Was ist die Verschwiegenheitspflicht im Beruf?
Ein Patient erzählt seinem Arzt von einer psychischen Erkrankung. Eine Mandantin vertraut ihrem Anwalt die Details einer Scheidung an. Ein Steuerberater erfährt von den finanziellen Schwierigkeiten eines Unternehmers. All diese Informationen haben eines gemeinsam: Sie sind streng vertraulich und dürfen unter keinen Umständen an Dritte weitergegeben werden. Die Verschwiegenheitspflicht schützt das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und Klient – und ihre Verletzung kann schwerwiegende Konsequenzen haben.
Die berufliche Verschwiegenheitspflicht geht weit über die allgemeine arbeitsrechtliche Geheimhaltungspflicht hinaus. Während jeder Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet ist, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse seines Arbeitgebers zu wahren, unterliegen bestimmte Berufsgruppen einer deutlich strengeren gesetzlichen Schweigepflicht. Diese ist strafrechtlich abgesichert und dient dem Schutz höchstpersönlicher Informationen, die Menschen in besonders sensiblen Lebenssituationen preisgeben müssen.
Der Kern der Verschwiegenheitspflicht liegt im Vertrauensschutz. Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass bestimmte Berufsgruppen ihre intimsten Geheimnisse bewahren. Wer zum Arzt geht, soll keine Angst haben müssen, dass seine Diagnose am nächsten Tag Gesprächsthema im Ort ist. Wer einen Anwalt konsultiert, muss sicher sein, dass seine rechtlichen Probleme vertraulich bleiben. Dieses Vertrauen ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft und effektive professionelle Hilfe.
Unterschied zur allgemeinen arbeitsrechtlichen Schweigepflicht
Die arbeitsrechtliche Verschwiegenheitspflicht ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag oder als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Sie schützt primär die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers. Betriebsgeheimnisse, Geschäftsstrategien, Kundendaten – all dies darf nicht an Wettbewerber oder die Öffentlichkeit gelangen. Die Rechtsfolgen bei Verstößen sind in erster Linie arbeitsrechtlicher Natur: Abmahnung, Kündigung, Schadensersatzforderungen.
Die berufliche Schweigepflicht nach § 203 StGB hingegen schützt nicht wirtschaftliche Interessen, sondern höchstpersönliche Geheimnisse von Privatpersonen. Sie ist strafrechtlich sanktioniert und kann mit Freiheitsstrafe geahndet werden. Der Unterschied zeigt sich auch in der Dauer: Während arbeitsrechtliche Geheimhaltungspflichten in der Regel mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses enden oder zeitlich begrenzt sind, gilt die berufliche Schweigepflicht unbefristet – auch über den Tod des Geheimnisträgers hinaus.
Welche Informationen sind geschützt?
Geschützt sind alle Informationen, die dem Berufsgeheimnisträger in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sind. Dies umfasst nicht nur aktiv mitgeteilte Geheimnisse, sondern auch Erkenntnisse, die der Berufsträger durch eigene Wahrnehmung gewinnt. Der Arzt, der bei einer Untersuchung eine Schwangerschaft feststellt, unterliegt ebenso der Schweigepflicht wie der Anwalt, der von einem Mandanten über dessen finanzielle Situation informiert wird.
Entscheidend ist der berufliche Zusammenhang. Erfährt ein Arzt bei einer privaten Feier zufällig von der Erkrankung eines Bekannten, greift die berufliche Schweigepflicht nicht. Konsultiert ihn dieselbe Person jedoch in seiner Praxis, ist alles, was er dort erfährt, streng vertraulich. Die Schweigepflicht erstreckt sich dabei auch auf die bloße Tatsache, dass überhaupt ein berufliches Verhältnis besteht. Schon die Information, dass jemand einen bestimmten Arzt oder Anwalt aufgesucht hat, kann dem Geheimnisschutz unterliegen.
Welche Berufe unterliegen der Schweigepflicht?
Die Frage, wer zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, beantwortet das Gesetz in § 203 StGB mit einer abschließenden Aufzählung. Nicht jeder Beruf, der mit sensiblen Informationen arbeitet, fällt automatisch unter den strafrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber hat bewusst nur bestimmte Berufsgruppen ausgewählt, bei denen das Vertrauensverhältnis besonders schutzwürdig erscheint und die Preisgabe von Geheimnissen besonders schwerwiegende Folgen haben kann.
Die Liste der Berufsgeheimnisträger umfasst klassische freie Berufe ebenso wie bestimmte Amtsträger und Beschäftigte im sozialen Bereich. Gemeinsam ist allen, dass sie regelmäßig mit höchstpersönlichen Informationen in Berührung kommen und Menschen ihnen in Situationen vertrauen, in denen sie besonders verletzlich sind. Die Schweigepflicht ist hier nicht nur Berufspflicht, sondern Grundlage der gesamten Berufsausübung.
Ärzte, Therapeuten und andere Heilberufe
An erster Stelle stehen Ärzte, Zahnärzte und Apotheker. Ihre Schweigepflicht ist historisch am längsten anerkannt und geht auf den hippokratischen Eid zurück. Geschützt sind alle medizinischen Befunde, Diagnosen, Therapien und persönlichen Umstände, die im Rahmen der Behandlung bekannt werden. Auch Psychologen, Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten unterliegen dieser strengen Verschwiegenheitspflicht.
Erweitert wird der Kreis durch Angehörige anderer Heilberufe, die staatlich geregelte Ausbildungen absolviert haben. Dazu zählen Hebammen, Physiotherapeuten, Logopäden und viele weitere. Auch medizinisches Hilfspersonal wie Krankenschwestern, Arzthelferinnen und Pflegekräfte sind über die sogenannte Gehilfenregelung in die Schweigepflicht eingebunden, sofern sie ihre Tätigkeit für einen Berufsgeheimnisträger ausüben.
Rechtsanwälte, Notare und rechtsberatende Berufe
Rechtsanwälte, Patentanwälte und Notare bilden eine weitere zentrale Gruppe der Berufsgeheimnisträger. Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant ist Grundlage der gesamten Rechtsberatung. Nur wenn Mandanten sicher sein können, dass ihre rechtlichen Angelegenheiten vertraulich bleiben, werden sie ihrem Rechtsbeistand alle relevanten Informationen mitteilen – auch solche, die sie in ungünstigem Licht erscheinen lassen.
Die anwaltliche Schweigepflicht ist dabei besonders weitreichend. Sie umfasst nicht nur den Inhalt von Beratungsgesprächen, sondern auch die Existenz des Mandatsverhältnisses, die Identität des Mandanten und alle im Rahmen der Tätigkeit gewonnenen Erkenntnisse. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unterliegen vergleichbaren Pflichten, da auch sie regelmäßig tiefe Einblicke in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Mandanten erhalten.
Soziale Berufe und weitere Berufsgeheimnisträger
Eine oft unterschätzte Gruppe bilden Berufspsychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater. Gerade in Beratungssituationen werden intimste Familiengeheimnisse offenbart, deren Weitergabe schwere Schäden verursachen könnte. Auch Suchtberater und Mitarbeiter anerkannter Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen genießen besonderen strafrechtlichen Schutz für die ihnen anvertrauten Geheimnisse.
Schließlich erfasst das Gesetz auch bestimmte Amtsträger: Richter, Staatsanwälte, Notare und andere Personen, die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut sind. Für sie gelten neben der strafrechtlichen Schweigepflicht zusätzliche beamtenrechtliche oder dienstrechtliche Verschwiegenheitspflichten, die teilweise noch weiter reichen als die allgemeine Regelung des § 203 StGB.
Praxis-Tipp: Schweigepflicht als Arbeitnehmer im Gesundheitswesen
Wenn Sie als Arzthelferin, Krankenpfleger oder medizinische Fachangestellte arbeiten, sind Sie über die Gehilfenregelung ebenfalls zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sprechen Sie niemals über Patienten – auch nicht anonymisiert – in öffentlichen Räumen wie Kantinen, Aufzügen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Bereits kleine Details können zur Identifizierung führen und schwerwiegende arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Rechtliche Grundlagen der Verschwiegenheitspflicht
Die strafrechtliche Absicherung der beruflichen Schweigepflicht findet sich in § 203 des Strafgesetzbuches. Diese Vorschrift trägt die Überschrift „Verletzung von Privatgeheimnissen" und bildet das Herzstück des strafrechtlichen Geheimnisschutzes. Sie macht die unbefugte Offenbarung fremder Geheimnisse durch bestimmte Berufsträger zur Straftat – unabhängig davon, ob dem Betroffenen dadurch ein konkreter Schaden entsteht.
Die Vorschrift schützt das Individualinteresse an der Geheimhaltung persönlicher Informationen ebenso wie das Allgemeininteresse am Funktionieren bestimmter Berufe. Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass Ärzte, Anwälte und andere Vertrauenspersonen ihre Geheimnisse wahren. Nur so können diese Berufe ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen. Die Strafandrohung unterstreicht die Bedeutung, die der Gesetzgeber diesem Schutz beimisst.
§ 203 StGB im Detail
Der Tatbestand des § 203 StGB setzt voraus, dass ein unbefugtes Offenbaren eines fremden Geheimnisses vorliegt, das dem Täter in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. „Offenbaren" bedeutet, dass das Geheimnis mindestens einer weiteren Person mitgeteilt wird, die es bisher nicht kannte. Dabei ist es unerheblich, ob die Mitteilung mündlich, schriftlich oder auf andere Weise erfolgt.
Das Merkmal „unbefugt" ist entscheidend für die Strafbarkeit. Befugt ist die Offenbarung insbesondere dann, wenn der Betroffene eingewilligt hat oder eine gesetzliche Offenbarungspflicht besteht. Die Einwilligung muss dabei vor der Offenbarung erteilt werden und kann jederzeit widerrufen werden. Sie muss sich auf das konkrete Geheimnis und den konkreten Empfängerkreis beziehen – eine pauschale Entbindung von der Schweigepflicht genügt in der Regel nicht.
Berufsrechtliche Regelungen und Standesrecht
Neben dem Strafrecht enthalten auch die berufsrechtlichen Regelungen der einzelnen Berufsgruppen Vorschriften zur Verschwiegenheit. Für Ärzte gilt die Berufsordnung, für Rechtsanwälte die Bundesrechtsanwaltsordnung und das Berufsrecht der Kammern. Diese Regelungen können über den strafrechtlichen Schutz hinausgehen und zusätzliche Pflichten begründen.
Verstöße gegen berufsrechtliche Schweigepflichten können unabhängig von strafrechtlichen Konsequenzen berufsrechtlich sanktioniert werden. Die zuständigen Kammern können Rügen erteilen, Geldbußen verhängen oder in schweren Fällen sogar die Zulassung entziehen. Damit droht dem Berufsträger neben der Strafe auch der Verlust seiner beruflichen Existenz. Das Berufsrecht verschärft also die ohnehin erheblichen Konsequenzen einer Schweigepflichtverletzung noch weiter.
Beispiel: Schweigepflicht auch bei vermeintlich harmlosen Informationen
Ein Rechtsanwalt erwähnt bei einem Geschäftsessen beiläufig, dass er einen bekannten Unternehmer in einer Scheidungsangelegenheit vertritt. Er nennt keine Details zum Verfahren. Dennoch liegt eine Schweigepflichtverletzung vor: Bereits die Information, dass überhaupt ein Mandatsverhältnis besteht und dass es um eine Scheidung geht, unterliegt dem Geheimnisschutz. Der Anwalt hat sich nach § 203 StGB strafbar gemacht, auch wenn er keine weiteren Einzelheiten preisgegeben hat.
Ausnahmen und gesetzliche Offenbarungspflichten
Die Schweigepflicht gilt nicht absolut. In bestimmten Situationen ist die Offenbarung von Geheimnissen nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Konstellationen gibt, in denen andere Rechtsgüter schwerer wiegen als das Geheimhaltungsinteresse. Diese Ausnahmen sind jedoch eng begrenzt und dürfen nicht extensiv ausgelegt werden.
Die wichtigste Ausnahme bildet die Einwilligung des Betroffenen. Wer sein Geheimnis selbst preisgeben möchte oder einem anderen die Weitergabe gestattet, dessen Geheimhaltungsinteresse wird nicht verletzt. Darüber hinaus existieren gesetzliche Offenbarungspflichten, die den Berufsgeheimnisträger zur Mitteilung bestimmter Informationen verpflichten. In diesen Fällen tritt die Schweigepflicht zurück.
Einwilligung und Schweigepflichtentbindung
Die Einwilligung des Betroffenen macht die Offenbarung rechtmäßig. Sie muss freiwillig erteilt werden und den konkreten Umfang der Offenbarung umfassen. Eine pauschale Entbindung von der Schweigepflicht „gegenüber allen Behörden und Versicherungen" ist oft unwirksam, da sie nicht hinreichend bestimmt ist. Der Betroffene muss wissen, welche Informationen an wen weitergegeben werden sollen.
Besondere Probleme entstehen bei einwilligungsunfähigen Personen. Bei Minderjährigen entscheiden grundsätzlich die Sorgeberechtigten über die Schweigepflichtentbindung. Bei bewusstlosen oder geistig beeinträchtigten Patienten kann der mutmaßliche Wille maßgeblich sein oder ein Betreuer die Entscheidung treffen. In Notfällen darf der Arzt ohne Einwilligung handeln, wenn die Offenbarung im Interesse des Patienten liegt.
Gesetzliche Meldepflichten und Anzeigerechte
Das Gesetz sieht verschiedene Meldepflichten vor, die die Schweigepflicht durchbrechen. Ärzte müssen bestimmte Infektionskrankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz melden. Bestimmte Berufsgruppen sind nach dem Bundeskinderschutzgesetz verpflichtet, bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung das Jugendamt einzuschalten. Auch das Geldwäschegesetz begründet Meldepflichten für bestimmte Berufsträger.
Neben Meldepflichten gibt es auch Anzeigerechte. Nach § 138 StGB kann sich strafbar machen, wer von geplanten schweren Straftaten erfährt und diese nicht anzeigt. Allerdings gilt für Berufsgeheimnisträger weitgehend ein Anzeigeverweigerungsrecht nach § 139 StGB. Sie dürfen also schweigen, auch wenn sie von geplanten Straftaten erfahren – müssen aber nicht. Die Güterabwägung zwischen Schweigepflicht und Schutz potentieller Opfer ist in solchen Situationen äußerst schwierig.
Praxis-Tipp: Dokumentation bei zweifelhaften Situationen
Wenn Sie als Berufsgeheimnisträger unsicher sind, ob eine Offenbarung zulässig oder sogar geboten ist, dokumentieren Sie Ihre Überlegungen schriftlich. Halten Sie fest, welche Informationen Sie erhalten haben, welche Güter auf dem Spiel stehen und warum Sie zu Ihrer Entscheidung gekommen sind. Diese Dokumentation kann Sie später entlasten, falls Ihre Entscheidung angezweifelt wird – unabhängig davon, ob Sie geschwiegen oder offenbart haben.
Verstöße gegen die Schweigepflicht und ihre Folgen
Eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht kann auf verschiedene Weisen erfolgen. Am offensichtlichsten ist das aktive Ausplaudern von Geheimnissen gegenüber Dritten. Doch auch fahrlässiges Verhalten kann zur Offenbarung führen: Das Liegenlassen von Patientenakten, ein lautes Telefonat im Zug oder ein nicht gesperrter Computerbildschirm können genügen, um Geheimnisse preiszugeben.
Die Folgen einer Schweigepflichtverletzung sind vielfältig und können die gesamte berufliche Existenz bedrohen. Strafrechtliche Sanktionen treffen den Täter persönlich, zivilrechtliche Ansprüche können hohe finanzielle Belastungen bedeuten, und berufsrechtliche Konsequenzen gefährden die Zulassung. Hinzu kommt der Reputationsverlust, der in vertrauensabhängigen Berufen besonders schwer wiegt.
Verschiedene Formen der Schweigepflichtverletzung
Die direkte Mitteilung an Dritte ist die klassische Form der Schweigepflichtverletzung. Ein Arzt erzählt seiner Frau von einem prominenten Patienten, ein Anwalt berichtet Kollegen von einem spektakulären Fall, ein Steuerberater gibt Informationen an Wettbewerber weiter. All dies sind eindeutige Verstöße, die strafrechtlich verfolgt werden können.
Weniger offensichtlich, aber ebenso strafbar ist die fahrlässige Offenbarung. Hierzu zählen das unsachgemäße Entsorgen von Unterlagen, unverschlüsselte E-Mails mit sensiblen Daten oder Gespräche über Patienten im öffentlichen Raum. Auch das Versäumnis, Mitarbeiter ordnungsgemäß zu verpflichten und zu überwachen, kann dem Berufsgeheimnisträger zugerechnet werden. Die Sorgfaltspflichten sind hoch und verlangen permanente Aufmerksamkeit.
Nachweis einer Schweigepflichtverletzung
Der Nachweis einer Schweigepflichtverletzung kann schwierig sein. Oftmals steht Aussage gegen Aussage, und der Berufsgeheimnisträger kann sich auf sein Schweigerecht berufen. Betroffene sollten daher alle Hinweise auf eine Verletzung sorgfältig dokumentieren: Wer hat wann welche Informationen erhalten? Woher können diese Informationen nur stammen?
Indizien können den Nachweis erleichtern. Wenn bestimmte Informationen nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt waren und plötzlich kursieren, liegt der Schluss auf eine Schweigepflichtverletzung nahe. Auch Zeugen, die Gespräche mitgehört haben, oder schriftliche Nachweise wie E-Mails oder Nachrichten können als Beweismittel dienen. In schwerwiegenden Fällen kann auch die Staatsanwaltschaft ermitteln und weitere Beweise sichern.
Strafrechtliche Verfolgung bei Geheimnisverrat
Die Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen, etwa bei Handeln gegen Entgelt oder mit Gewinnerzielungsabsicht, erhöht sich der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Die Tat ist ein Antragsdelikt – sie wird also grundsätzlich nur auf Strafantrag des Verletzten verfolgt.
Die Antragsfrist beträgt drei Monate ab Kenntnis von der Tat und der Person des Täters. Betroffene sollten also nicht zu lange warten, wenn sie strafrechtliche Schritte erwägen. Der Strafantrag kann bei jeder Polizeidienststelle oder direkt bei der Staatsanwaltschaft gestellt werden. Er kann auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens nachgereicht werden.
Strafrahmen und Strafzumessung
Die konkrete Strafe hängt von verschiedenen Faktoren ab. Strafschärfend wirken sich aus: die Sensibilität der offenbarten Informationen, ein Handeln aus Eigennutz, der eingetretene Schaden beim Betroffenen und eventuelle Vorstrafen. Strafmildernd können berücksichtigt werden: ein Geständnis, die Wiedergutmachung des Schadens, ein erstmaliger Verstoß und eine besondere Drucksituation.
In der Praxis enden viele Verfahren mit Geldstrafen oder Einstellungen gegen Auflagen. Freiheitsstrafen werden meist nur bei schwerwiegenden oder wiederholten Verstößen verhängt und dann oft zur Bewährung ausgesetzt. Dennoch sollte die Strafverfolgung nicht unterschätzt werden: Ein Eintrag im Führungszeugnis kann die berufliche Zukunft erheblich beeinträchtigen, auch wenn keine Haftstrafe verhängt wird.
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Der Grundtatbestand des § 203 StGB erfordert vorsätzliches Handeln. Der Täter muss wissen, dass es sich um ein Geheimnis handelt, und willentlich handeln. Bedingter Vorsatz genügt – es reicht aus, wenn der Täter die Offenbarung billigend in Kauf nimmt. Fahrlässiges Offenbaren ist nach dem Strafgesetzbuch grundsätzlich nicht strafbar.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass fahrlässiges Verhalten folgenlos bleibt. Berufsrechtlich kann auch fahrlässiges Offenbaren sanktioniert werden, und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche setzen ebenfalls keine Vorsatz voraus. Die Sorgfaltspflichten der Berufsgeheimnisträger sind hoch – wer sie verletzt, haftet für die Folgen, auch wenn er das Geheimnis nicht absichtlich preisgegeben hat.
Beispiel: Strafrechtliche Verurteilung eines Arztes
Ein Hausarzt berichtet bei einem privaten Abendessen davon, dass ein bekannter Lokalpolitiker wegen Depressionen in Behandlung ist. Ein Anwesender gibt diese Information an die lokale Presse weiter. Der Arzt wird wegen Verletzung von Privatgeheimnissen angeklagt und zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Zusätzlich wird ihm von der Ärztekammer eine Rüge erteilt. Der betroffene Politiker erwägt zudem zivilrechtliche Schritte wegen der erlittenen Rufschädigung.
Schadensersatz und zivilrechtliche Ansprüche
Neben strafrechtlichen Konsequenzen drohen dem Schweigepflichtverletzer erhebliche zivilrechtliche Ansprüche. Der Betroffene kann Schadensersatz für materielle Schäden verlangen, die ihm durch die Offenbarung entstanden sind. Darüber hinaus kommt bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch Schmerzensgeld in Betracht. Die Höhe richtet sich nach der Schwere der Verletzung und den Umständen des Einzelfalls.
Zivilrechtliche Ansprüche bestehen unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung. Auch wenn das Strafverfahren eingestellt wird oder der Täter freigesprochen wird, können zivilrechtliche Ansprüche erfolgreich sein. Der Beweismaßstab ist unterschiedlich: Während im Strafrecht die Schuld zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen muss, genügt im Zivilrecht die überwiegende Wahrscheinlichkeit.
Materieller Schadensersatz
Materielle Schäden durch Schweigepflichtverletzungen können vielfältig sein. Ein Patient, dessen Erkrankung bekannt wird, verliert möglicherweise seinen Arbeitsplatz. Ein Unternehmer, dessen finanzielle Schwierigkeiten publik werden, verliert Geschäftspartner und Kreditwürdigkeit. Diese konkreten finanziellen Einbußen sind als Schadensersatz zu ersetzen.
Der Geschädigte muss den Schaden und den Kausalzusammenhang zur Schweigepflichtverletzung nachweisen. Dies kann schwierig sein, wenn mehrere Ursachen zusammenwirken oder der Schaden nicht unmittelbar eintritt. Eine frühzeitige und vollständige Dokumentation aller Auswirkungen ist daher wichtig. Auch entgangener Gewinn und Folgeschäden können ersatzfähig sein, sofern sie adäquat kausal auf die Offenbarung zurückzuführen sind.
Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzung
Die Verletzung der Schweigepflicht stellt regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Bei schwerwiegenden Eingriffen kann der Betroffene Schmerzensgeld verlangen. Die Gerichte berücksichtigen dabei die Schwere der Beeinträchtigung, die Sensibilität der offenbarten Informationen, den Verbreitungsgrad und die Verschuldensform des Täters.
Die Höhe des Schmerzensgeldes variiert stark je nach Einzelfall. Bei Offenbarung medizinischer Diagnosen wurden Beträge zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Euro zugesprochen. Besonders hohe Summen kommen bei Veröffentlichung in Medien oder bei dauerhaften Beeinträchtigungen des Betroffenen in Betracht. Das Schmerzensgeld hat dabei sowohl Ausgleichs- als auch Genugtuungsfunktion.
Checkliste: Vorgehen bei erlittener Schweigepflichtverletzung
- Dokumentieren Sie genau, welche Informationen wann und an wen gelangt sind
- Sichern Sie Beweise wie E-Mails, Nachrichten oder Zeugenaussagen
- Notieren Sie alle Schäden, die Ihnen durch die Offenbarung entstanden sind
- Prüfen Sie die Dreimonatsfrist für einen Strafantrag
- Erwägen Sie eine Beschwerde bei der zuständigen Berufskammer
- Fordern Sie den Verantwortlichen zur Unterlassung weiterer Offenbarungen auf
- Holen Sie sich rechtliche Unterstützung für Schadensersatzansprüche
Wie schützen Sie sich vor Verschwiegenheitsverletzungen?
Sowohl Berufsgeheimnisträger als auch Betroffene können aktiv dazu beitragen, Schweigepflichtverletzungen zu vermeiden. Für Berufsträger geht es darum, organisatorische und technische Maßnahmen zu implementieren, die unbefugte Offenbarungen verhindern. Für Betroffene ist es wichtig zu wissen, welche Rechte sie haben und wie sie ihre sensiblen Informationen bestmöglich schützen können.
Prävention ist der beste Schutz. Hat eine Offenbarung erst einmal stattgefunden, lässt sie sich nicht mehr rückgängig machen. Die Informationen sind in der Welt, und selbst erfolgreiche rechtliche Schritte können den Reputationsschaden oft nur begrenzt wiedergutmachen. Beide Seiten haben daher ein Interesse daran, von vornherein für größtmöglichen Schutz zu sorgen.
Organisatorische Maßnahmen für Berufsgeheimnisträger
Berufsgeheimnisträger sollten klare interne Regelungen zum Umgang mit vertraulichen Informationen haben. Wer hat Zugang zu welchen Daten? Wie werden Unterlagen aufbewahrt und vernichtet? Wie erfolgt die Kommunikation mit Mandanten und Patienten? Alle Mitarbeiter müssen auf die Verschwiegenheit verpflichtet und regelmäßig geschult werden.
Technische Maßnahmen ergänzen die organisatorischen Vorkehrungen. Verschlüsselte Kommunikation, passwortgeschützte Systeme, automatische Bildschirmsperren und sichere Aktenvernichtung sind Standard. Besondere Aufmerksamkeit verdienen mobile Geräte und das Arbeiten außerhalb der eigenen Räumlichkeiten. Die Datenschutz-Grundverordnung stellt zusätzliche Anforderungen, die mit den berufsrechtlichen Pflichten zusammenwirken.
Rechte und Handlungsmöglichkeiten für Betroffene
Betroffene sollten bewusst entscheiden, welche Informationen sie preisgeben. Auch gegenüber Berufsgeheimnisträgern muss nicht alles offenbart werden, was nicht unmittelbar relevant ist. Bei besonders sensiblen Themen kann es sinnvoll sein, ausdrücklich auf die Vertraulichkeit hinzuweisen – auch wenn diese ohnehin gesetzlich geschützt ist.
Die Schweigepflichtentbindung sollte stets so eng wie möglich erteilt werden. Pauschale Entbindungen „gegenüber allen Behörden" oder „für alle Versicherungsangelegenheiten" geben mehr preis als nötig. Besser ist es, konkret zu benennen, welche Informationen an wen weitergegeben werden dürfen. Die Entbindung kann jederzeit widerrufen werden, was bei veränderten Umständen geprüft werden sollte.
Praxis-Tipp: Schweigepflichtentbindung gezielt formulieren
Wenn Sie aufgefordert werden, eine Schweigepflichtentbindung zu unterzeichnen, streichen Sie pauschale Formulierungen und ersetzen Sie sie durch konkrete Angaben. Statt „alle Ärzte" nennen Sie den spezifischen Arzt, statt „alle Unterlagen" benennen Sie die konkreten Befunde. Fügen Sie ein Datum hinzu, ab dem die Entbindung gilt, und begrenzen Sie sie zeitlich. So behalten Sie die Kontrolle über Ihre sensiblen Daten.
Verhalten bei Verdacht auf Schweigepflichtverletzung
Wenn Sie vermuten, dass Ihre vertraulichen Informationen unbefugt weitergegeben wurden, handeln Sie systematisch. Klären Sie zunächst, woher die Informationen stammen könnten – gibt es möglicherweise andere Quellen als den vermuteten Berufsgeheimnisträger? Sichern Sie alle Hinweise und dokumentieren Sie den Zeitablauf.
Ein direktes Gespräch mit dem verdächtigen Berufsträger kann sinnvoll sein, muss aber gut abgewogen werden. Einerseits kann ein Missverständnis aufgeklärt werden, andererseits könnte der Täter gewarnt und Beweise vernichtet werden. Bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten ist es oft besser, zunächst rechtliche Beratung einzuholen und dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Die Schweigepflicht ist ein fundamentaler Pfeiler des Vertrauens zwischen Berufsgeheimnisträgern und ihren Klienten. Sie ermöglicht offene Kommunikation in Situationen, in denen Menschen auf professionelle Hilfe angewiesen sind. Verstöße werden daher zu Recht ernst genommen und können erhebliche Konsequenzen haben. Sowohl Berufsträger als auch Betroffene sollten ihre Rechte und Pflichten kennen, um dieses Vertrauen zu schützen und im Ernstfall angemessen reagieren zu können.
