Was ist ein Pflichtverteidiger?
Die Polizei steht vor der Tür, eine Vorladung flattert ins Haus oder Sie erfahren bei der Vernehmung: Ihnen wird eine schwere Straftat vorgeworfen. In diesem Moment wird klar – ohne rechtlichen Beistand stehen Sie dem gesamten Staatsapparat allein gegenüber. Genau hier kommt der Pflichtverteidiger ins Spiel. Der Staat selbst sorgt dafür, dass Sie nicht schutzlos bleiben.
Ein Pflichtverteidiger ist ein Rechtsanwalt, der vom Gericht bestellt wird, um einen Beschuldigten oder Angeklagten im Strafverfahren zu verteidigen. Die Bestellung erfolgt in Fällen, in denen das Gesetz eine Verteidigung als zwingend notwendig ansieht. Der Begriff "Pflichtverteidiger" bezieht sich dabei nicht auf eine geringere Qualifikation, sondern auf die Art der Bestellung – nicht Sie wählen den Anwalt, sondern das Gericht bestellt ihn für Sie.
Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 140 der Strafprozessordnung (StPO). Diese Vorschrift regelt detailliert, wann eine sogenannte notwendige Verteidigung vorliegt. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass bestimmte Verfahrenskonstellationen so komplex oder die drohenden Konsequenzen so gravierend sind, dass ein faires Verfahren ohne anwaltliche Unterstützung schlicht nicht gewährleistet werden kann.
Die rechtliche Grundlage der Pflichtverteidigung
Das Recht auf Verteidigung ist ein fundamentales Grundrecht, verankert im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. § 140 StPO konkretisiert dieses Recht für das Strafverfahren. Die Norm wurde zuletzt durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung im Jahr 2019 erheblich erweitert und an europäische Standards angepasst.
Kerngedanke ist die Waffengleichheit: Die Staatsanwaltschaft verfügt über juristische Expertise, Ermittlungsressourcen und Erfahrung. Ohne anwaltliche Vertretung wäre der Beschuldigte diesem Apparat hoffnungslos unterlegen. Die Pflichtverteidigung stellt sicher, dass auch derjenige, der sich keinen Anwalt leisten kann oder will, eine wirksame Verteidigung erhält.
Abgrenzung zu anderen Verteidigungsformen
Im deutschen Strafverfahren existieren verschiedene Formen der Verteidigung. Der Wahlverteidiger wird vom Beschuldigten selbst beauftragt und bezahlt. Der Pflichtverteidiger hingegen wird vom Gericht bestellt, wobei die Kosten zunächst von der Staatskasse getragen werden. Daneben gibt es noch die Möglichkeit des Prozesskostenhilfe-Verteidigers in zivilrechtlichen Verfahren – dieser ist jedoch vom Pflichtverteidiger im Strafverfahren zu unterscheiden.
Wichtig zu verstehen: Ein Pflichtverteidiger ist kein "Anwalt zweiter Klasse". Es handelt sich um vollwertige Strafverteidiger mit derselben Ausbildung, denselben Rechten und denselben Pflichten wie jeder andere Rechtsanwalt. Die Bezeichnung bezieht sich ausschließlich auf den Bestellungsmodus, nicht auf die Qualität der Verteidigung.
Wann haben Sie Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?
Nicht jedes Strafverfahren löst automatisch einen Anspruch auf Pflichtverteidigung aus. Das Gesetz unterscheidet zwischen Fällen der notwendigen Verteidigung, in denen zwingend ein Verteidiger bestellt werden muss, und solchen, in denen dies im Ermessen liegt. Die entscheidende Norm ist § 140 StPO, die einen umfangreichen Katalog von Fallkonstellationen auflistet.
Grundsätzlich gilt: Je schwerwiegender der Vorwurf und je komplexer das Verfahren, desto wahrscheinlicher ist der Anspruch auf einen Pflichtverteidiger. Der Gesetzgeber hat dabei sowohl objektive Kriterien (Art der Straftat, drohende Strafe) als auch subjektive Faktoren (persönliche Umstände des Beschuldigten) berücksichtigt.
Schwere Straftaten und hohe Straferwartung
Der klassische Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet. Diese Gerichte sind für schwere Straftaten zuständig – von Totschlag über schweren Raub bis hin zu Wirtschaftskriminalität großen Ausmaßes. Hier ist die Verteidigung immer notwendig, unabhängig von weiteren Umständen.
Ebenso zwingend ist die Pflichtverteidigung, wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Ein Verbrechen ist nach deutschem Recht jede Straftat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht ist. Hierzu zählen beispielsweise Raub, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung oder Betrug in besonders schweren Fällen.
Auch wenn kein Verbrechen vorliegt, aber eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist, greift die notwendige Verteidigung. Diese Prognose stellt das Gericht anhand der Schwere der Tat, der Umstände und etwaiger Vorstrafen an.
Beispiel: Pflichtverteidiger bei schwerem Diebstahl
Herr M. wird vorgeworfen, in ein Einfamilienhaus eingebrochen zu sein und Wertgegenstände gestohlen zu haben. Der Wohnungseinbruchsdiebstahl ist mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht – damit liegt ein Verbrechen vor. Unabhängig davon, ob Herr M. sich einen Anwalt leisten könnte, wird ihm zwingend ein Pflichtverteidiger bestellt. Das Gericht ordnet dies von Amts wegen an, sobald das Verfahren bei ihm anhängig wird.
Besondere Verfahrenslagen
Neben der Schwere der Tat können auch besondere Verfahrensumstände die Pflichtverteidigung auslösen. Ein wichtiger Fall: Wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet oder die Anordnung von Untersuchungshaft droht. In dieser Situation ist die persönliche Freiheit bereits entzogen oder unmittelbar gefährdet – eine Verteidigung ohne anwaltliche Hilfe wäre praktisch unmöglich.
Gleiches gilt, wenn eine Unterbringung zur Beobachtung des psychischen Zustands angeordnet werden soll. Auch sonstige freiheitsentziehende Maßnahmen wie die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begründen die notwendige Verteidigung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Wenn der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung ausgeschlossen wird, muss ebenfalls ein neuer Pflichtverteidiger bestellt werden. Das Verfahren darf nicht ohne Verteidigung fortgesetzt werden.
Persönliche Umstände des Beschuldigten
Das Gesetz berücksichtigt auch individuelle Faktoren, die eine eigenständige Verteidigung erschweren oder unmöglich machen. Kann sich der Beschuldigte offensichtlich nicht selbst verteidigen – etwa aufgrund geistiger Einschränkungen, sprachlicher Barrieren oder fehlender Bildung – ist die Verteidigung notwendig. Die Gerichte prüfen hier die Fähigkeit, dem Verfahren zu folgen und eigene Rechte wahrzunehmen.
Besonders relevant ist dieser Aspekt bei Beschuldigten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Zwar wird in solchen Fällen ein Dolmetscher bestellt, doch die Komplexität des Strafverfahrens erfordert oft zusätzlich anwaltliche Unterstützung. Auch psychische Erkrankungen, Suchtproblematiken oder erhebliche körperliche Beeinträchtigungen können zur Bestellung eines Pflichtverteidigers führen.
Praxis-Tipp: Eigene Umstände aktiv vortragen
Wenn Sie der Meinung sind, dass besondere persönliche Umstände eine Pflichtverteidigung rechtfertigen, sollten Sie diese dem Gericht aktiv mitteilen. Sprachliche Schwierigkeiten, gesundheitliche Einschränkungen oder mangelnde juristische Vorbildung sind relevante Faktoren. Scheuen Sie sich nicht, diese Punkte in einem formlosen Schreiben an das Gericht darzulegen – dies kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers beschleunigen.
Wie erfolgt die Bestellung des Pflichtverteidigers?
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann auf zwei Wegen erfolgen: von Amts wegen durch das Gericht oder auf Antrag des Beschuldigten. In der Praxis hängt der Ablauf davon ab, in welchem Verfahrensstadium sich das Strafverfahren befindet und ob bereits ein Fall der notwendigen Verteidigung erkennbar ist.
Zuständig für die Bestellung ist grundsätzlich der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist. Im Ermittlungsverfahren – also vor Anklageerhebung – liegt die Zuständigkeit beim Ermittlungsrichter oder dem Gericht, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wäre. Die Staatsanwaltschaft selbst kann keinen Pflichtverteidiger bestellen, sie kann jedoch beim Gericht eine Bestellung anregen.
Bestellung von Amts wegen
Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor und hat der Beschuldigte noch keinen Verteidiger, muss das Gericht tätig werden. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob der Beschuldigte selbst einen Antrag stellt. Das Gericht prüft von sich aus, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, und bestellt dann einen geeigneten Verteidiger.
In der Praxis erfolgt diese Prüfung oft bei bestimmten Verfahrensschritten automatisch: bei der Anordnung von Untersuchungshaft, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht oder wenn aus den Akten erkennbar wird, dass ein Verbrechen angeklagt werden soll. Das Gericht ist dabei verpflichtet, unverzüglich zu handeln – Verzögerungen können zu Verfahrensfehlern führen.
Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers
Auch wenn das Gericht nicht von selbst tätig wird, können Sie als Beschuldigter einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers stellen. Dieser Antrag ist formfrei – er kann schriftlich oder zu Protokoll bei der Geschäftsstelle des Gerichts erklärt werden. Eine Begründung ist nicht zwingend erforderlich, erleichtert aber die Bearbeitung.
Im Antrag sollten Sie darlegen, warum ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Beziehen Sie sich auf die gesetzlichen Voraussetzungen: Handelt es sich um ein Verbrechen? Droht Untersuchungshaft? Liegen persönliche Umstände vor, die eine Selbstverteidigung unmöglich machen? Je konkreter Ihre Angaben, desto schneller kann das Gericht entscheiden.
Checkliste: Antrag auf Pflichtverteidiger stellen
- Aktenzeichen des Verfahrens angeben (falls bekannt)
- Persönliche Daten vollständig nennen (Name, Anschrift, Geburtsdatum)
- Grund für die notwendige Verteidigung darlegen
- Falls gewünscht: konkreten Anwalt als Pflichtverteidiger vorschlagen
- Antrag an das zuständige Gericht senden (Amtsgericht oder Landgericht)
- Kopie des Antrags für eigene Unterlagen aufbewahren
Der richtige Zeitpunkt für die Bestellung
Seit der Reform des Rechts der notwendigen Verteidigung im Jahr 2019 kann und muss die Bestellung bereits im Ermittlungsverfahren erfolgen – also noch bevor Anklage erhoben wird. Dies ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber der früheren Rechtslage, nach der Pflichtverteidiger oft erst mit der Anklageerhebung bestellt wurden.
Konkret sieht das Gesetz vor, dass die Bestellung unverzüglich erfolgen muss, wenn einer der Gründe für die notwendige Verteidigung vorliegt. Insbesondere vor einer Vernehmung, bei der die Mitwirkung eines Verteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten erforderlich erscheint, muss ein Pflichtverteidiger bestellt sein. Auch vor einer Gegenüberstellung oder anderen wichtigen Ermittlungshandlungen besteht dieser Anspruch.
Die frühzeitige Bestellung ist enorm wichtig: Fehler im Ermittlungsverfahren lassen sich später oft nicht mehr korrigieren. Eine Aussage, die ohne anwaltliche Beratung gemacht wurde, kann das gesamte weitere Verfahren belasten. Deshalb gilt: Je früher der Pflichtverteidiger bestellt wird, desto besser die Verteidigungsmöglichkeiten.
Rechte und Pflichten des Pflichtverteidigers
Ein häufiges Missverständnis betrifft die Stellung des Pflichtverteidigers: Manche Beschuldigte befürchten, dass der vom Staat bestellte Anwalt nicht in ihrem Interesse handelt, sondern gewissermaßen "auf der anderen Seite" steht. Diese Sorge ist unbegründet. Der Pflichtverteidiger hat exakt dieselben Rechte und Pflichten wie ein selbst gewählter Wahlverteidiger.
Die anwaltliche Schweigepflicht gilt uneingeschränkt. Der Pflichtverteidiger darf nichts, was ihm im Rahmen der Verteidigung anvertraut wird, an Dritte weitergeben – auch nicht an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft. Er ist ausschließlich seinem Mandanten verpflichtet und muss dessen Interessen bestmöglich vertreten.
Umfang der Verteidigungstätigkeit
Der Pflichtverteidiger muss eine vollwertige, engagierte Verteidigung führen. Dazu gehört zunächst die vollständige Akteneinsicht: Nur wer alle Beweismittel und Ermittlungsergebnisse kennt, kann eine wirksame Verteidigungsstrategie entwickeln. Der Verteidiger hat Anspruch auf Einsicht in sämtliche Akten, die dem Gericht vorliegen.
Zur Verteidigung gehört ferner die Beratung des Mandanten über seine Rechte – insbesondere das Recht zu schweigen. Der Pflichtverteidiger muss erklären, welche Aussagen möglicherweise belastend wirken und welche Strategie im konkreten Fall sinnvoll erscheint. Auch die Vorbereitung auf Vernehmungen und die Hauptverhandlung ist Teil seiner Aufgaben.
In der Hauptverhandlung nimmt der Pflichtverteidiger aktiv teil: Er stellt Beweisanträge, vernimmt Zeugen, hält das Plädoyer und kann Rechtsmittel einlegen. All diese Handlungen sind darauf ausgerichtet, das bestmögliche Ergebnis für den Mandanten zu erreichen – sei es ein Freispruch, eine milde Strafe oder die Einstellung des Verfahrens.
Beispiel: Engagierte Pflichtverteidigung
Frau K. wird ein Betrug vorgeworfen. Ihr Pflichtverteidiger studiert die umfangreiche Akte und erkennt, dass ein wichtiger Entlastungszeuge von der Staatsanwaltschaft nicht vernommen wurde. Er stellt einen Beweisantrag auf Vernehmung dieses Zeugen. In der Hauptverhandlung bestätigt der Zeuge, dass Frau K. über den behaupteten Sachverhalt getäuscht wurde – sie war selbst Opfer, nicht Täterin. Das Gericht spricht sie frei. Die Qualität der Verteidigung war entscheidend für den Ausgang.
Grenzen und Pflichten gegenüber dem Mandanten
Der Pflichtverteidiger darf – wie jeder Anwalt – keine unwahren Behauptungen aufstellen oder Beweise manipulieren. Er ist an Recht und Gesetz gebunden. Innerhalb dieses Rahmens muss er jedoch alle zulässigen Mittel nutzen, um seinen Mandanten zu verteidigen. Das schließt auch ein, Lücken in der Beweisführung aufzuzeigen oder Verfahrensfehler der Ermittlungsbehörden zu rügen.
Wichtig: Der Pflichtverteidiger ist nicht verpflichtet, seinen Mandanten zu einer bestimmten Aussage zu drängen. Auch wenn der Verteidiger persönlich von der Schuld überzeugt sein sollte, darf er dies nicht offenbaren und muss weiterhin eine wirksame Verteidigung führen. Die Entscheidung über Geständnis oder Schweigen liegt beim Mandanten selbst.
Eine Grenze ergibt sich allerdings bei groben Pflichtverletzungen: Erscheint der Pflichtverteidiger nicht zu Terminen, versäumt er Fristen oder zeigt er offenkundiges Desinteresse, können Sie als Mandant Beschwerde beim Gericht führen und einen Wechsel beantragen. Das Gericht hat dann zu prüfen, ob ein wichtiger Grund für die Entpflichtung vorliegt.
Kosten und Erstattung der Pflichtverteidigung
Die Frage der Kosten beschäftigt viele Beschuldigte: Ist der Pflichtverteidiger wirklich kostenlos? Die Antwort ist differenziert. Zunächst übernimmt die Staatskasse die Vergütung des Pflichtverteidigers. Sie müssen also nicht in Vorleistung treten und können die Verteidigung unabhängig von Ihren finanziellen Verhältnissen in Anspruch nehmen.
Allerdings ist diese Kostenübernahme nicht in jedem Fall endgültig. Die weitere Entwicklung hängt vom Ausgang des Verfahrens und von Ihrer wirtschaftlichen Situation ab. Es gibt verschiedene Konstellationen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.
Kostenregelung bei Verurteilung
Werden Sie im Strafverfahren verurteilt, tragen Sie grundsätzlich die Kosten des Verfahrens – einschließlich der Pflichtverteidigerkosten. Das Gericht erlegt Ihnen diese Kosten im Urteil auf. Die Höhe richtet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das für Pflichtverteidiger reduzierte Sätze vorsieht.
In der Praxis bedeutet dies: Nach der Verurteilung erhalten Sie einen Kostenbescheid, der auch die Pflichtverteidigergebühren enthält. Diese müssen Sie dann zurückzahlen. Allerdings gibt es Möglichkeiten der Ratenzahlung oder des Erlasses bei nachgewiesener Bedürftigkeit. Das Gericht kann die Beitreibung auch zeitweise aussetzen, wenn Sie offensichtlich nicht zahlungsfähig sind.
Kostenregelung bei Freispruch oder Einstellung
Werden Sie freigesprochen oder wird das Verfahren eingestellt, sieht die Situation deutlich günstiger aus. In diesen Fällen trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Beschuldigten – und dazu gehören auch die Kosten der Verteidigung. Sie müssen die Pflichtverteidigerkosten dann nicht erstatten.
Diese Regelung gilt allerdings nur bei vollständigem Freispruch oder Einstellung ohne Auflagen. Bei einer Teileinstellung oder einem Freispruch nur in einzelnen Anklagepunkten kann eine anteilige Kostentragung angeordnet werden. Auch bei einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage (§ 153a StPO) bleiben die Kosten oft beim Beschuldigten.
Praxis-Tipp: Kostenfestsetzung beantragen
Bei Freispruch oder Einstellung sollten Sie aktiv werden: Beantragen Sie die Festsetzung der Ihnen entstandenen notwendigen Auslagen. Dazu gehören nicht nur die Pflichtverteidigerkosten, sondern auch eigene Fahrtkosten zu Gerichtsterminen oder Verdienstausfall. Den Antrag können Sie selbst oder über Ihren Verteidiger stellen. Die Frist beträgt in der Regel drei Monate nach Rechtskraft der Entscheidung.
Bedürftigkeit und Kostenerlass
Auch bei einer Verurteilung müssen Sie nicht zwangsläufig zahlen. Sind Sie bedürftig im Sinne des Gesetzes – haben also kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen –, können die Kosten gestundet, in Raten gezahlt oder ganz erlassen werden. Die Prüfung der Bedürftigkeit erfolgt auf Antrag nach Abschluss des Verfahrens.
Für die Bewertung der Bedürftigkeit gelten ähnliche Maßstäbe wie bei der Prozesskostenhilfe in Zivilverfahren. Berücksichtigt werden Ihr Einkommen, notwendige Ausgaben (Miete, Unterhalt) und vorhandenes Vermögen. Liegt Ihr verfügbares Einkommen unter bestimmten Grenzen, ist ein Kostenerlass möglich.
Wichtig zu wissen: Die Bedürftigkeit wird nicht zu Beginn des Verfahrens geprüft, sondern erst bei der Kosteneinziehung. Sie erhalten also in jedem Fall einen Pflichtverteidiger – unabhängig von Ihren finanziellen Verhältnissen. Die Frage, ob und wie viel Sie später zahlen müssen, stellt sich erst nach Verfahrensabschluss.
Wann können Sie den Pflichtverteidiger wechseln?
Die Beziehung zwischen Mandant und Verteidiger ist ein Vertrauensverhältnis. Doch anders als bei einem selbst gewählten Anwalt können Sie den Pflichtverteidiger nicht ohne Weiteres "kündigen". Das Gesetz sieht für den Wechsel bestimmte Voraussetzungen vor, die erfüllt sein müssen.
Grundsätzlich gilt: Ein Pflichtverteidiger wird für die Dauer des gesamten Verfahrens bestellt. Ein Wechsel ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich. Was ein wichtiger Grund ist, hat die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert. Reine Sympathie- oder Antipathiefragen reichen in der Regel nicht aus.
Wichtige Gründe für einen Verteidigerwechsel
Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger nachhaltig und unwiederbringlich zerstört ist. Dies muss konkret dargelegt werden – pauschale Behauptungen genügen nicht. Beispiele aus der Rechtsprechung sind: Der Verteidiger hat erklärt, nicht mehr an die Unschuld des Mandanten zu glauben, es bestehen unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über die Verteidigungsstrategie oder der Verteidiger hat eine Schweigepflichtsverletzung begangen.
Auch objektive Gründe können einen Wechsel rechtfertigen: Erkrankt der Pflichtverteidiger langfristig, zieht er in eine andere Stadt und kann Termine nicht mehr wahrnehmen oder gibt er seine Anwaltszulassung auf, muss ein neuer Verteidiger bestellt werden. Gleiches gilt bei groben Pflichtverletzungen wie wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben von Terminen.
Das Verfahren beim Verteidigerwechsel
Der Wechsel des Pflichtverteidigers erfolgt durch Gerichtsbeschluss. Sie müssen einen Antrag auf Entpflichtung des bisherigen und Beiordnung eines neuen Verteidigers stellen. In diesem Antrag müssen Sie den wichtigen Grund darlegen und – soweit möglich – durch Tatsachen belegen.
Das Gericht prüft den Antrag und hört in der Regel auch den betroffenen Pflichtverteidiger an. Wird der wichtige Grund bejaht, erfolgt die Entpflichtung und die Beiordnung eines neuen Verteidigers. Wird der Antrag abgelehnt, können Sie dagegen Beschwerde einlegen.
In der Praxis ist ein Verteidigerwechsel oft schwieriger durchzusetzen als erhofft. Die Gerichte sind zurückhaltend, weil ein Wechsel das Verfahren verzögert und zusätzliche Kosten verursacht. Umso wichtiger ist es, den Antrag sorgfältig zu begründen und konkrete Anhaltspunkte für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu benennen.
Beispiel: Gescheiterter und erfolgreicher Wechselantrag
Herr S. beantragt einen Verteidigerwechsel mit der Begründung, sein Pflichtverteidiger sei "zu wenig engagiert". Das Gericht lehnt ab – der Vorwurf ist zu pauschal und nicht belegt. Einige Wochen später erfährt Herr S., dass sein Pflichtverteidiger in einer Zeitungsinterview geäußert hat, er halte die Beweislage für erdrückend. Nun stellt er erneut einen Antrag mit dieser konkreten Begründung. Das Gericht gibt statt: Die öffentliche Äußerung zeigt, dass das Vertrauensverhältnis zerstört ist. Ein neuer Pflichtverteidiger wird bestellt.
Unterschiede zwischen Pflicht- und Wahlverteidiger
Die Unterscheidung zwischen Pflicht- und Wahlverteidiger betrifft primär die Art der Bestellung und die Vergütung – nicht die Qualität der Verteidigung. Dennoch gibt es praktische Unterschiede, die Sie kennen sollten, um Ihre Situation richtig einschätzen zu können.
Der Wahlverteidiger wird von Ihnen selbst beauftragt. Sie schließen einen Mandatsvertrag mit dem Anwalt Ihrer Wahl und vereinbaren die Vergütung. Diese kann nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz berechnet werden oder als Honorarvereinbarung frei verhandelt werden. Der Wahlverteidiger kann das Mandat auch ablehnen – eine Verpflichtung zur Übernahme besteht nicht.
Auswahl und Vergütung
Bei der Pflichtverteidigung haben Sie ein eingeschränktes Wahlrecht. Zwar können Sie dem Gericht einen bestimmten Anwalt vorschlagen, der dann als Pflichtverteidiger bestellt werden soll. Diesem Vorschlag muss das Gericht aber nicht folgen – es kann auch einen anderen Verteidiger bestellen. In der Praxis werden Wünsche allerdings häufig berücksichtigt, sofern der vorgeschlagene Anwalt bereit ist und keine Gründe dagegen sprechen.
Die Vergütung unterscheidet sich erheblich: Pflichtverteidiger erhalten nach dem RVG gesetzlich festgelegte Gebühren, die in der Regel niedriger sind als die Gebühren eines Wahlverteidigers. Dies wird manchmal als Grund angeführt, warum Pflichtverteidiger weniger engagiert seien – ein Vorurteil, das so pauschal nicht zutrifft. Viele Strafverteidiger übernehmen Pflichtverteidigungen aus Überzeugung und leisten dabei dieselbe Arbeit wie in Wahlmandaten.
Kombination beider Verteidigungsformen
Eine interessante Möglichkeit: Sie können neben dem Pflichtverteidiger zusätzlich einen Wahlverteidiger beauftragen. Das Gesetz erlaubt bis zu drei Verteidiger gleichzeitig. In der Praxis ist dies bei besonders komplexen Verfahren sinnvoll, etwa wenn verschiedene Rechtsfragen eine Rolle spielen oder die Aktenlage sehr umfangreich ist.
Die Kosten des Wahlverteidigers tragen in diesem Fall Sie selbst – die Staatskasse übernimmt nur die Pflichtverteidigergebühren. Diese Konstellation wählen manchmal Beschuldigte, die einen bestimmten Spezialisten hinzuziehen wollen, aber auch nicht auf die staatliche Kostenübernahme für den Grundverteidiger verzichten möchten.
Wichtig: Sobald Sie einen Wahlverteidiger beauftragen, kann der Pflichtverteidiger entpflichtet werden. Das Gericht geht dann davon aus, dass die notwendige Verteidigung durch den Wahlverteidiger sichergestellt ist. Informieren Sie sich daher vorab genau, welche Konstellation für Ihre Situation am besten geeignet ist.
Praxis-Tipp: Den richtigen Verteidiger benennen
Wenn Sie einen bestimmten Anwalt als Pflichtverteidiger wünschen, benennen Sie ihn möglichst früh im Verfahren. Idealerweise sprechen Sie den Anwalt vor der Benennung an und klären, ob er bereit ist, das Mandat als Pflichtverteidigung zu übernehmen. Fügen Sie Ihrem Antrag an das Gericht eine Erklärung des Anwalts bei, dass er zur Übernahme bereit ist – das erhöht die Chancen auf Berücksichtigung Ihres Wunsches erheblich.
Antrag stellen: So gehen Sie vor
Sie haben erkannt, dass Ihnen ein Pflichtverteidiger zusteht, aber bisher wurde keiner bestellt? Oder Sie befinden sich in einer Situation, die noch nicht eindeutig als notwendige Verteidigung eingestuft wurde? In beiden Fällen sollten Sie aktiv werden und einen Antrag stellen. Der Prozess ist unkomplizierter, als viele denken.
Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers ist formfrei. Das bedeutet: Sie brauchen kein spezielles Formular und keine juristischen Fachkenntnisse. Ein einfaches Schreiben an das zuständige Gericht genügt. Wichtig ist, dass Sie die wesentlichen Informationen angeben und nachvollziehbar darlegen, warum eine Pflichtverteidigung erforderlich ist.
Inhalt des Antrags
Ihr Antrag sollte folgende Angaben enthalten: Ihren Namen, Ihre Anschrift und Ihr Geburtsdatum zur eindeutigen Identifikation. Falls Ihnen das Aktenzeichen des Verfahrens bekannt ist, geben Sie dieses an – es erleichtert die Zuordnung erheblich. Ist Ihnen das Aktenzeichen nicht bekannt, beschreiben Sie das Verfahren so genau wie möglich (Datum der Tat, Art des Vorwurfs, ermittelnde Behörde).
Im Hauptteil des Antrags legen Sie dar, warum ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Beziehen Sie sich auf die gesetzlichen Voraussetzungen: Wird Ihnen ein Verbrechen vorgeworfen? Droht Untersuchungshaft? Liegt eine besondere Verfahrenslage vor? Oder gibt es persönliche Gründe (Sprachprobleme, gesundheitliche Einschränkungen), die eine Selbstverteidigung unmöglich machen?
Abschließend können Sie einen konkreten Anwalt als Pflichtverteidiger vorschlagen. Wenn Sie bereits Kontakt zu einem Strafverteidiger haben, der bereit ist, das Mandat zu übernehmen, benennen Sie ihn mit Name und Kanzleianschrift. Fügen Sie idealerweise eine Erklärung des Anwalts bei, dass er zur Übernahme bereit ist.
Checkliste: Vollständiger Antrag auf Pflichtverteidigung
- Eigene Personalien vollständig angeben (Name, Geburtsdatum, Anschrift)
- Aktenzeichen des Verfahrens nennen (falls bekannt)
- Vorgeworfene Straftat bezeichnen
- Gesetzliche Grundlage für notwendige Verteidigung benennen (§ 140 StPO)
- Konkrete Gründe für den Anspruch darlegen
- Ggf. gewünschten Pflichtverteidiger mit Kontaktdaten benennen
- Datum und Unterschrift nicht vergessen
- Antrag an das zuständige Gericht adressieren
Was passiert nach dem Antrag?
Nach Eingang Ihres Antrags prüft das Gericht die Voraussetzungen. In eindeutigen Fällen – etwa wenn ein Verbrechen angeklagt ist – erfolgt die Bestellung meist innerhalb weniger Tage. Bei komplexeren Konstellationen kann die Prüfung länger dauern; das Gericht holt dann möglicherweise eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ein.
Sie erhalten einen schriftlichen Bescheid über die Entscheidung. Wird Ihrem Antrag stattgegeben, nennt der Bescheid den Namen des bestellten Pflichtverteidigers. Dieser wird ebenfalls informiert und nimmt dann Kontakt mit Ihnen auf. Ab diesem Moment ist er Ihr Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten.
Wird Ihr Antrag abgelehnt, erhalten Sie einen ablehnenden Bescheid mit Begründung. Gegen diese Entscheidung können Sie Beschwerde einlegen. Die Beschwerde ist schriftlich innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids einzulegen. In der Beschwerde können Sie weitere Argumente vorbringen oder auf Umstände hinweisen, die das Gericht möglicherweise übersehen hat.
Unabhängig vom Ausgang des Antrags bleibt Ihnen immer die Möglichkeit, einen Wahlverteidiger zu beauftragen. Wenn Sie also dringend anwaltliche Hilfe benötigen und die Entscheidung über den Pflichtverteidiger noch aussteht, müssen Sie nicht untätig bleiben. Ein Wahlverteidiger kann sofort tätig werden – und falls später doch ein Pflichtverteidiger bestellt wird, kann der Wahlverteidiger das Mandat in eine Pflichtverteidigung umwandeln lassen, sofern das Gericht zustimmt.
