
Was passiert nach dem Einspruch? Hauptverhandlung und Ablauf
Der Einspruch ist abgeschickt, der Sendebericht gesichert – was nun? Nach einem wirksamen Einspruch wird das Strafbefehlsverfahren in ein reguläres Strafverfahren mit Hauptverhandlung übergeleitet. Der Strafbefehl verliert seine Wirkung als Urteilsersatz und dient fortan nur noch als Anklageschrift. Alles, was darin steht, muss in der Hauptverhandlung bewiesen werden.
Die Staatsanwaltschaft prüft zunächst, ob sie an dem Verfahren festhält oder ob der Einspruch Anlass gibt, das Verfahren einzustellen. Das kommt vor, wenn der Einspruch bereits eine überzeugende Begründung enthält oder wenn die Staatsanwaltschaft bei nochmaliger Prüfung Zweifel an der Beweislage bekommt. In den meisten Fällen wird das Verfahren jedoch fortgesetzt.
Das Gericht beraumt einen Termin zur Hauptverhandlung an. Zwischen Einspruch und Hauptverhandlung können je nach Auslastung des Gerichts einige Wochen bis mehrere Monate vergehen. In dieser Zeit haben Sie Gelegenheit, Ihre Verteidigung vorzubereiten, Akteneinsicht zu nehmen und gegebenenfalls Beweisanträge zu stellen.
Ablauf der Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht folgt einem festen Ablauf. Zunächst werden Ihre Personalien festgestellt. Dann verliest der Richter den Strafbefehl als Anklage oder fasst dessen Inhalt zusammen. Sie erhalten die Möglichkeit, sich zur Sache zu äußern – oder zu schweigen. Von Ihrem Schweigerecht sollten Sie Gebrauch machen, wenn Sie unsicher sind oder keine Verteidigungsstrategie haben.
Nach der Einlassung zur Sache folgt die Beweisaufnahme. Zeugen werden gehört, Urkunden verlesen, Sachverständige befragt. Als Angeklagter haben Sie das Recht, Fragen an Zeugen zu stellen und eigene Beweisanträge zu stellen. Die Beweisaufnahme ist der Kern der Hauptverhandlung – hier entscheidet sich, ob die Anklage bewiesen werden kann oder nicht.
Am Ende der Beweisaufnahme folgen die Plädoyers. Zunächst spricht die Staatsanwaltschaft, dann Sie oder Ihr Verteidiger. Schließlich erhalten Sie das letzte Wort – eine wichtige Möglichkeit, persönlich Eindruck auf das Gericht zu machen. Dann zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündet das Urteil.
Mögliche Ergebnisse der Hauptverhandlung
Die Hauptverhandlung kann verschiedene Ausgänge haben. Im besten Fall werden Sie freigesprochen – das Gericht ist nicht von Ihrer Schuld überzeugt. Die Kosten des Verfahrens trägt dann die Staatskasse, und Sie haben keine Vorstrafe. Ein Freispruch ist das Ziel jeder Verteidigung, aber nicht in jedem Fall realistisch.
Möglich ist auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO (geringe Schuld) oder § 153a StPO (Einstellung gegen Auflage). Bei der Einstellung gegen Auflage müssen Sie beispielsweise einen Geldbetrag an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen oder Sozialstunden ableisten. Der Vorteil: Sie gelten nicht als vorbestraft, da kein Urteil ergeht.
Wird das Verfahren nicht eingestellt und erfolgt kein Freispruch, ergeht ein Urteil. Dieses kann milder ausfallen als der ursprüngliche Strafbefehl – aber auch strenger. Das sogenannte Verschlechterungsverbot gilt beim Einspruch gegen einen Strafbefehl nur eingeschränkt. Das Gericht ist an den Strafbefehl nicht gebunden und kann eine höhere Strafe verhängen, wenn sich in der Hauptverhandlung neue belastende Umstände ergeben.
Praxis-Tipp: Akteneinsicht vor der Hauptverhandlung nutzen
Vor der Hauptverhandlung haben Sie das Recht auf Akteneinsicht. Nutzen Sie dieses Recht unbedingt, um zu erfahren, welche Beweise die Staatsanwaltschaft gegen Sie hat. Nur wenn Sie wissen, was in der Akte steht – Zeugenaussagen, Polizeiberichte, Gutachten – können Sie sich gezielt verteidigen. Die Akteneinsicht können Sie selbst beantragen, allerdings wird sie bei unverteidigten Angeklagten oft eingeschränkt gewährt.
Einspruch zurücknehmen - Voraussetzungen und Konsequenzen
Nicht jeder Einspruch ist klug. Manchmal zeigt sich nach der Akteneinsicht, dass die Beweislage erdrückend ist. Manchmal ändert sich die persönliche Situation, und man möchte die Sache einfach nur noch beenden. In solchen Fällen stellt sich die Frage: Kann ich den Einspruch zurücknehmen? Und was bedeutet das für mich?
Die gute Nachricht: Sie können Ihren Einspruch jederzeit bis zum Beginn der Hauptverhandlung zurücknehmen. Die Rücknahme muss – wie der Einspruch selbst – schriftlich erfolgen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Mit der Rücknahme wird der ursprüngliche Strafbefehl rechtskräftig, als hätten Sie nie Einspruch eingelegt.
Aber Vorsicht: Auch während der Hauptverhandlung ist eine Rücknahme noch möglich, allerdings nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Ohne diese Zustimmung müssen Sie das Verfahren bis zum Urteil durchstehen. Nach Beginn der Hauptverhandlung haben Sie also nicht mehr die alleinige Kontrolle über den Fortgang des Verfahrens.
Gründe für eine Rücknahme
Es gibt durchaus Situationen, in denen die Rücknahme des Einspruchs die vernünftigere Option ist. Wenn die Akteneinsicht ergibt, dass die Beweise gegen Sie überwältigend sind, kann eine Hauptverhandlung die Situation nur verschlimmern. Insbesondere wenn die Gefahr besteht, dass in der Hauptverhandlung weitere belastende Umstände ans Licht kommen, ist der ursprüngliche Strafbefehl möglicherweise das kleinere Übel.
Auch persönliche Gründe können eine Rolle spielen. Manche Betroffene möchten nicht vor Gericht erscheinen – sei es aus Angst vor der öffentlichen Verhandlung, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie den Stress eines Strafverfahrens nicht aushalten. In solchen Fällen kann die Akzeptanz der Strafe per Strafbefehl der psychisch weniger belastende Weg sein.
Schließlich spielen auch taktische Erwägungen eine Rolle. Wenn sich abzeichnet, dass das Gericht härter urteilen könnte als der Strafbefehl, ist die Rücknahme eine Notbremse. Lieber eine bekannte, überschaubare Strafe akzeptieren als ein ungewisses Urteil riskieren.
Folgen der Einspruchsrücknahme
Mit der Rücknahme des Einspruchs wird der Strafbefehl rechtskräftig. Das hat dieselben Folgen wie ein Urteil: Die festgesetzte Geldstrafe muss gezahlt werden, ein eventuell verhängtes Fahrverbot tritt in Kraft, und die Verurteilung wird ins Bundeszentralregister eingetragen. Je nach Höhe der Strafe erscheint sie auch im Führungszeugnis.
Die Kosten des Verfahrens tragen Sie als Verurteilter. Dazu gehören die Gerichtskosten und die Auslagen der Staatskasse. Eigene Anwaltskosten, die Sie im Zusammenhang mit dem Einspruch hatten, werden nicht erstattet. Allerdings sind diese Kosten in der Regel überschaubar, wenn der Einspruch vor der Hauptverhandlung zurückgenommen wird.
Eine erneute Einlegung des Einspruchs nach der Rücknahme ist nicht möglich. Die Rücknahme ist endgültig und unwiderruflich. Überlegen Sie sich also gut, ob Sie diesen Schritt gehen wollen. Ist der Einspruch einmal zurückgenommen, gibt es keinen Weg zurück.
Risiken und Chancen - wann lohnt sich der Einspruch?
Die Entscheidung für oder gegen einen Einspruch ist eine der wichtigsten im gesamten Strafverfahren. Sie will gut überlegt sein und hängt von vielen Faktoren ab. Pauschale Empfehlungen sind schwierig – jeder Fall ist anders. Dennoch gibt es einige Grundsätze, die bei der Entscheidungsfindung helfen können.
Ein Einspruch ist tendenziell sinnvoll, wenn Sie sich unschuldig fühlen oder wenn Sie erhebliche Zweifel an der Beweislage haben. Auch wenn die im Strafbefehl festgesetzte Strafe unverhältnismäßig hoch erscheint, kann sich der Einspruch lohnen. Schließlich kann ein Einspruch auch taktisch eingesetzt werden, um Zeit zu gewinnen oder eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.
Gegen einen Einspruch spricht, wenn die Beweislage klar ist und eine Verurteilung praktisch sicher. Auch wenn Sie durch die Hauptverhandlung keine Verbesserung erwarten und die Strafe im Strafbefehl akzeptabel ist, kann es sinnvoller sein, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Zeit, Nerven und möglicherweise zusätzliche Kosten sprechen in solchen Fällen gegen den Einspruch.
Das Risiko der Verschlechterung
Anders als bei der Berufung gegen ein Urteil gilt beim Einspruch gegen einen Strafbefehl kein strenges Verschlechterungsverbot. Das Gericht ist bei seiner Entscheidung nicht an den Strafbefehl gebunden. Es kann eine niedrigere Strafe verhängen, aber eben auch eine höhere.
In der Praxis kommt eine Verschlechterung allerdings eher selten vor. Die Gerichte haben in der Regel wenig Interesse daran, härter zu urteilen als der Strafbefehl – es sei denn, die Hauptverhandlung offenbart neue belastende Umstände oder der Angeklagte verhält sich prozessual ungeschickt. Wer mit unrealistischen Forderungen in die Verhandlung geht oder Zeugen zu beeinflussen versucht, muss mit einer härteren Strafe rechnen.
Beispiel: Verschlechterung nach Einspruch
Herr B. erhält einen Strafbefehl wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Er legt Einspruch ein, weil er die Strafe zu hoch findet. In der Hauptverhandlung stellt sich heraus, dass er zum Tatzeitpunkt unter Bewährung stand – ein Umstand, den die Staatsanwaltschaft beim Strafbefehlsantrag übersehen hatte. Das Gericht verurteilt ihn zu 60 Tagessätzen und widerruft die laufende Bewährung. Der Einspruch hat seine Situation erheblich verschlechtert.
Einspruch empfehlenswert - diese Konstellationen sprechen dafür
Bestimmte Konstellationen sprechen klar für einen Einspruch. Wenn Sie die Tat nicht begangen haben oder wenn es einen anderen Täter gibt, ist der Einspruch zwingend. Auch wenn wichtige entlastende Umstände im Strafbefehl nicht berücksichtigt wurden – etwa eine Notwehrsituation oder ein Rechtfertigungsgrund – sollten Sie Einspruch einlegen.
Sinnvoll ist ein Einspruch auch, wenn die Strafe unverhältnismäßig hoch ist. Das kommt vor, wenn die Staatsanwaltschaft von falschen Einkommensangaben ausgegangen ist oder wenn strafmildernde Umstände wie Geständnis, Wiedergutmachung oder besondere Härten nicht berücksichtigt wurden. In der Hauptverhandlung haben Sie die Möglichkeit, diese Umstände darzulegen.
Schließlich kann ein Einspruch taktisch sinnvoll sein, wenn Sie auf eine Einstellung des Verfahrens hoffen. Manche Staatsanwaltschaften sind eher bereit, ein Verfahren gegen Auflagen einzustellen, wenn der Aufwand einer Hauptverhandlung droht. Der Einspruch erhöht den Druck und kann zu einer für Sie günstigeren Lösung führen.
Häufige Strafbefehlsverfahren und typische Fehlerquellen
Strafbefehle werden in einer Vielzahl von Delikten erlassen. Die Verfahren ähneln sich in ihrer Grundstruktur, unterscheiden sich aber erheblich in den Details. Wer weiß, welche typischen Fehler in welchen Verfahrensarten vorkommen, kann gezielter nach Ansatzpunkten für die Verteidigung suchen.
Bei Verkehrsdelikten – der häufigsten Kategorie von Strafbefehlsverfahren – spielen oft technische Fragen eine Rolle. Stimmt die Messung bei einer Trunkenheitsfahrt? War das Messgerät geeicht? Wurde die Blutentnahme ordnungsgemäß durchgeführt? Bei Unfallflucht stellt sich oft die Frage, ob der Beschuldigte den Unfall überhaupt bemerkt hat oder bemerken konnte. Hier gibt es häufig Ansatzpunkte für die Verteidigung.
Bei Körperverletzungsdelikten ist oft streitig, wer angefangen hat und ob eine Notwehrlage bestand. Die Polizei ermittelt oft einseitig und übernimmt unkritisch die Darstellung des vermeintlichen Opfers. Auch Ehrverletzungsdelikte wie Beleidigung sind häufig umstritten – etwa wenn unklar ist, ob eine Äußerung überhaupt gefallen ist oder wie sie zu verstehen war.
Typische Fehler im Ermittlungsverfahren
Das Ermittlungsverfahren vor Erlass des Strafbefehls verläuft nicht immer fehlerfrei. Polizei und Staatsanwaltschaft stehen unter Zeitdruck und machen Fehler. Diese Fehler können im Einspruchsverfahren zu Ihren Gunsten wirken.
Häufig werden Beschuldigte nicht ordnungsgemäß belehrt. Vor einer Vernehmung muss Ihnen mitgeteilt werden, dass Sie nicht aussagen müssen und einen Anwalt hinzuziehen dürfen. Fehlt diese Belehrung, können Ihre Aussagen unter Umständen nicht verwertet werden. Auch Zeugen werden nicht immer korrekt belehrt – etwa über ihr Aussageverweigerungsrecht als nahe Angehörige.
Beweismittel werden manchmal nicht ordnungsgemäß gesichert oder dokumentiert. Bei Blutproben können Zweifel an der Kühlkette bestehen, bei Videoaufnahmen an der Authentizität. Solche Mängel können im Einzelfall zur Unverwertbarkeit von Beweisen führen und den Weg zum Freispruch ebnen.
Checkliste: Prüfpunkte vor Einspruchsentscheidung
- Ist der mir vorgeworfene Sachverhalt zutreffend oder gibt es Abweichungen?
- Wurde ich vor meiner Aussage ordnungsgemäß über meine Rechte belehrt?
- Gibt es Zeugen, die meine Version der Ereignisse bestätigen können?
- Erscheint die festgesetzte Strafe im Verhältnis zur Tat angemessen?
- Welche Konsequenzen hätte ein rechtskräftiger Strafbefehl für mein Führungszeugnis?
- Bin ich bereit, den Aufwand und das Risiko einer Hauptverhandlung auf mich zu nehmen?
Besonderheiten bei einzelnen Deliktgruppen
Jede Deliktgruppe hat ihre Eigenheiten, die bei der Verteidigung beachtet werden müssen. Bei Betrugsvorwürfen etwa ist oft streitig, ob überhaupt ein Vorsatz vorlag. Wer gutgläubig handelt, macht sich nicht strafbar – auch wenn objektiv ein Schaden entstanden ist. Die Abgrenzung zwischen zivilrechtlicher Vertragsverletzung und strafrechtlichem Betrug ist oft fließend.
Bei Steuerdelikten spielen komplizierte steuerrechtliche Fragen eine Rolle. Nicht jede unrichtige Steuererklärung ist automatisch eine Steuerhinterziehung. Es kann an einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Verkürzung fehlen, wenn der Steuerpflichtige einem vertretbaren Rechtsirrtum unterlag. Hier lohnt sich oft eine genaue Prüfung der steuerrechtlichen Grundlagen.
Bei Drogendelikten ist die Menge entscheidend. Geringe Mengen zum Eigenverbrauch werden oft eingestellt, größere Mengen führen zu empfindlichen Strafen. Die Abgrenzung zwischen Eigenverbrauch und Handel kann im Einzelfall streitig sein. Auch die Frage, ob ein Besitz oder nur eine Nähe zu den Drogen vorlag, ist oft verteidigungsrelevant.
